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# taz.de -- 1 Million Euro für vermeintliches Bio-Fleisch: Konventionelle Saue…
> Ein Bauer aus Italien verkauft konventionelles Schweinefleisch unter
> einem Bio-Label. Möglich ist das durch einen Fehler im System.
> Verbraucher konnten so getäuscht werden.
Bild: Der Haken an der Sache: Die Schweine waren nicht bio...
Biobauer Paolo Zaccardi weiß, was Schweine und Verbraucher mögen: In seinem
Betrieb in Mittelitalien leben die Tiere im "Sommer und Winter im Freien",
wie der Landwirt in einer Werbeschrift erzählt. "Sie kennen keinen Stall
und fressen mit Vorliebe Eicheln, Waldfrüchte wie zum Beispiel Pilze und
zusätzlich rein biologisches Futter." Und natürlich kann Zaccardi die
Qualität seiner Produkte "in jedem Moment der Verarbeitung persönlich
garantieren". Für solche Ökoware zahlen Konsumenten gern mindestens doppelt
so viel wie für konventionelles Fleisch.
Doch Belege für seine blumigen Worte bleibt Zaccardi schuldig. Seit Mai
hatte keine der speziellen Kontrollstellen mehr auf einem Zertifikat
bescheinigt, dass sein Unternehmen Zaccardi Paolo die EU-Vorschriften für
den Biolandbau einhält. Dazu zählt zum Beispiel, dass die Schweine Auslauf
haben.
Trotzdem hat er nach Informationen der taz von Mai bis September an einen
deutschen Fleischhändler für schätzungsweise eine Million Euro rund 300.000
Kilogramm Schweinehälften geliefert, aus denen beispielsweise Schinken für
die Supermarktkette Tegut hergestellt wurde. "Wir haben einen Teil des
betroffenen Fleisches bekommen", bestätigt Tegut-Qualitätsmanager Sven
Euen. Also haben tausende Kunden teures Ökoschweinefleisch bezahlt, aber
konventionelle Ware erhalten.
Dass dieser Schwindel monatelang funktioniert hat, verdankt Zaccardi vor
allem einer Lücke im Kontrollsystem und der Untätigkeit der italienischen
Behörden. Die Lücke klafft immer dann, wenn ein Betrieb sein Biozertifikat
vor dem Datum verliert, an dem es ursprünglich hätte auslaufen sollen. Die
italienische Kontrollstelle CCPB entzog Zaccardis Firma das Biosiegel Ende
April.
Das ist einem Schreiben der Kontrolleure zu entnehmen, das der taz
vorliegt. Er hatte den Vertrag mit CCPB gekündigt. In einer E-Mail
schildern die Inspektoren den Hintergrund: Kurz vor der Kündigung hätten
sie eine Kontrolle verlangt, um dem schweren Verdacht gegen Zaccardi
nachzugehen, "dass er konventionelle Tiere als bio verkauft habe".
Ohne ein ordnungsgemäßes Zertifikat wäre Zaccardi raus aus dem lukrativen
Ökogeschäft gewesen. Laut einer EU-Verordnung hätte er seine Ware nicht
mehr als "bio" verkaufen dürfen. Doch über seinen Ausstieg aus dem
Kontrollsystem habe Zaccardi seine Abnehmer nicht informiert, sagt einer
der deutschen Kunden, der Kieler Händler Jürgen Hansen. "Er hat mir weiter
Kopien des Zertifikats vorgelegt", erklärt Hansen, dessen Firma zum vor
allem konventionellen Schlachtkonzern Danish Crown gehört. An dem Papier
ließ sich nicht erkennen, dass es nicht mehr aktuell war. "Auf dem
Zertifikat stand ja immer noch: Gültig bis 30. September."
Hansen war nicht der Einzige, den Zaccardi irreführte: Mindestens einem
Biogroßhändler in Deutschland schickte der Italiener das bereits ungültige
Zertifikat, berichtet ein Brancheninsider. Diesem Unternehmen verkaufte
Zaccardi Wurstwaren wie Salami.
Wahrscheinlich wäre der Bauer trotz dieser Lücke im Kontrollsystem
aufgeflogen, wenn die italienischen Behörden effizienter reagiert hätten.
Die Prüfstelle CCPB informierte nach eigenen Angaben die Aufsichtsbehörde
in Rom, ICQRF, Ende Juni darüber, dass Zaccardi das ungültige Zertifikat
benutzt habe. Doch der Landwirt konnte weitere drei Monate sein Spiel
treiben, ohne dass ihn die Beamten gestoppt hätten. "Das ist halt Italien",
sagt Hansen. Auf Anfragen der taz antworteten weder ICQRF, das
Agrarministerium in Rom noch Zaccardi selbst.
Aufgedeckt wurde der Fall denn auch nicht von den Behörden, sondern durch
Händler Hansen. "Ich hatte einen Anfangsverdacht, der mir zugetragen worden
war", sagt er. Der Kieler meldete das seiner Biokontrollstelle ABCert. Die
ermittelte und endlich wurde Zaccardi gestoppt - da war die meiste Ware
schon verkauft.
Italien hatte in der Branche auch vorher einen schlechten Ruf. Bei
Untersuchungen auf Pestizidrückstände etwa schnitt das Land
überdurchschnittlich schlecht ab, häufig gibt es Verdacht auf Betrug: zum
Beispiel dass Bauern trotz Bioverbots umweltschädliche Chemikalien
benutzen.
Auch Tricks mit Papierzertifikaten sind lange bekannt. Gerade verurteilte
ein Gericht in Baden-Württemberg einen Großhändler, weil er jahrelang
konventionellen Tee als Bioware verkauft hatte - seinen Kunden hatte er ein
gefälschtes Papierzertifikat vorgelegt. Im Mai schlug die französische
Kontrollstelle Ecocert Alarm, da ein chinesischer Obst- und Gemüseexporteur
eines ihrer Zertifikate gefälscht habe.
Der Leiter der Göttinger Kontrollstelle Gesellschaft für Ressourcenschutz
(GfRS), Jochen Neuendorff, sagt deshalb: "Wir benötigen europaweit eine
zentrale Zertifikatsdatenbank." Ähnlich äußern sich der Supermarktkonzern
Rewe und die Kontrollstelle ABCert, die die meisten Unternehmen in
Deutschland überprüft. Bereits jetzt halten viele Kontrollstellen auf der
Internetplattform BioC.info für Unternehmen aus der Bundesrepublik,
Luxemburg und Österreich fest, ob diese gerade gültige Zertifikate haben.
Wenn beispielsweise ein Milchbauer die Biozertifizierung verliert, wird
seine Molkerei per E-Mail informiert. Doch die Hälfte der deutschen
Kontrollstellen speist ihre Daten bislang nicht in das System ein - von den
italienischen ganz zu schweigen. Deshalb müssten die Kontrollstellen jetzt
zügig eine Datenbank für die ganze Europäische Union aufbauen, verlangt der
GfRS-Chef. "Papierzertifikate", sagt Neuendorff, "gehören heutzutage ins
Antiquariat."
7 Dec 2010
## AUTOREN
Jost Maurin
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