# taz.de -- Wie Facebook seine Nutzer nutzt: Der Gefällt-mir-Klick | |
> Die von Facebook-Nutzern so freigiebig zur Verfügung gestellten Daten | |
> wecken Begehrlichkeiten. Die weltweit größte Website ist eine gigantische | |
> Vermarktungsplattform. | |
Bild: Wir sind alle Freunde. Gruppenbild mit Mark Zuckerberg | |
Vor ein paar Tagen bat mich Facebook, meinen Namen zu wechseln. Nein, ich | |
hatte mir kein unanständiges oder rassistisches Pseudonym zugelegt, weder | |
den Nicknamen von Facebook-Gründer, Chef und Hauptaktionär Mark Zuckerberg | |
übernommen noch vage auf einen Markennamen angespielt. | |
Aber mein Name war aus schönen Braille-Blindenschrift-Zeichen | |
zusammengesetzt, und die Ingenieure der kalifornischen Website hatten auf | |
einmal beschlossen, dass dies nicht länger den typografischen Vorschriften | |
entspricht. | |
Bei der Registrierung hatte Facebook meinen richtigen Namen verlangt. Dann | |
bestätigten sie meine Existenz, indem sie mir einen geheimen Code übers | |
Telefon schickten, den ich anschließend eingeben musste. Die Website hatte | |
auch darauf bestanden, mein E-Mail-Passwort zu erfahren, um Zugang zu | |
meinem Adressbuch zu erhalten und so meine Kontakte - Freunde, wie es dort | |
heißt - leichter ausfindig machen zu können. | |
Im Hintergrund wird sie ständig von Algorithmen überwacht und unterliegt | |
Geschäftsbedingungen, die nie jemand liest. Doch die blaue Facebook-Seite | |
bietet ihren Mitgliedern eine gemütliche Kuschelecke, in der sie sich | |
treffen können, ohne von Nachrichten unbekannter oder lästiger Absender | |
überflutet zu werden. | |
Die Werbebanner sind relativ diskret platziert, und man kann stundenlang | |
Fotos seiner Freunde betrachten, sich über dieselben Dinge freuen oder | |
ärgern wie sie, dieselben Spiele spielen und ihren alltäglichen | |
Verrichtungen ebenso beiwohnen wie den wichtigsten Ereignissen in ihrem | |
Leben. Die Nachrichten decken das gesamte menschliche Spektrum ab: vom | |
unvermeidlichen "Ich geh jetzt duschen" über Geburtsanzeigen bis hin zu den | |
ausgefeiltesten Anmerkungen über zeitgenössische Kunst.(1) | |
Die vorgegebenen Interaktionsmuster auf Facebook sind ausschließlich | |
positiv: Man kann spontan auf den "Gefällt mir"-Knopf klicken, aber nichts | |
ablehnen, man wird benachrichtigt, wenn man einen neuen Freund gefunden | |
hat, aber nicht, wenn jemand seine Freundschaft aufkündigt. Gleichzeitig | |
wird der Nutzer durch verschiedene Kontrollroutinen geschützt. Wenn er sich | |
von einem unbekannten Ort aus einloggt, präsentiert man ihm zunächst ein | |
fotobasiertes Fragespiel, um seine Identität zu überprüfen. | |
Das geht nicht ohne Willkür ab: Bisweilen werden brisante Seiten ohne | |
Erklärung gesperrt und erst ein paar Tage später - ebenfalls ohne Erklärung | |
- wieder zugänglich gemacht, wie etwa die Seite der Unterstützergruppe für | |
den Soldaten Bradley Manning, der beschuldigt wird, geheime Informationen | |
über den Irakkrieg an die Internetplattform Wikileaks weitergegeben zu | |
haben. | |
Um Junkmails zu vermeiden, sind die Mitglieder aufgefordert, schadhafte | |
Nachrichten per Mausklick zu melden, woraufhin Facebook den Zugang der | |
Verdächtigen sperrt. Diese Methode nutzen inzwischen Aktivisten aller | |
Couleur, um ihre jeweiligen politischen Gegner zu blockieren.(2) | |
Facebook verbietet seinen Nutzern, Links auf gefährliche Seiten zu setzen | |
(die etwa versuchen könnten, Viren zu installieren oder Bankdaten | |
auszuspähen); doch der gute Big Brother neigt gelegentlich zu Zensur und | |
blockiert Links zu Seiten, auf denen Daten frei zur Verfügung gestellt oder | |
künstlerische und politische Performances geboten werden, wie etwa | |
seppukkoo.com, einen Dienst, mit dem Nutzer ihre persönlichen Daten löschen | |
und Facebook verlassen können. | |
700 Milliarden Minuten online | |
Diese kluge Mischung aus Privatleben und Voyeurismus, dieses liebenswürdige | |
Regime maßvoller Grenzüberschreitung und überwachter Freiheit bildet das | |
erfolgreiche Geschäftsmodell von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. So | |
gelang ihm das Kunststück, 500 Millionen registrierte Nutzer anzuwerben, | |
von denen sich 50 Prozent jeden Tag einloggen und jeden Monat 700 | |
Milliarden Minuten auf der Seite verbringen. | |
Mittlerweile loggen sich 200 Millionen Menschen mobil über ihr Telefon ein. | |
Fast aus dem Nichts - das Gütesiegel der Harvard-Universität trug einiges | |
zum rasanten Start der Seite im Februar 2004 bei - ist Facebook heute mit | |
nur 1.700 Angestellten die größte Internetseite der Welt. | |
Die von den Nutzern so freigiebig zur Verfügung gestellten persönlichen | |
Daten wecken Begehrlichkeiten aller Art. Marketingagenturen können ihr | |
Zielpublikum nach Geschlecht, Alter, Geburtsdatum, Sprache, Land, Stadt, | |
Bildungsniveau, Interessen und so weiter wesentlich genauer auswählen als | |
bei herkömmlichen Erhebungen. Zudem entspricht die Reichweite der | |
Facebook-Seite nahezu der des Fernsehens. S | |
o konnte die Luxusmarke Louis Vuitton am 15. November ohne Umweg über ein | |
anderes Medium gezielt Facebook-Nutzer ansprechen - daraufhin summierte | |
sich die Gesamtzahl der Menschen, die den "Gefällt mir"-Knopf angeklickt | |
und damit ihre Freunde dazu gebracht hatten, dasselbe zu tun, auf über 1,5 | |
Millionen. Auf der Website des Taschenherstellers sind etwa Modeschauen | |
oder das Reisetagebuch des U2-Sängers Bono und seiner Frau Ali Hewson "aus | |
dem Herzen Afrikas" zu sehen. | |
Zu den beliebtesten Facebook-Seiten zählen die Markenauftritte von | |
Unternehmen wie Starbucks, Coca-Cola und den Oreo-Keksen, die 10 bis 25 | |
Millionen Fans haben. In dieser Liga findet man auch die Stars aus Musik, | |
Kino, Fußball und Fernsehserien ebenso wie Facebook-Spiele und die Seite | |
von Barack Obama, dessen Wahlkampagne 2008 vor allem im Internet | |
erfolgreich war. | |
Die großen Firmen sind jedoch nicht die Einzigen, die Facebook als | |
Vermarktungsplattform entdeckt haben. Der Handwerker vor Ort, der | |
unbekannte Schriftsteller und das Kleinunternehmen nutzen die Seite | |
ebenfalls, um ihre Dienste anzupreisen. Auch Le Monde diplomatique betreibt | |
seit Ende 2009 eine Facebook-Seite. | |
Indem Facebook es jedem gestattet, sein eigenes Image aufzupolieren, und | |
ihn dazu animiert, sein eigenes Profil ständig neu zu gestalten, wird es | |
zum Spiegel unserer egozentrischen und werbesüchtigen Zeit. Die | |
Facebook-Erfahrung besteht hauptsächlich darin, sich ständig den eigenen | |
"Freunden" (durchschnittlich 130) zu präsentieren, die jede Geste und jeden | |
Witz kommentieren. Je mehr die virtuelle Projektion unseres Ichs unsere | |
wahre Persönlichkeit oder unsere Sehnsüchte widerspiegelt, desto mehr kann | |
man sich an dieser Spiegelung berauschen.(3) | |
Dieses Gefühl bringt die Menschen dazu, manchmal zwanghaft, ihre Seite zu | |
füllen und ihre Vorlieben, ihren jeweiligen Standort in Echtzeit (über | |
verschiedene mobile Techniken) oder ihr Liebesleben öffentlich zu machen. | |
So setzt die Seite einen großen Teil der traditionellen Abwehrmechanismen | |
des Privatlebens außer Kraft. | |
Hyperaktive Spinne im rechtsfreien Raum | |
Doch Facebook ist noch lange nicht am Ende: Ausgehend von einer | |
geschlossenen Plattform soll sich das kleine "f" über das gesamte Internet | |
ausbreiten. Der im April 2010 eingeführte "Gefällt mir"-Knopf ist eine | |
scheinbar harmlose Funktion, die seither jeder Betreiber auf seiner eigenen | |
Website einfügen kann; dank diesem ausgetüftelten System, das bereits auf | |
einer Million Internetseiten installiert ist, rühmt sich Facebook, die | |
Spuren von 150 Millionen Menschen pro Monat im Internet verfolgen und damit | |
ihr Profil verfeinern zu können. | |
Um die Kommunikation seiner Nutzer zu erleichtern (und sie dadurch noch | |
besser erfassen zu können), hat Facebook in seinem neuen Message-Dienst | |
E-Mail, SMS und Chat zusammengefasst. Damit geht die Plattform in direkte | |
Konkurrenz zu Google, dem anderen Kontrollgiganten des Netzes. | |
Facebook verspricht, dass nur die jeweiligen "Freunde" Zugang zur Masse der | |
Texte und Bilder haben, die sich ständig in seine Datenbanken ergießt. Im | |
Oktober 2010 zeigte eine Recherche des Wall Street Journal jedoch, dass | |
einige der größten Spieleanbieter auf Facebook persönliche Nutzerdaten an | |
Werbekunden weitergegeben hatten.(4) | |
Das Unternehmen erklärte daraufhin eine Nulltoleranz gegenüber Datenmaklern | |
und versicherte, Facebook "hat niemals und wird niemals Nutzerinformationen | |
verkaufen". Das ändert allerdings nichts daran, dass die US-Behörden seit | |
der Verabschiedung des Patriot Acts 2001 weitgehenden Zugang zu diesen | |
Daten haben. | |
Noch im Jahre 1993 erklärte Peter Steiner in einer schönen Zeichnung für | |
den New Yorker: "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Im Jahr | |
2010 wird diese Anonymität abgeschafft. "Mit 14 Fotos können wir jede | |
beliebige Person identifizieren", sagte der CEO von Google, Eric Schmidt, | |
bei der Techonomy-Konferenz am 4. August 2010. "Sie glauben, im Netz findet | |
man keine 14 Fotos von Ihnen? Es gibt doch Facebook!" Dieser Tatbestand ist | |
in seinen Augen nicht nur unwiderruflich, sondern notwendig: "In einer Welt | |
asymmetrischer Bedrohungen ist echte Anonymität zu gefährlich. […] Wir | |
brauchen einen zuverlässigen Dienst zur Identitätsüberprüfung - und das | |
beste Beispiel für einen solchen Dienst ist heute Facebook. […] Die | |
Regierungen werden diese Daten letztlich auch für sich beanspruchen." | |
Selbst wenn Täuschungen heute noch möglich sind, werden sie in Zukunft | |
immer schwieriger zu bewerkstelligen sein. | |
Die mächtigsten Architekten der Online-Welt und die Regierungen wollen das | |
freie Internet, das immer als rechtsfreier Raum galt, "zivilisieren". Wenn | |
es ihnen gelingt, diesen Freiraum einzuhegen, dann wird man, um weiter | |
daran teilhaben zu können, seine wahre Identität preisgeben müssen. Bis | |
jetzt hat man sich das Internet stets als dezentrales System miteinander | |
verbundener Computernetzwerke vorgestellt. Niemand konnte ahnen, dass sich | |
im Zentrum eine hyperaktive Spinne einnisten würde, um das Verhalten aller | |
Nutzer auszuspähen. | |
Fußnoten: | |
1) Miyase Christensen, "Facebook is watching you", in: "Manière de voir, | |
Nr. 109, "Internet, révolution culturelle", Februar/März 2010. | |
(2) Fabrice Epelboin, "Guerre civile sur Facebook", ReadWriteWeb France, | |
14. Mai 2010. | |
(3) Noch besser als "The Social Network" (David Fincher, 2010) - ein | |
ausgezeichneter Film über Harvard, Informatik und Macht - enthüllt der | |
Dokumentarfilm "Catfish" von Henry Joost und Ariel Schulman das Wesen von | |
Facebook. Die DVD erscheint im Januar 2011. | |
(4) Siehe "Facebook in Privacy Breach", "Wall Street Journal, www.wsj.com, | |
18. Oktober 2010. | |
Aus dem Französischen von Sabine Jainski | |
9 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Philippe Rivière | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Facebook auf 50 Milliarden Dollar geschätzt: Mark Zuckerberg gefällt das | |
Nach neuen Investitionen von Goldman Sachs und Mail.ru steigt der | |
inoffizielle Wert von Facebook auf 50 Milliarden Dollar. Dessen Gründer | |
dürfte sein Vermögen damit verdoppelt haben. | |
Facebook führt Gesichtserkennung ein: Frau Aigner? Ach, schon ausgetreten! | |
Wir leben in einem Land, in dem Politiker stolz darauf sind, vom Netz keine | |
Ahnung zu haben. Die Gesichtserkennung könnte da zu großen Problemen | |
führen. | |
Neues Online-Netzwerk von Google?: Mehr Freunde mit "Google +1" | |
Google hat es bislang nicht geschafft, ein erfolgreiches soziales Netzwerk | |
hochzuziehen. Nach den Versuchen mit "Buzz" und "Orkut" soll nun ein neuer | |
Anlauf her. | |
Online-Netzwerk Diaspora: Ein erster Blick aufs Anti-Facebook | |
Das sicherheitsbetonte soziale Netzwerk Diaspora lässt sich nun in einer | |
Testversion ausprobieren. Dabei werden erste Stärken und Schwächen gut | |
sichtbar. | |
Neues Programm "Messages": Facebook wagt die Über-Email | |
Mark Zuckerberg ist die gute, alte elektronische Post zu langsam. Deshalb | |
führt der Facebook-Chef beim weltgrößten sozialen Netzwerk eine | |
Turbo-Variante ein. |