Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Post an den Weihnachtsmann: Die anderen frisst das Rentier
> Wunschzettel aus aller Welt landen bei Karlheinz Dünker und seinen vier
> MitarbeiterInnen in Hildesheim. Manchmal sind Geschenke darin, und
> manchmal schreiben die Absender sehr Trauriges. Weihnachtsmann Dünker
> fühlt sich, "als ob ich ein Teil der Familie bin".
Bild: Einer von 55.000 in diesem Jahr: Brief an das Christkind.
Die Tarnung ist gut, denn die wahre Identität des Weihnachtsmanns kennen
nicht viele: Er heißt Dünker. Karlheinz Dünker. Er hat keinen Bart, aber
vier MitarbeiterInnen, und wenn man weiß, dass Dünker der Weihnachtsmann
ist, sieht man auch, dass es sich bei diesen MitarbeiterInnen um Kobolde
und Trolle handeln muss. Sonst nicht.
Der Weihnachtsmann sitzt in Hildesheim in der Schuhstraße. Erster Stock,
den Gang nach vorne, letztes Büro rechts. Kinder schreiben ihm viele
Briefe. Kinder aus Deutschland, Thailand, der Ukraine, Lettland, Estland,
Weißrussland. "Aus der ganzen Welt", sagt Herr Dünker. Oft mit Fotos darin.
In einem Brief ist die ganze Familie abgebildet - oder fast: "Von Papa hab
ich gein bilt". Und: Ein Kind, das dem Weihnachtsmann einen schwarzen Bart
angemalt hat, schreibt an den Rand: "Der Bart soll weiß". Ein anderes Kind
wünscht sich, "dass mein Papa wieder gesund wird". Melissa schreibt: "Ich
heiße Melissa und bin 8 Jahre alt. Ich wünsch mir keinen Streit und ich
möchte nicht ausgeschlossen werden. Ich wünsche mir auch ein Nintendo DS…"
Den Weihnachtsmann, also den in Hildesheim, gibt es seit den 1950er Jahren.
Damals bekam die dortige Post die ersten Briefe von Kindern, die
vermuteten, dass im Hildesheimer Ortsteil Himmelsthür das Christkind und
der Weihnachtsmann wohnten. Eventuell sogar zusammen. Was macht ein
Briefträger, der eine genaue Adresse nicht kennt? Er schickt die Briefe
zurück. Die Rückbriefstelle lag in Hildesheim, im Postamt am Bahnhof. Die
Briefe wurden aber nicht zurückgeschickt, weil das herzlos gewesen wäre.
Sie wurden gesammelt und landeten auf dem Tisch von Friedrich "Fritze"
Senf: Der Abteilungsleiter des Bereitschaftsdiensts beantwortete sie - mit
ein paar Zeilen oder einer Zeichnung.
Nun war er da, der Weihnachtsmann. "Da ging die Lawine los", sagt Dünker
und schaut über den Rand seiner Lesebrille hinweg. Der Weihnachtsmann hat
keinen Bauch und auch keine weißen Haare, aber schlechte Augen. Er ist
immerhin auch schon 68 und hatte lange Jahre zwei Jobs. Einen bei der Post
und noch den anderen.
In diesem Jahr werden der Weihnachtsmann und seine MitarbeiterInnen 55.000
Briefe bekommen und beantwortet haben, 2.000 am Tag. "Ohne dass wir
irgendwie Werbung machen", das ist Dünker wichtig. Kinder schreiben, Mütter
und Väter für ihre Kinder. Und Sammler, wegen des Poststempels. Kinder
schreiben das ganze Jahr an den Weihnachtsmann. Der arbeitet allerdings nur
von Ende November bis Ende Dezember. Davor und danach bekommt er die Post
nach Hause.
Kinder schreiben auch, wenn sie Kummer haben: Der Hase ist tot; Luca, der
Sitznachbar, beachtet mich nicht, "dabei bin ich in ihn verliebt und wir
haben uns auch doll geküsst"; Mama ist weg; der Papa ist in Afghanistan.
Kinder haben Angst vor dem Weihnachtsmann, weil die Eltern miteinander böse
und nicht mehr zusammen sind.
"Es ist", sagt Dünker, "als ob ich ein Teil der Familie bin." Seine
MitarbeiterInnen seufzen dann und wann, wenn sie die Briefe lesen. Da
schreibt eine Mutter, dass der Sohn traurig sei, "weil es den
Weihnachtsmann nicht gibt". Alexandra dagegen wünscht sich, "dass der Papa
wiederkommt". Der Wunsch, dass sich die Eltern wieder vertragen, ist so
häufig wie der nach Nintendo. Ein kleiner Junge schreibt: "Kannst Du
unserer Mama bitte einen Brief mit Grüßen schicken? Sie freut sich immer
über Post."
Kinder malen Bilder und bekleben den Brief mit Flitter. Manche Briefe sind
Bastelkunstwerke. Ann-Kathrin wünscht sich eine "Stereoanlage, einen
MP3-Player und eine CD von Lady Gaga". Und dann wieder: "Mein Papa und
meine Mama sind getrennt. Könnt ihr da oben nicht mir helfen das sie wieder
zueinander finden. Ich vermisse ihn sehr und möchte ihn lieber jeden Tag
bei mir haben. Ich liebe doch beide so sehr." Diesen Brief nimmt der
Weihnachtsmann mit nach Hause und denkt sich eine Antwort aus, die
persönlicher ist als das, was den Kindern sonst zurück geschickt wird.
Es gibt Kinder, die schicken Geschenke: Schnuller, Plätzchen,
Dinosaurierfiguren. Zwei Mitarbeiterinnen - der Weihnachtsmann nennt sie
"Engelchen" - lachen: Ein Kind hat dem Weihnachtsmann einen wunderschönen
Osterhasen gemalt. Manche Wunschzettel klingen simpel, sind aber komplex:
"Ich habe nur einen Wunsch an dich. Bitte sorge du doch dafür, das meine
Eltern einen Komputer für mich bei dir bestellen. Danke, dein Rolf."
Die Kinder wissen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Wohlverhalten
und Geschenken: "Ich habe nur eine Frage: Siehst du wirklich meinen ganzen
Unsinn? Ich hoffe, du bist mir nicht böse. Liebe Grüße an deine Wichtel und
bis bald. P.S. Flieg vorsichtig! Dein Louis." Oder so: "Bevor ich mir was
wünschen möchte, möchte ich dir sagen, das ich (fast) immer lieb war. Ich
wünsche mir von dir ein Sony Ericsson (W760i) Handy." Manche Kinder
schneiden, was sie sich wünschen, aus einem Katalog aus und kleben es auf
ein Blatt Papier. Laureen etwa braucht ganz dringend ein "Rapunzelschloss,
ein glitzer Lippenstift, ein Barbi Pferd Towey, ein Meerjungfrauschloss von
Ponyville".
Es gibt Kinder, die begleiten Dünker "schon seit Jahren". Als sie Babys und
im Kindergarten waren, haben ihre Mütter an den Weihnachtsmann geschrieben,
in der Schule sie selbst und nun schreiben diese Kinder für andere,
kleinere Kinder. Ein großes goldenes Buch hat der Weihnachtsmann keins,
aber einen Ordner für die besonderen Briefe. Die anderen frisst das
Rentier.
Die "Engelchen" von Herrn Dünker schicken, wenn der Brief einen Absender
hat, einen Antwortbrief vom Weihnachtsmann zurück, mit einer
Weihnachtsgeschichte. Wenn der Absender fehlt, schimpfen sie. Es kommt auch
vor, dass Menschen, die was vom Weihnachtsmann wollen, in die Schuhstraße
kommen, erster Stock, den Gang nach vorne, letztes Büro rechts. Was viele
nicht wissen: Die Wünsche der Kinder - wie auch aller anderen - erfüllt der
Hildesheimer Weihnachtsmann nicht. Das bleibt an uns hängen.
16 Dec 2010
## AUTOREN
Roger Repplinger
## TAGS
Kolumne Alles getürkt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Brief an den Weihnachtsmann: Dichtung und Wahrheit
Meine Tochter Hatice hat dem Weihnachtsmann geschrieben. Ich habe den Brief
auch zu lesen bekommen und war sprachlos.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.