# taz.de -- Singende Union-Fans: Heiliger Fußball | |
> Seit 2003 versammeln sich Anhänger des Zweitligaclubs zum Adventssingen | |
> im Stadion. Diese Weihnachtsgeschichte ist kein PR-Gag, sondern Ausdruck | |
> der Fan-Kultur. | |
Bild: Eher stille Weihnachtsfans. | |
Über den Zusammenhang von Fußball und Glauben ist schon viel philosophiert | |
worden. Aber was immer einen Tag vor Heiligabend im Union-Stadion abgeht, | |
ist dann doch sehr speziell. So speziell, dass einmal gar vier theologische | |
Fanvolkskundler kamen, um sich die Chose live anzusehen. "Ich glaub', das | |
waren Studenten einer Kirchengemeinde aus Hannover, die über Fußball und | |
Religion forschten", sagt Torsten Eisenbeiser. | |
Die kleine Weihnachtsgeschichte von den singenden Union-Gläubigen hat ja | |
auch was. Ein bisschen erinnert sie an die Loveparade-Story: Ein Haufen | |
Gleichgesinnter organisiert spontan ein eigenes Musikevent, das mit den | |
Jahren zur Massenveranstaltung eskaliert. | |
Es war kurz vor Weihnachten 2003, die Seligkeit hielt sich bei den | |
Union-Fans ob der Tabellensituation in Grenzen. Da entstand bei Torsten | |
Eisenbeiser diese in ihrer seltsamen Mischung aus Sentiment und Absurdität | |
Union-typische Idee: Warum nicht statt Fanchorälen ein paar traditionelle | |
Weisen zum Fest der Nächstenliebe, um sich das Herz zu erwärmen in Zeiten | |
der sportlichen Not? | |
"Wir haben damals fast immer verloren, und jeder ist frustriert nach Hause | |
geschlichen", erzählt der 47-Jährige, der seit 1969 zu Union geht und dem | |
Fanclub Alt-Unioner angehört. "Wir sind ja keine gläubigen Menschen. Aber | |
ich fand, dass wir das Weihnachtsfest so in unserer Union-Familie | |
besinnlich einläuten könnten, um uns dann zu unseren privaten Familien zu | |
begeben." | |
Aus dem Internet hat Eisenbeiser ein paar Weihnachtslieder gezogen und auf | |
Zettel kopiert. Mit denen schlichen sich genau 89 Unionfreunde heimlich ins | |
damals noch marode Stadion, um auf den Taversen "Oh du Fröhliche" | |
anzustimmen. Den Herr im Himmel konnte das nicht beeindrucken, Union stieg | |
aus der 2. Liga ab. Das Weihnachtssingen wurde jedoch zum Ritual, nachdem | |
das Bezirksamt Köpenick als Grundstückseigentümer der Sache im Nachhinein | |
seinen Segen gegeben hatte. | |
Jedes Jahr kamen mehr Fans der Eisernen, viele mit ihren Kindern, dazu | |
"Exil-Unioner", die es auf Jobsuche in die Schweiz oder nach Österreich | |
verschlug. Im vergangenen Jahr standen 9.000 Menschen in der Kälte mit | |
Kerzen und Gesangsbuch. "Wenn diesmal weniger kommen, finde ich es auch | |
nicht schlimm", sagt Eisenbeiser, "wir brauchen keine immer neuen | |
Rekordzahlen." | |
Bis der Adventschor An der Alten Försterei eine vierstellige Teilnehmerzahl | |
erreichte, hatte Eisenbeiser, Außendienstler einer Kaffeefirma, diverse | |
Kosten aus der eigenen Tasche bezahlt. Vor allem aufgrund der | |
Sicherheitsstandards und der immer aufwändigeren Veranstaltungstechnik ging | |
es vor drei Jahren aber nicht mehr anders - ein Sponsor musste her. Der | |
klamme Verein kam nicht in Frage, die BSR stieg ein und druckte unter | |
anderem die Gesangshefte. Wie es sich gehört, sahen einige Union-Fans | |
sofort den Kommerztod um die Ecke lauern. "Tatsächlich gab es Vorwürfe, ich | |
hätte die Seele des Vereins verkauft. Aber dann merkten doch alle, dass die | |
Gratwanderung klappt mit dem sowenig Kommerz wie möglich." | |
Man merkt es an Kleinigkeiten. Es gibt zwar Einlasskontrollen - aber nicht, | |
um den Getränkeverkauf im Stadion zu schützen. Wenn jemand seinen | |
Eigenbedarf an Glühwein in der Thermoskanne mitbringt, ist es okay. Der | |
Erlös aus dem symbolischen Eintritt von 1 Euro geht natürlich an den | |
Vereinsnachwuchs. Und als ein Autohersteller jetzt einen VIP-Shuttle anbot, | |
überlegten die Sangesbrüder der ersten Stunde und sagten: Gut, wir mach | |
junge Union-Spieler zu Chauffeuren der alten Vereinsheroen, die nicht mehr | |
recht laufen können. | |
So können sie live dabei sein, wenn auf der Bühne ein Posaunenchor spielt | |
und der Chor des Emmy-Noether-Gymnasiums singt. Auch Unions Pressesprecher | |
Christian Arbeit wird wieder mit seiner Familie ins Horn blasen, ehe der | |
Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde Köpenick die Lutherische | |
Weihnachtsgeschichte vorliest. Er ist auch schon eine Weile dabei und freut | |
sich, weil er im Atheistengroßraum Köpenick sonst nie vor so vielen Leuten | |
predigen kann. | |
Die weihnachtlche Heimeligkeit hat natürlich ihre Grenzen, denn sie kann | |
auch An der Alten Försterei die Mentalität des Profifußballs nicht | |
übertünchen. Union-Familie schön und gut, aber die meisten Spieler sind | |
doch lieber zu Hause bei der richtigen Familie, wenn im Stadion die | |
Weihnachtschants (und vereinzelte Union-Lieder) erklingen. Es ist Urlaub, | |
die Regeneration für die schwere Rückrunde wichtig. Welcher Union-Fan würde | |
das nicht verstehen?! Immerhin, Trainer Uwe Neuhaus war 2009 da und der | |
Präsident wird sicher auch kommen. | |
Das seine Idee mal solche Kreise ziehen würde, hatte Eisenbeiser nicht | |
erwartet - aber im Stillen doch gehofft. Fußballfans denken immer in | |
Traditions-Kategorien. Richtig genial fände er, "wenn sich in ganz | |
Deutschland in den großen Stadien am 23. Dezember alle Fankulturen zum | |
Weihnachtssingen treffen. Aber nur, wenn man ein Herz für eine | |
Fußballfamilie hat. | |
21 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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Priester | |
Kolumne Frühsport | |
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