# taz.de -- Dorfgespräch: Die Schande vom Höllenberg | |
> Weil Martin F. Wenner unbefugt das Erscheinungsbild eines fremden | |
> Hakenkreuzes verändert hat, wird gegen den Künstler ermittelt. Und für | |
> Streit hat seine Aktion auf dem Höllenberg auch gesorgt. Schließlich | |
> kommt er nicht von hier. | |
Bild: Finden viele nicht gut: Martin F. Wenners Kunst-Aktion am Schlageter-Stei… | |
Heute schneits wieder in der Südheide, spätestens ab mittags. Und dicht und | |
weiß werden dann die Flocken alles zudecken, auch den Schlageter-Stein, | |
oben auf dem Höllenberg. Ach tät doch dieser Winter ewig dauern, denken | |
einige in Drögenbostel, denken andere in Hiddingen und viele im Rat der | |
Stadt Visselhövede. Und der Altbauer, der früher hier oben den Waldboden | |
gerecht hat und für Ordnung gesorgt, sagt: "Da schreibst du man nichts | |
über." Schließlich wollen wir ja friedliche Weihnachten feiern. Und da ist | |
es besser, du hältst schön den Deckel drauf und den Ball flach. | |
Denn bis der Schnee kam, gabs Streit in den Dörfern, die seit 1974 zu | |
Visselhövede gehören, den ganzen lieben Advent hindurch und schon ab Mitte | |
November. Das liegt an Martin F. Wenner, der freischaffender Künstler ist, | |
in Visselhövede wohl lebt, der aber in Wirklichkeit gar nicht von hier | |
kommt, sondern zugezogen ist, vor zehn Jahren erst, aus Köln. "Und dann | |
geht der einfach hin und haut das Hakenkreuz aus dem Stein", sagt der | |
Altbauer, aus dem Schlageter-Stein nämlich, einem riesenhaften | |
Granit-Findling auf einem Sockel, den der Opa und der Vadder und die Männer | |
aus den anderen Dörfern 1926 hier raufgeschafft haben, der so genannte | |
Höllenbergbund, mit Pferdewagen, zum Andenken an Albert Leo Schlageter, den | |
Katholiken aus dem Schwarzwald. Das Hakenkreuz bildet den | |
Anfangsbuchstaben, und den zu beseitigen, "das gehört sich nicht", sagt der | |
Altbauer. Die hatten ja viel Mühe damals. | |
Wie weit Albert Leo Schlageter zu den Gründungsfiguren der NSDAP gehörte, | |
ist nicht restlos geklärt. Es spricht viel dafür. Als er im Mai 1923 von | |
einem französischen Exekutionskommando erschossen wird - er hatte im | |
besetzten Ruhrgebiet Sabotageakte durchgeführt - reklamieren ihn erst | |
Kommunisten als Idol: "Hunderte von Schlageters", fordert der | |
Komintern-Präsidiale Karl Radek in Moskau, müssten sich "dem | |
Entente-Kapital entgegenstellen". Die junge Republik findet ihn auch gut: | |
Friedrich Ebert sorgt dafür, dass die Leichenüberführung in die Heimat aus | |
der Staatskasse finanziert wird. Aber letztlich obsiegen beim Gezerre um | |
die Leiche die Nazis. Der Kapp-Putsch-Veteran wird zum "Ersten Soldaten des | |
Dritten Reichs" verklärt. Im ganzen Land werden ihm Denksteine errichtet, | |
mehr als 100, einige stehen noch: In Lohne bei Oldenburg, in Northeim bei | |
Göttingen, in Hanskühnenburg im Harz. Und hier auf dem Teufelsberg, der mit | |
93 Metern und 40 Zentimetern höchsten Erhebung im Stader Land. | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Denkmal eine Zeit lang die Freiwillige | |
Feuerwehr gepflegt und sogar Kränze dort niedergelegt. Aber die hat ja auch | |
anderes zu tun, und der Nachwuchs wird überall in Niedersachsen knapp. Also | |
bekam im Jahr 2006 schließlich der Altbauer den Auftrag, für Sauberkeit zu | |
sorgen und für Ordnung, weil er das ja auch schon am Kriegerdenkmal tat, | |
zum Beispiel. Damit ist jetzt allerdings Schluss: Die Stadt hat den Vertrag | |
nämlich fristlos gekündigt, mit der etwas irrwitzigen Begründung, dass das | |
Vertrauensverhältnis gestört sei - weil er da oben auch nach Wenners Aktion | |
am 10. November noch Laub gefegt hat. Und klar, das wurmt ihn schon, | |
schließlich lässt ja auch die Bürgermeisterin Franka Strehse (SPD) | |
durchblicken, dass Wenner da oben nicht hätte aktiv werden dürfen. | |
"Das ist ja Privatbesitz", sagt sie, "und auch ein Künstler steht nun | |
einmal nicht über dem Gesetz." Zumal, "also wenn man sich das mal | |
anschaut", sagt sie, "also ich frage Sie, was ist daran Kunst?", so | |
Strehse, die auch für die Kündigung verantwortlich ist. | |
Wehren wird sich der Altbauer dagegen nicht, "wir leben da nicht von". | |
Anfangs ging das Gerücht herum, der Altbauer seis gewesen, der das | |
weggemeißelte Hakenkreuz mit schwarzer Farbe nachgezogen hat, das im | |
Schlageter-Namenszug den Anfangsbuchstaben markiert. Aber das stimmt nicht, | |
"nix da", sagt er, "ich geh da doch nicht mit Farbe ran". Und das | |
Hakenkreuz sei ihm ohnehin nie aufgefallen, "das haben wir hier gar nicht | |
gewusst, dass da ein Hakenkreuz ist", das sei bloß ein "S" gewesen für ihn | |
und alle anderen Enkel der Erbauer. Der Staatsschutz hat ihn das natürlich | |
auch schon gefragt. Aber da führt die Spur doch eher ins Neonazi-Lager. | |
Unbekannte rühmen sich auf der einschlägigen Internet-Plattform Altermedia, | |
den Original-Zustand des Denkmals wieder hergestellt zu haben. Und weil die | |
nach rechts gewinkelte Swastika nicht leicht gekippt ist, wie auf der | |
Nazi-Flagge, sondern auf den Flügeln ruht, wie in Adolf Hitlers frühen | |
Skizzen für ein Parteiabzeichen, glaubt Bürgermeisterin Strehse auch, es | |
sei kein verfassungsfeindliches Abzeichen, das die Kommune zum Handeln | |
zwingen würde. Auch wenn sie in dem Stein durchaus einen "Schritt auf dem | |
Weg in die Nazi-Diktatur" erkennt. Also doch das Denkmal umwidmen? "Es ist | |
kein Denkmal", sagt Strehse, "da ist auch nichts umzuwidmen." Und die | |
Inschrift beseitigen? "Noch einmal, das ist ein Privatgrundstück, da sind | |
uns die Hände gebunden." | |
Über die Grundstückseigner erfährt man nur, dass sie mit der ganzen Sache | |
nichts zu tun haben wollen. Den Weg haben sie beseitigt, die Bank entfernt. | |
"Sie haben wohl auch Angst", vermutet Grünen-Ratsfrau Hedi Schmidt, "das | |
muss man auch respektieren", obwohl sie sonst Wenners Aktion eher gut | |
findet, und für falsch hält, dass sich Strehse, also die Bürgermeisterin, | |
ganz auf den juristischen Standpunkt zurückzieht, und mit ihr auch der | |
Kultur- und Jugendausschuss, wo sie das Thema auf die Tagesordnung hatte | |
setzen lassen. "Das Thema", sagt sie "ist hier sehr gefühlsbelastet". | |
Logisch. Schließlich hängen ja die Eltern und die Großeltern mit drin. | |
Sobald sie wieder zugelassen war, feierte die Nazi-Partei in den | |
Heidedörfern Wahlerfolge in den späten 1920er-Jahren. "Ich bin ja auch | |
Zugezogene", sagt Schmidt. So wie Wenner. | |
Gegen den wird ermittelt, weil er "unbefugt das Erscheinungsbild einer | |
fremden Sache" - hier: das Hakenkreuz - "nicht nur unerheblich und nicht | |
nur vorübergehend verändert" hat. Sondern zerstört. "Ich sehe dem gelassen | |
entgegen", sagt er selbst. | |
Nachdem er mit dem Meißel das "S" entfernt hatte, hatte er den Stein mit | |
einem Leintuch verhüllt, weiß und mit blauem Rand, dazu den Schriftzug | |
"Edelweißpiraten 2010", und ein Datum: "10. November 1944 - Köln | |
Ehrenfeld". Die Edelweißpiraten, das war eine Widerstandsgruppe, gebildet | |
von Jugendlichen aus dem Arbeiterstadtteil. "Ich bin dort geboren", sagt | |
Wenner. Am 10. November 44 wurden viele von ihnen gehenkt. Der Galgen an | |
der Rheinbrücke, der bis zur Befreiung stehen blieb, "das war ein Bild | |
meiner Kindheit", erklärt er. Doch längst ist das Tuch entfernt. Die | |
Umwidmung gibts nur befristet. Und auch der Schnee deckt sie nicht | |
dauerhaft zu, die Schande vom Höllenberg. | |
21 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Nationalsozialismus | |
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