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# taz.de -- Drehbuchautor Bora Dagtekin: Scheiße, ist der nett!
> Der Erfinder von "Türkisch für Anfänger" schreibt Drehbücher mit
> Anspruch, die trotzdem jeder versteht. Mittwoch startet die neue Staffel
> "Doctor's Diary" (20.15, RTL).
Bild: "In kreativen Fragen bin ich ein Kontrollfreak." – Dagetkin bei der Ver…
Mann, ist der nett! Außer der Queen vielleicht ist kaum ein Mensch
vorstellbar, mit dem Bora Dagtekin nicht gleich per Du wäre. Aber die Queen
ist ja auch Engländerin und qua Stand von eher reservierter Natur und darin
das genaue Gegenteil von Bora Dagtekin, dem amerikanischsten unter den
deutschen Drehbuchautoren, der dem Journalisten im Café offen lächelnd
gegenübertritt und, kaum haben wir uns hingesetzt, die Hoffnung äußert,
dass man über seine Witze lachen könne.
Schluck.
Er habe doch nicht etwa … – "Klar hab ich deine Kolumne gelesen. Ich
bereite mich immer auf die Journalisten vor, die ich treffe." Sagts und
grinst sein Collegeboy-Grinsen, wie ein Quarterback nach einem Touchdown.
Für alle, die sich nicht auf die Lektüre dieses Textes vorbereitet haben:
In besagter Kolumne ging es um die Dominanz des lauwarmen
Schmunzelfernsehens hierzulande, das dem Zuschauer statt Irritationen und
Abgründen nur Langeweile zumutet. Und das, ja, das hat Bora Dagtekin, Autor
der Erfolgsserien "Türkisch für Anfänger" und "Doctor's Diary", wohl
tatsächlich gelesen. Es gibt wenig, was Journalisten so verunsichern kann
wie die Erkenntnis, dass auch Nichtjournalisten googeln können.
Man könnte also auch sagen: Scheiße, ist der nett! So nett, dass es einem
schon wieder ein bisschen suspekt ist. Dagtekins Freundlichkeit bringt sein
Journalistengegenüber unweigerlich in Habachtstellung, nährt die Skepsis,
er führe Dunkles im Schilde, bezwecke damit mehr als nur ein für beide
Seiten angenehmes Gespräch. Aber nicht mit mir, Bora, nicht mit mir! Ganz
schön paranoid diese Gedanken, lächerlich deutsch, ich weiß. Die Begegnung
mit Bora Dagtekin erinnert an den Erstkontakt mit US-Servicekräften, die
den aus Deutschland Gelandeten auch erst mal aus dem Konzept bringen mit
ihrem von einem Lächeln begleiteten "How are you?": Das interessiert dich
doch jetzt nicht wirklich, oder?!
## Unverkrampfter, lässiger, antielitärer Tonfall
Bora Dagtekin, Sohn eines türkischen Arztes und einer deutschen Lehrerin
aus Hannover, versteht es, Freundlichkeit als soziales Schmiermittel
einzusetzen, nicht übermäßig berechnend, sondern als Teil seines Naturells.
Und diese Zugewandtheit hat ihn, gepaart mit reichlich Talent natürlich,
weit gebracht: Zwei Deutsche Fernsehpreise und zwei Grimme-Preise hat er
für seine beiden Serien gewonnen, die einen neuen Ton in die deutsche
Fernsehunterhaltung gebracht haben, einen unverkrampften, lässigen,
antielitären, eben irgendwie amerikanischen und trotzdem eigenen.
"Mein Ziel ist immer, dass jeder meine Bücher versteht", sagt Dagtekin.
"Ich möchte gern für Leichtigkeit trotz Anspruch stehen." Wobei Anspruch
für ihn weniger mit Fremdwörtern zu tun hat als mit seiner eigenen
Arbeitshaltung: "In kreativen Fragen bin ich ein Kontrollfreak." Deswegen
hasst er es auch, wenn Schauspieler improvisieren: "Jeder Gag muss sitzen.
Und in 95 Prozent der Fälle ist das, was sie draus machen, nicht witzig."
Bora Dagtekin ist ein Fan der Serien von J. J. Abrams, "Lost" und "Alias" –
als Vorbild würde er den perfektionistischen US-Kollegen trotzdem nicht
bezeichnen. Und in Deutschland? Da fällt ihm erst recht keiner ein: "Es
gibt ehrlich gesagt sehr wenig hier, was ich richtig gut geschrieben
finde."
Es ist leicht, Dagtekin für ein arrogantes Großmaul zu halten, damit würde
man ihm aber nicht gerecht. Schließlich hat er geschafft, was nur den
wenigsten Drehbuchautoren gelingt, kein austauschbarer Schreibsklave zu
sein, eine Marke zu werden. Die Bücher zur dritten Staffel von "Doctor's
Diary", mit der RTL heute Abend die ewige Balz zwischen der leicht
übergewichtigen Assistenzärztin Gretchen Haase (Diana Amft) und ihrem
schwer selbstverliebten Kollegen Marc Meier (Florian David Fitz) fortsetzt,
hat Bora komplett allein geschrieben, "weil keine Autoren verfügbar waren,
die so gut sind, dass es am Ende eine Hilfe ist. Der Ton wird so speziell
gewünscht vom Sender, dass man es sofort merkt, wenn ich es nicht selber
schreibe."
Mit erst 32 hat Bora Dagtekin sich längst unentbehrlich gemacht – und sein
Einfluss auf "Doctor's Diary" geht dabei weit über das Liefern der
Geschichten hinaus. So war er etwa wie auch schon bei "Türkisch für
Anfänger" am Casting beteiligt – "die Achse Autor-Cast ist relativ wichtig,
aber vernachlässigt in Deutschland, schließlich lege ich den Schauspielern
meine Worte in den Mund" - und redet auch beim Schnitt mit.
## Schrittweise Kompetenzerweiterung
"Mittlerweile ist es für mich selbstverständlich, dass ich, wenn ich etwas
aufschreibe, auch wissen will, wie es am Ende aussieht", sagt er. Räumt
aber auch ein, dass "der Weg zu dieser Selbstverständlichkeit insgesamt
sechs Staffeln gedauert" hat. Ob seine schrittweise Kompetenzerweiterung
wirklich so reibungslos verlaufen ist, wie er es darstellt – allenfalls an
"ein, zwei Diskussionen" wegen der unüblichen Präsenz des Autors im Schnitt
erinnert er sich –, wissen nur die Beteiligten.
"Wer eine Stimme hat und die benutzt, wird auch gehört", sagt Dagtekin, der
für Indiskretionen nicht zu haben ist, dafür ist er viel zu
geschäftstüchtig. Die Redaktion von RTL lobt er über den grünen Klee – oh…
dass man danach gefragt hätte: "Ich hab noch nicht den Albtraum erlebt, von
dem alle immer sprechen. Ich find RTL sogar ziemlich cool." Privat guckt er
allerdings eher ProSieben, wegen des männlicheren Profils: "Eigentlich
schade, dass ich noch keine Serie für die gemacht hab." Sein Zielpublikum
bei RTL sei eindeutig weiblich, um die 40, "aber ich achte schon drauf,
dass man ,Doctor's Diary' auch als Mann gucken kann, ohne zu kotzen."
Auch zu Kommentaren, geschweige denn Lästereien über Kollegen und deren
Arbeit ist Bora Dagtekin nicht zu bewegen. Auf die Frage, warum die zweite
Serie des für "Berlin, Berlin" so hoch gelobten David Safier, "Zwei Engel
für Amor", so gefloppt ist, antwortet er nur widerwillig: "Jeder Autor ist
auch mal an mittlerem Erfolg beteiligt. Bei mir ist einfach alles sehr
glücklich verlaufen. Rein statistisch gesehen hätte nach ,Türkisch für
Anfänger' auch erst mal ein Riesenflop kommen müssen. Welchen Stoff ich als
nächstes pilotiere, werde ich mir deswegen sicher ganz genau überlegen."
Dagtekin spielt die Auswirkungen des Erfolgs auf seine Arbeit herunter – im
Grunde habe sich überhaupt nichts geändert, allenfalls kriege man
vielleicht mal schneller einen Termin bei wichtigen Leuten, Leuten wie
Martin Moszkowicz, dem Vorstand von Film & Fernsehen der Constantin Film,
mit der er 2009 einen First-Look-Deal geschlossen hat. Damit hat die
Constantin sich das Erstzugriffsrecht auf Dagtekins nächste Projekte
gesichert. "Bora Dagtekin ist ein Star unter den TV-Autoren in Deutschland
und eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kreativszene", hieß es in der
Pressemitteilung.
Aktuell entwickele man gemeinsam eine US-Kinokomödie. Das laufe aber als
"Luxusprojekt nebenher", sagt Dagtekin, "der Schwerpunkt meiner Arbeit wird
auch 2011 in Deutschland liegen." Deswegen interessiere er sich derzeit vor
allem für den "Türkisch für Anfänger"-Kinofilm, der in diesem Jahr gedreht
werden soll - und die Quote der dritten Staffel von "Doctor's Diary".
"Als Autor werde ich letztlich dafür bezahlt, Erwartungen zu erfüllen",
sagt Dagtekin, dem eine gute Quote "tendenziell wichtiger" ist als die
Anerkennung der Feuilletons: "Wenn man es dann noch schafft, dass die
Kritiker es nicht für kompletten Schrott halten, ist das ein Pluspunkt
obendrauf. Aber in erster Linie ist eine Serie nun mal eine
millionenschwere Auftragsarbeit, die sich für den Sender, der sie
finanziert, auch wieder auszahlen muss." Dass Dagetkin in sich eine eigene
Handschrift mit einem klaren Bekenntnis zur Dienstleistung und zum
Massengeschmack vereint, macht ihn wohl tatsächlich zu der
Ausnahmeerscheinung, von der Moszkowicz spricht. Bora Dagtekin, der frank
und frei zugibt, für jede Folge fünf bis zehn Drehbuchfassungen zu
schreiben, hat letztlich doch eine realistischere Einschätzung von sich
selbst als so manche Kollegen, die sich für Künstler halten, nur weil sie
wissen, wie man einen Plot strickt
## Handwerkschule "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"
Das Handwerk hat Bora Dagtekin vor der Ausbildung an der Filmakademie
Baden-Württemberg im Storylinerteam von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"
gelernt und in der Zusammenarbeit mit gestandenen Kollegen
weiterentwickelt. Für ihn ist das immer noch "die beste deutsche Serie",
auch wenn man ihn, der für seine leichtfüßigen, lebensnahen Dialoge so
geschätzt wird, dort ausgerechnet diese nicht schreiben ließ. Die enge
Verbindung zu seiner aktuellen Produzentin, die er dafür schätzt, dass sie
"kreativ entscheidet nicht nur mit dem Portemonnaie", ist sogar im Vorspann
von "Doctor's Diary" dokumentiert: "Eine Serie von Bora Dagtekin & Steffi
Ackermann" steht da.
Beratungsresistent ist Dagtekin also sicher nicht, aber auch nicht
übertrieben offen. Sonst könnte ja noch jemand auf die Idee kommen, dass
jeder seinen Job machen kann. "Jeder, der bessere Ideen hat als ich, ist
immer herzlich willkommen", sagt er. "In seltenen Fällen tritt das auch
ein."
Reicht es nicht, das zu denken, muss er das so offen sagen?
Bora Dagtekin weiß, was er kann und will. Und scheut sich nicht, das auch
auszusprechen. Eine Kombination, die im Land der Zweifler und Zauderer
Abwehrreflexe auslöst. Hat man sich allerdings darüber hinweggesetzt, muss
man feststellen: Gar nicht so übel der Typ. Wie die Amis ja auch. Verzagte
Miesepeter gibt es ja schon genug.
5 Jan 2011
## AUTOREN
David Denk
## TAGS
Filmpreis
ZDF
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