# taz.de -- Ceylan Yildirim über "Allein gegen die Zeit": "Ich stehe lieber hi… | |
> Ihr türkischer Familienhintergrund war wie eine Eintrittskarte für den | |
> Job, sagt die TV-Produzentin Ceylan Yildirim. Ursprünglich wollte sie mal | |
> Schauspielerin werden. | |
Bild: Für ihre Serie "Allein gegen die Zeit" erhielten Produzentin Ceylan Yild… | |
taz: Frau Yildirim, Sie haben sich sehr ungern fotografieren lassen. Warum? | |
Die Kamera ist doch Ihr Medium. | |
Ceylan Yildirim: Ich stehe aber lieber dahinter als davor. Ursprünglich | |
wollte ich Schauspielerin werden, doch ich habe gemerkt: Mich so zu | |
präsentieren liegt mir nicht. Mit Fotos geht es mir ähnlich: Ich mag | |
ungestellte Bilder, Momentaufnahmen. Bei einer offiziellen Fotosession | |
komme ich mir beobachtet vor. | |
Damit, interviewt zu werden, haben Sie aber keine Probleme? | |
Im Gegenteil: Ich rede sehr gern über meinen Beruf, weil ich denke, dass | |
das Berufsbild der Producerin nicht sehr bekannt ist. | |
Dann erklären Sie uns das doch gleich mal! | |
Der Producer sorgt dafür, dass Fernseh- und Filmstoffe ganz genau so, wie | |
sie im Drehbuch stehen, später auf dem Bildschirm oder der Leinwand zu | |
sehen sind, und zwar im Rahmen des vorhandenen Budgets. Von der Idee aus, | |
die von mir, einem Auftraggeber oder Autor kommt, kümmere ich mich um die | |
Entstehung des Drehbuchs, um die Auswahl der Schauspieler, die | |
Kommunikation zwischen Redaktion und Team. Im Moment bereiten wir gerade | |
die zweite Staffel der TV-Serie "Allein gegen die Zeit" vor … | |
… eine Abenteuerserie für Kinder und Jugendliche, die als erste deutsche | |
Fernsehproduktion als Echtzeitserie gedreht wurde und für deren erste | |
Staffel Sie eine Menge Preise bekamen. Wer hatte dazu die Idee? | |
Die Idee für das Echtzeitformat kam vom NDR. Der Redakteur dort, Ole | |
Kampovski, ist ein großer "24"-Fan und hatte die Idee, so etwas auch für | |
den Kinderkanal zu machen. Die Geschichte kam dann von mir: Es geht um eine | |
Geiselnahme an einer Schule, bei der eine Gruppe von Nachsitzern unentdeckt | |
bleibt und den Kampf gegen die Gangster aufnimmt. Ich wollte schon immer | |
einen Thriller produzieren, der in einer Schule spielt. Denn Schule ist ein | |
Mikrokosmos, in dem sich Kinder und Jugendliche sehr gut auskennen. Dort | |
eine Gefahrensituation zu kreieren, die sie ohne Erwachsene, auf sich | |
allein gestellt, meistern müssen, fand ich sehr spannend. Das Konzept für | |
die Serie ist schließlich in Zusammenarbeit mit dem Autorenteam Silja | |
Clemens und Stephan Rick entstanden. | |
Ein ziemlich anspruchsvolles Format für ein Kinderprogramm. | |
Kinderfernsehen wird oft sehr unterschätzt. Kinder lassen sich durch das, | |
was sie im Fernsehen sehen, noch enorm beeindrucken Es ist wie ein | |
Leitfaden: Wie verhalten sich Menschen aus meiner Altersgruppe, auf meiner | |
Augenhöhe, in bestimmten Situationen? | |
Wie kommen Sie zu Ihrer Fernsehleidenschaft? | |
Meine Eltern waren beide berufstätig, ich war ab der vierten, fünften | |
Klasse nach der Schule allein zu Hause. Da habe ich eben heimlich Fernsehen | |
geguckt. | |
Was haben Sie so geguckt? | |
Die ganzen verbotenen Sachen: "Ein Colt für alle Fälle", "Trio mit vier | |
Fäusten", amerikanische Action-Serien fand ich grandios. | |
Geschadet hat es Ihnen ja offenbar nicht. | |
Ich glaube, Fernsehen verblödet Kinder prinzipiell dann nicht, wenn ihnen | |
ermöglicht wird, sich damit kritisch auseinanderzusetzen, Fragen zu stellen | |
und auch beantwortet zu bekommen. Wenn ein Kind den ganzen Tag vor dem | |
Fernseher sitzt und keine Reflexionsmöglichkeiten, keine | |
Austauschmöglichkeiten hat, dann ist das sicher nicht förderlich. Aber ich | |
habe mit meinen Eltern viel geredet, sie haben mich ungeheuer zum Lesen | |
ermutigt, und ich hab alle Bücher, die ich in die Finger kriegen konnte, | |
verschlungen: "Fünf Freunde", "TKKG", vor allem die "Drei Fragezeichen". | |
Wenn ich enttäuscht war von den Enden meiner Lieblingsserien, von den | |
Lösungen der Geschichten, habe ich mir neue ausgedacht. So kam ich darauf, | |
selbst zu schreiben, und so entstand eigentlich der Traum, später selbst | |
mal fürs Fernsehen zu arbeiten. | |
Wie haben Sie denn Ihren Traum, beim Fernsehen zu arbeiten, verwirklichen | |
können? | |
Um ein paar steile Ecken: Ich hatte als Schülerin ja überhaupt keine | |
Vorstellung, welche Berufsmöglichkeiten - außer Schauspieler - es da | |
eigentlich gibt. Schließlich habe ich mich für ein Studium der Theater-, | |
Film- und Fernsehwissenschaften an der FU Berlin eingeschrieben - und mich | |
wahnsinnig gelangweilt. | |
Warum? | |
Weil das Studium sich rein theoretisch mit der Materie auseinandersetzte. | |
Ich wollte aber wissen: Wie funktioniert eine Kamera, wie ist es am Set, | |
was braucht es, um einen Film herzustellen? Dann habe ich angefangen, mir | |
Praktika zu suchen, um möglichst viel Filmluft zu schnuppern, und so bin | |
ich irgendwann bei meiner jetzigen Firma Askania Media gelandet, die damals | |
noch die Kika-Internatsserie "Schloss Einstein" produzierte. | |
Hat Ihr türkischer Familienhintergrund eigentlich eine Rolle bei Ihrer | |
Jobsuche gespielt? | |
Und wie! Eine ganz wichtige sogar: Er war fast so was wie meine | |
Eintrittskarte, auch wenn alles mit einem Streit angefangen hat. | |
Wie bitte? | |
Ich bin bei meinem Bewerbungsgespräch gleich mit dem damaligen | |
Chefdramaturg Dieter Saldecki aneinandergeraten. Der hatte sich für | |
"Schloss Einstein" eine Geschichte ausgedacht, die ich so wahnsinnig | |
klischeebehaftet fand, dass ich mich sehr geärgert habe. Es ging um einen | |
muslimischen Jungen, der mit Gebetsteppich in die Schule kommt und in den | |
Pausen immer beten will, was ihm die Lehrer natürlich verbieten. Daneben | |
hat er aber zwei Freundinnen gleichzeitig und macht Ärger, als sich eine | |
davon in einen anderen verliebt - ich hatte ein ziemliches Wortgefecht mit | |
Dieter Saldecki und die Stelle schon verloren gegeben. Heute glaube ich, | |
dass ich sie gerade deshalb bekommen habe. Saldecki wurde meine Mentor und | |
Unterstützer - ein großartiger Mensch! Leider ist er inzwischen verstorben, | |
er fehlt mir sehr. | |
Nun produzieren Sie Serien, in denen selbstverständlich Kinder aus | |
eingewanderten Familien vorkommen. Das ist Ihnen wichtig? | |
Sehr sogar. Zum einen, weil man dadurch die Möglichkeit hat, | |
Berührungsängste zu nehmen. Zum anderen, um Kindern aus Einwandererfamilien | |
positive Identifikationsmöglichkeiten anzubieten, sie mal positiv | |
darzustellen. Sie schneiden in den Medien ja meist nicht gut ab. Bei | |
"Allein gegen die Zeit" wollte ich das besondere Verhältnis zwischen großem | |
und kleinem Bruder in türkischen Familien abbilden, deren Umgehen | |
miteinander positiv zeichnen, so wie ich es in türkischen Familien auch | |
erlebe: Dass der Jüngere dem Älteren nacheifert, dass der Ältere den | |
Kleineren beschützt und ihm einfach in jeder Situation zur Seite steht. Das | |
ist nur eine Nuance, die inhaltlich keine große Rolle spielt, aber ich | |
finde das wichtig. Und ich merke an den Rückmeldungen der Fans, dass das | |
auch wahrgenommen wird, dass es aufgeht: Wir haben wahnsinnig viele | |
Zuschauer mit Migrationshintergrund. | |
Dabei wird ja oft bezweifelt, dass MigrantInnen überhaupt deutsches | |
Fernsehen gucken. | |
Da tut sich eine ganze Menge. Die Zuschauer sind bereit sich zu öffnen und | |
auch die Programmmacher. Figuren werden immer selbstverständlicher mit | |
Menschen mit Migrationshintergrund besetzt, deren Lebenswelt spielt | |
zunehmend auch eine Rolle in Produktionen. Nehmen Sie den Erfolg der Serie | |
"Türkisch für Anfänger"! Es ist der türkischstämmige Drehbuchautor Bora | |
Dagtekin, der die Authentizität der Charaktere und der Dialoge einbringt. | |
Ich weiß nicht, wie die Serie geworden wäre, wenn sie nur von Deutschen | |
produziert worden wäre. | |
Haben Sie keine Angst, aufgrund ihres Migrationshintergrunds in eine | |
Schublade gesteckt zu werden? | |
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass das ein wahnsinniger Erfahrungswert | |
ist - ein Rucksack, den wir Einwandererkinder alle mit uns rumschleppen, | |
den man aber sinnvoll einbringen kann. Und sollte. | |
12 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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