# taz.de -- Bahn-Warten mit Niveau: Zurückbleiben bitte! - Aber gern! | |
> Heute muss sich Bahnchef Grube vor dem Parlament rechtfertigen. Statt | |
> Forderungen nach "Endlich wieder 10-Minuten-Takt" sollte Grube alles | |
> dransetzen, die Wartezeiten erträglicher zu machen. Etwa so: | |
Bild: Muss sich am Montag vorm Abgeordnetenhaus verantworten: Bahn-Chef Rüdige… | |
1. WLan an allen Bahnsteigen | |
Berlin ist eine Dienstleistungshochburg. Hauptstadt der Kreativen außerdem: | |
Wir tun nichts, aber die ganze Zeit so als ob. Das können wir auch am Gleis | |
zelebrieren! Notwendig ist lediglich WLan bis zur Bahnsteigkante. Den | |
Laptop haben wir ohnehin in der Umhängetasche. Beim Surfen vergeht die | |
Wartezeit im Nu, wir pflegen unser Facebook-Profil, durchforsten das | |
Kinoprogramm und lesen thesige Texte der Kollegen von Spiegel Online. Lässt | |
der Bahnchef noch ein paar ranzige Sessel neben das Wärterhäuschen stellen, | |
fühlen wir uns fast wie daheim in Mitte. Wer braucht schon die S-Bahn, es | |
lebe die digitale Boheme! | |
2. Fitnessprogramm, Yoga etc. | |
Warten im Winter ist fies. Die Kälte zieht bis in die Zehen, die Schultern | |
verspannen, vor lauter Bibbern versteift der Körper. Da hilft nur: | |
Bewegung! Weil es viel weniger lächerlich aussieht, wenn alle mitmachen, | |
sollten an jeder S-Bahn-Station zwei AnimateurInnen wechselnde | |
Fitnessprogramme anbieten, befeuert von Musik aus dem Ghettoblaster und | |
thematisch stimmig: Kickboxen gegen den imaginären S-Bahn-Chef, Meditation, | |
um die S-Bahn-Wut in sich zu lösen, Yoga, damit alles wieder rollt, äh, | |
fließt. Zum Abschluss Gesellschaftstanz. Das fördert den sozialen | |
Zusammenhalt. | |
3. Spielplätze für Kinder | |
Mit Kindern S-Bahn fahren kann schon bei normaler Befüllung der Waggons | |
anstrengend sein. Richtig übel wird es, wenn die Bahn überquillt oder ewig | |
nicht kommt. Ablenkung auf den Bahnsteigen, die den Nachwuchs die | |
Langeweile vergessen lassen, gibt es kaum, und wenn, dann ist sie zu | |
gefährlich ("Kletter sofort wieder runter von den Schienen - ja, auch wenn | |
ewig kein Zug kommt!"). | |
Höchste Eisenbahn also, geeignete Spielwelten für Kinder aufzubauen. Bei | |
den Geräten könnte Bahnchef Grube ja auf Motive aus der lustigen Welt der | |
Schiene zurückgreifen: Etwa die Regionalbummelbahn, die immer hin und her | |
schaukelt. Oder der ICE-Zug, der sich offensichtlich aufgrund eines | |
Radschadens immer im Kreis dreht. | |
4. Sonnencreme-Spender | |
Über 90 Prozent der S-Bahnhöfe liegen im Freien. Der globalen Erwärmung sei | |
Dank sind die Sommer heiß und die Sonne scheint ohne Unterlass. Der Vorteil | |
der langen Wartezeiten: Das Geld fürs Bräunungsstudio kann man sich sparen. | |
Der Nachtteil: Sonnenbrand. Der Hautkrebs lässt grüßen. | |
Aber auch für dieses Problem gibt es eine Lösung. Nach dem Vorbild der | |
Seifenspender in öffentlichen Kloanlagen werden auf den Bahnhöfen pünktlich | |
zum Beginn des Sommerfahrplans Sonnenmilchspender installiert. Der Standort | |
der ein Liter fassenden Behälter steht bereits fest: Am Eingang, direkt | |
neben den roten Fahrscheinentwertungsautomaten. Im Unterschied sind die | |
Sonnenmilchspender in strahlendem Gelb gehalten, mit einer lachenden Sonne | |
als Logo. Abgerundet wird das Ganze von den Werbetafeln hinter den Gleisen, | |
die bislang Reiseveranstaltern wie TUI vorbehalten waren. Fortan grüßt die | |
S-Bahn ihre Fahrgäste dort mit dem Slogan vor palmengesäumten Stränden: | |
"Besser als Karibik". | |
5. Große Leinwände | |
Berlin mangelt es sicher nicht an Open-Air-Kinos. Welche mit besonderer | |
Kulisse würden aber immer besucht - vor allem, wenn die Verkehrsanbindung | |
stimmt. Was spräche also dagegen, am Ende der S-Bahnsteige große Leinwände | |
aufzustellen? Die ließen sich auch für eine Liveübertragung aus dem | |
Olympiastadion nutzen, wenn die Hertha-Fans wieder mal auf halber Strecke | |
hängen geblieben sind. Oder für Konzertbesucher, die die S-Bahn nicht mehr | |
rechtzeitig in die Waldbühne gebracht hat. | |
6. SMS-Service | |
Man fragt sich, warum der Bahn-Chef nicht schon lange darauf gekommen ist. | |
Es ist so einfach. Viel Ärger wäre ihm erspart geblieben, besonders in den | |
Wintermonaten, wo das Aufstehen in Dunkelheit noch schwerer fällt. Wenn man | |
sich dann mit frisch geduschten Haaren bei Eiseskälte auf dem Bahnhof auch | |
noch die Füße in den Bauch stand, war die Stimmung richtig im Keller. | |
Aber diese Zeiten sind vorbei, wenn die S-Bahn einen SMS-Service | |
einrichtet. Fahrgäste, die beim S-Bahn-Callcenter ihre Handynummer | |
hinterlassen, werden in Zukunft bis zu 30 Minuten vor der geplanten Abfahrt | |
ihres Zuges informiert, ob der Fahrplan eingehalten wird, oder über die | |
Dauer der Verspätung. Bei Museen mit großem Besucherandrang ist so ein | |
Service schon lange üblich. Aber die Schnellsten waren die bei der Bahn | |
noch nie. | |
9 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
Kristina Pezzei | |
Bert Schulz | |
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