# taz.de -- Studie in der Türkei: Der Trend geht zur Zweitfrau | |
> Etwa 200.000 Türken ist eine Ehefrau zu wenig. Dabei ist die Vielehe | |
> verboten und die zweite Frau damit rechtlos. Doch die regierende AKP | |
> unterstüzt den Trend. | |
Bild: Ein romantisches Tète-à-tète am Bosporus. Einige türkische Männer g�… | |
ISTANBUL taz | Halit Öncel ist ein zufriedener Mann. Stolz posiert er auf | |
dem Basar der Kleinstadt Gökce im Südosten der Türkei zusammen mit seiner | |
Frau Monja vor Fotografen. Monja brachte es zu einiger Berühmtheit, weil | |
sie in Gökce die erste marokkanische Frau war, die den weiten Weg aus | |
Nordafrika gemacht hatte, um die Zweitfrau eines türkischen Mannes zu | |
werden. Der 36 jähre Halit Öncel ist längst verheiratet und hat bereits 11 | |
Kinder. Auf seine Zweitfrau aus Marokko ist er stolz, weil sie in Marokko | |
eine religiöse Hochschule absolviert hat und außer Arabisch auch | |
Französisch spricht. | |
Mittlerweile haben sich in Gökce andere Männer ein Beispiel an Halit Öncel | |
genommen. Etwa 40 Marokkanerinnen, berichten türkische Medien, leben nun | |
als Zweitfrauen in Gökce und den umliegenden Dörfern. Sie sind in aller | |
Regel nicht rechtmäßig verheiratet, sondern leben in einer vom Imam | |
legalisierten Beziehung als Zweitfrau in der Familie. Die rechtmäßigen | |
Ehefrauen sind darüber wenig begeistert, aber die wenigsten lassen sich | |
wegen der Zweitfrau scheiden. Nach Gökce kamen die Importbräute, als das | |
Internet in den Dörfern der Region Einzug hielt. Viele Bewohner der | |
dortigen Grenzregion zu Syrien haben arabische Wurzeln. | |
Doch der Trend zur Zweitfrau ist in der Türkei keineswegs mehr auf den | |
unterentwickelten Osten beschränkt. Eine jüngst für die | |
Gleichstellungskommission des Parlaments erstellte Studie der | |
Hacettepe-Universität in Ankara kommt zu dem Schluss, dass die Anzahl von | |
Zweitfrauen kontinuierlich steigt. Knapp 200.000 soll es demnach mehr oder | |
weniger offiziell geben, obwohl die Vielehe seit Gründung der Republik 1924 | |
verboten ist. | |
Juristisch gesehen sind Zweitfrauen nichts anderes als Mätressen, die | |
keinerlei gesetzliche Rechte haben. Doch im Verständnis der regierenden | |
islamischen AKP ist an der Zweitfrau nichts Verwerfliches. Einer der | |
Chefideologen der AKP, Ali Bulac, rühmt sich öffentlich, über die im Islam | |
zugelassene Anzahl von vier Ehefrauen zu verfügen. | |
Kürzlich rief der AKP-Bürgermeister der Schwarzmeerstadt Rize dazu auf, die | |
Männer der Region sollten doch Kurdinnen zur Zweitfrau nehmen, das sei der | |
einfachste Weg, um das Kurdenproblem des Landes zu lösen. Es gab zwar einen | |
Aufschrei, doch der Mann war sich keiner Verfehlung bewusst. Denn die | |
Regierung unternimmt nichts gegen den Trend zur Zweitfrau, sondern | |
unterstützt dies teilweise noch, wenn auch als humanitäre Maßnahme getarnt. | |
So propagiert sie, türkische Männer sollten irakische Witwen als Zweitfrau | |
nehmen, nicht um sie in die Türkei zu bringen, sondern um sie finanziell zu | |
unterstützen. | |
12 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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