# taz.de -- Debatte Ehegattensplitting: Wir arbeiten beide | |
> Das Ehegattensplitting wurde von den Nazis erfunden. Jetzt will es die | |
> SPD reformieren. Denn das Steuerrecht ignoriert neue Lebensformen und | |
> fördert den Alleinverdiener. | |
Bild: Relikt Herdprämie, denn die Zeiten haben sich längst geändert. | |
Die Idee stammt aus dem Jahr 1934, man könnte sie auch die erste deutsche | |
Herdprämie nennen. Damals hatte Hitlers Finanzstaatssekretär Fritz | |
Reinhardt vorgeschlagen, Paare, die innerhalb von fünf Jahren für die | |
"Erzeugung nationalsozialistischen Nachwuchses" sorgen, steuerlich zu | |
begünstigen. Männer sollten stramme Burschen zeugen und in den Kampf ziehen | |
für Familie und Vaterland, Frauen hatten sich um Kinder und Küche zu | |
kümmern. | |
Die Idee lebt bis heute, ihre Umsetzung heißt Ehegattensplitting. | |
Deutschlands erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer, hatte sie 1958 noch ein | |
wenig modifiziert. Seitdem begünstigt der Staat finanziell Ehepaare, und am | |
stärksten die sogenannte Einverdienerehe: Einer schafft das Geld ran, in | |
der Regel ist das der Mann, und die Frau bleibt zu Hause. Und das ganz | |
unabhängig davon, ob das Paar Kinder hat oder nicht. | |
Das war in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren, als für Frauen | |
die Hausfrauen- und Mutterrolle vorgesehen war, durchaus auf der Höhe der | |
Zeit. In der DDR hingegen hat es nie ein Ehegattensplitting gegeben, dort | |
wurde schon immer die Zweiverdienerehe propagiert und selbstverständlich | |
gelebt. | |
Dieses Modell hätte spätestens seit der Wende auch in der gesamten | |
Bundesrepublik gelten können. Zumindest hätte das Ehegattensplitting einer | |
echten Familienbesteuerung weichen müssen. Denn das, was bis heute | |
existiert, geht am Alltag der Mehrheit der Paare, Eltern und | |
Alleinerziehenden vorbei. Auch das partnerschaftliche Leben Homosexueller | |
bleibt bis jetzt unberücksichtigt, verpartnerte Lesben und Schwule kommen | |
nicht in den Genuss des Splittingvorteils. | |
Wenn nun die SPD in ihrem Fortschrittsprogramm fordert, dass das | |
"Ehegattensplitting zeitgemäß reformiert werden" muss, dann passt sie sich | |
dem Zeitgeist an. Wie genau die Veränderung aussehen soll, wissen die | |
Sozialdemokraten noch nicht. Es ganz abzuschaffen, das werden sie aber wohl | |
nicht fordern. Denn das Grundgesetz stellt die Ehe unter einen besonderen | |
Schutz. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1982 noch einmal klargestellt. | |
Die Gefahr, das ihr Vorschlag vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird, | |
will die SPD vermeiden. Aber an einer Änderung kommt auch sie nicht mehr | |
vorbei. | |
Bislang folgt dieses Steuermodell einem schlichten Prinzip: Paare, bei | |
denen beide Partner arbeiten und in etwa gleich viel verdienen, haben fast | |
nichts vom Ehegattensplitting. Paare aber, bei denen ein Partner weitaus | |
mehr verdient als der andere (auch heute ist das vielfach der Mann) oder | |
gar nicht arbeitet (vielfach die Frau), spüren das Ehegattensplitting | |
deutlich. Sie können bis zu 600 Euro netto im Monat mehr haben. Bei | |
Spitzenverdienern kann das sogar noch mehr sein. | |
Geförderte Abhängigkeit | |
Was ein Vorteil für das Ehepaar ist, erweist sich als Falle für die Frauen. | |
Warum sollen Gattinnen arbeiten, wenn ihr am Ende des Monats von ihrem | |
Gehalt so viel abgezogen wird, dass fast nichts mehr übrig bleibt? Nicht | |
wenige Frauen haben dann gerade mal so viel, wie die Splittingsumme | |
ausmacht, oder sogar noch weniger. Auf diese Weise fördert der Staat die | |
Einverdienerehe und verhindert, dass eine Gesellschaft sich so | |
umstrukturiert, dass auch Frauen Familie und Beruf vereinbaren können. | |
Minijobs und Teilzeitstellen werden auf diese Weise steuerlich begünstigt. | |
Lassen sich die Frauen darauf ein, bleiben sie von ihren Ehemännern | |
finanziell abhängig. | |
Und was, wenn die Ehe in die Brüche geht? Dann hilft der Frau der frühere | |
Steuervorteil wenig. Irgendwann laufen Trennungs- und Ehegattenunterhalt | |
aus, vom Minijob allein kann niemand leben, von vielen Teilzeitstellen auch | |
nicht. Was folgt, ist der steile Weg in Hartz IV und Altersarmut. | |
Das wissen viele Frauen heute auch. Und was machen sie? Sie heiraten erst | |
gar nicht, und wenn sie es doch tun, sind sie trotzdem berufstätig. Auch | |
weil ein Gehalt heute oftmals gar nicht mehr ausreicht, um eine Familie zu | |
ernähren. | |
Im Übrigen wollen heute auch immer mehr Männer unabhängige, selbständige, | |
berufstätige Frauen, mit reinen Hausfrauen können immer weniger etwas | |
anfangen. Das Alleinverdienermodell bürdet Männern eine Last auf, die viele | |
nicht mehr bereit sind zu tragen. Aber auch ohne Trauschein wollen Frauen | |
und Männer Kinder haben und eine Familie sein. In der staatlichen | |
Steuerpolitik werden sie aber nicht berücksichtigt. | |
Im 21. Jahrhundert | |
Ein Drittel aller Kinder wird heute von Eltern großgezogen, die nicht | |
miteinander verheiratet sind. Und 40 Prozent aller Ehen, die vom | |
Ehegattensplitting profitieren, sind kinderlos. Union und FDP halten | |
trotzdem mit aller Macht am Ehegattensplitting fest. | |
Andere europäische Länder sind da längst weiter. Bis auf Luxemburg, wo es | |
auch das Ehegattensplitting gibt, und in Frankreich, wo eine | |
Familienbesteuerung gilt (die dazu führt, dass Familien fast keine Steuern | |
zahlen), kennen alle anderen europäischen Länder die Individualbesteuerung: | |
Jeder macht seine eigene Steuererklärung und versteuert nur sein Einkommen. | |
Seit Jahren fordern in Deutschland die Grünen, die Linkspartei und Verbände | |
wie der Deutsche Frauenrat, DGB, Kinderhilfswerk und Zukunftsforum Familie, | |
das Ehegattensplitting zu reformieren oder ganz abzuschaffen. Auch die SPD | |
kam nicht erst jetzt auf diese Idee. Das erste Mal plädierte die | |
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen 1977 für eine | |
"familiengerechte Individualbesteuerung", seitdem ruft die | |
SPD-Frauenorganisation immer wieder nach einem geschlechtergerechten | |
Steuerrecht. | |
Auch die Parteitage 2001 und 2002 hatten erkannt, dass das | |
Ehegattensplitting "die falschen Anreize setzt", und beschlossen, es | |
"zugunsten der Förderung von Kindern" umzugestalten. Selbst der rot-grüne | |
Koalitionsvertrag 1998 sah eine "familienpolitische Strukturreform | |
zugunsten der Familien mit Kindern" vor. Das blieb alles erfolglos. | |
Vielleicht meint es die SPD diesmal ja ernst und bleibt hartnäckig. Das | |
wäre dann mal ein echter Fortschritt. | |
13 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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