# taz.de -- Lindenberg-Musical "Hinterm Horizont": Buhrufe für die Stasi-Schau… | |
> Das Musical über ein Fossil des deutschen Rock hätte gründlich daneben | |
> gehen können. Doch Thomas Brussig rettet es mit viel Leben - bis auf die | |
> schrillen Balladen. | |
Bild: Sieht nicht immer aus wie das Original: Serkan Kaya (re) mit Udo Lindenbe… | |
Das Musical ist ja eine sehr schwierige Kunst- und Unterhaltungsform, | |
konzipiert für Menschen, die sich weder für Musik, noch für Theater und | |
Tanz interessieren, aber trotzdem auch mal gerne in großen Häusern in | |
Plüschsitzen abhängen. | |
Zweitverwertungsmusicals wie "Mamma Mia" von Abba, "We will rock you" von | |
Queen oder Udo Jürgens "Ich war noch niemals in New York" sind dabei | |
leichter zu ertragen, weil wenigstens nachgespielte Popsongs statt der | |
üblichen Musicalkompositionen aus schmachtenden Duetten und schwülstigen | |
Balladen zu hören sind. | |
So ging man zwar mit einer grundlegend positiven Einstellung zu Udo | |
Lindenberg, aber auch sehr niedrigen Erwartungen an diesen Abend zum | |
Musicaltheater am Potsdamer Platz. Auch das Umfeld zeigte wenig | |
Verständnis. Was, zu dem? Lindenberg ist für viele ein Unikum, ein Fossil, | |
jemand, für den das Wort vom "abgehalfterten Rockstar" erfunden wurde. | |
Durch seine Zusammenarbeit mit Jan Delay beim letzten Album 2008 konnte er | |
zwar schwer an Credibility unter Jüngeren zulegen, aber wer kennt heute | |
noch seine großartigen beiden ersten Alben, wer weiß, dass er als erster | |
Songwriter in Deutschland überhaupt eine Sprache jenseits vom | |
Schlagerkitsch geschaffen hat? | |
Und ist er auch manchmal peinlich mit seinem Schlapphut, Rockerfrack und | |
der Admiralshose, seiner nuschligen angestrengt-lockeren | |
Siebziger-Jahre-Kunstsprache - er kann Preise und Verdienstkreuze annehmen, | |
ohne sich so ekelhaft staatstragend wie seine Kollegen vom Deutschrock zu | |
gebärden. Lindenberg säuft wenigstens, vertritt als einziger deutscher | |
Promi keine Familienwerte und wohnt lieber im Hotel. Er unterstützt | |
Projekte gegen rechte Gewalt und ist der einzige deutsche Star, der ein | |
wenig Glam und Durchgeknalltheit ausstrahlt - ein deutscher Ozzy Osbourne | |
mit linkem Bewusstsein. | |
Trotz all dieser Verdienste hätte sein Musical gründlich danebengehen | |
können. Dabei ist die Geschichte von "Hinterm Horizont" denkbar einfach um | |
etwa 30 Lindenberg-Songs herumgestrickt: 1983er-Mädchen aus Ostberlin | |
trifft auf Westrocker Udo Lindenberg im Palast der Republik. Romanze, | |
Trennung, Stasi, Wiedersehen bei Maueröffnung - das Ganze im Rückblick | |
erzählt. Zu Beginn und später immer wieder nimmt ein riesiger | |
Lindenberg-Hut die ganze Bühne ein, auf die Mauer werden | |
Dokumentaraufnahmen von Mauerbau, Teilung und Wiedervereinigung projiziert. | |
Das Ganze ist aber sehr gut gemacht, die Übergänge stimmen, das Bühnenbild | |
mit dem Palast der Republik, dem Ostberliner Wohnzimmer, die Projektionen - | |
alles passt. | |
Das Buch hat der Schriftsteller Thomas Brussig geschrieben, 1983 einer der | |
Jugendlichen, die vor dem Palast der Republik standen und nicht zum Konzert | |
reindurften. Das Lebendige, das Nichtaufgesetzte des Musicals ist auch zu | |
großen Teilen ihm zu verdanken. Statt musicaltypischer Nullsätze und | |
schlimmer Phrasen zwischen den Songs bringen hier treffsichere Dialoge und | |
sehr gute Nebenfiguren, wie die des Ostberliner Familienvaters (Thomas | |
Schumann) und der Stasioffiziere, Witz und Tempo in die Handlung, der | |
skurrile DDR-Alltag erinnert dabei stark an "Sonnenallee". | |
Lindenberg-Darsteller Serkan Kaya hatte eine schwere Aufgabe. Der | |
Schauspieler und Sänger trägt zwar Hut und Sonnenbrille, ähnelt Lindenberg | |
aber leider weniger. Seine Stimme ist viel zu kräftig und rutscht leicht | |
ins Rockröhrige. Wo Lindenbergs Songs in ihrer Zartheit durch den | |
gebrochenen, dünnen Gesang eine Tiefe erhalten, werden sie im Musical | |
leider, vor allem beim Duett mit Jessie (Josephin Busch), zur ziemlich | |
angestrengten und schrillen Gefühlsballade. | |
Aber dann überraschen wieder Szenewechsel, sehr gut durchchoreografierte | |
Bilder, wie das vom Doppelgänger-Casting im Hamburger Hotel Atlantic - ein | |
lebendiges Bühnenbild voller Bewegung und stimmiger Details. Und als zum | |
Schluss dann sogar der echte Udo auf die Bühne kommt, sich bei allen | |
bedankt und noch zwei Lieder singt, ist man - gegen alle Erwartungen - doch | |
recht begeistert von dem Abend. | |
"Hinterm Horizont" hat großes Identifikationspotenzial für den Zuschauer, | |
bei der Einspielung der Tagesthemen mit der Nachricht vom Mauerfall am 9. | |
November 89 wird im Publikum gerührt geklatscht, die Stasi-Darsteller | |
werden beim Schlussapplaus rollengerecht ausgebuht. Vielleicht ist "Hinterm | |
Horizont" sogar der Wiedervereinigungsroman, auf den man seit 20 Jahren | |
wartet? | |
13 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Christiane Rösinger | |
## TAGS | |
Schriftsteller | |
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