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# taz.de -- Missbrauch an der Odenwaldschule: Die Aufklärerin soll gehen
> Die Leiterin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, soll ihren Posten
> räumen, fordert eines der Opfer. Bei der Entschädigung setze sie falsche
> Prioritäten.
Bild: Margarita Kaufmanns kontroverse Haltung: Sie möchte zunächst Geld samme…
Die Geschichte kann man nicht anders als tragisch bezeichnen. Margarita
Kaufmann, die Leiterin der Odenwaldschule, soll ihren Hut nehmen. Kaufmann
war die erste und einzige Person in verantwortlicher Position an dem
einstigen Vorzeige-Internat, die den Opfern des sexuellen Missbrauchs
zuhörte. Sie hat den Ruf vieler Exschüler ernst genommen - und damit die
Aufdeckung eines über 20 Jahre funktionierenden Missbrauchssystems an der
Schule erst möglich gemacht. Dennoch fordert nun ausgerechnet einer der
Betroffenen ihren Rücktritt.
"Ich schätze Sie. Und muss dennoch leider behaupten: Sie sind die falsche
Person am falschen Ort", schreibt Adrian Koerfer an Margarita Kaufmann.
"Daher ist meine Bitte kurz und klar und deutlich: Machen Sie Platz,
schaffen Sie die Möglichkeit für einen radikalen Neuanfang."
Adrian Koerfer ist heute Vorsitzender des Vereins Glasbrechen, in dem
betroffene und nichtbetroffene Altschüler für Aufklärung und Entschädigung
streiten. Koerfer war in den 1970er Jahren an der Schule, er hat in der
Familie des intensivsten Täters gelebt, des damaligen Schulleiters Gerold
Becker. Dieser soll über 80 Jungen missbraucht haben. Etliche der Opfer
leiden noch heute unter den Übergriffen, die von erzwungener Masturbation
bis zu Vergewaltigung reichten.
Dass Koerfer den Rücktritt - ausdrücklich als Privatperson - fordert, ist
kein Zufall. Hinter den Schulkulissen ist ein Machtkampf darüber entbrannt,
wie es weitergehen soll. Am Anfang war die ehemalige Friedrichshafener
Bürgermeisterin Margarita Kaufmann die treibende Kraft für die Aufklärung,
heute dagegen ist nicht mehr klar, wo Kaufmann steht. Bei der
Entschädigung, der weiteren Aufklärung und auch der pädagogischen
Neuaufstellung der Schule nimmt sie eine mindestens ambivalente Haltung
ein.
Der Verein "Glasbrechen" fordert von der Schule, 500.000 Euro an
Entschädigungen aufzubringen. Auch die Spitze des Trägervereins der Schule
wollte ein solches sichtbares Zeichen.
Doch Margarita Kaufmann nahm eine andere Haltung ein: Sie möchte zunächst
Geld sammeln, um eine eigene Stiftung für Entschädigung zu errichten - ein
Unterfangen, was mutmaßlich Jahre in Anspruch nehmen wird, ehe Zahlungen
für Therapien oder Hilfen für Missbrauchsopfer möglich wären. Über dem
Konflikt zerbrach der Trägerverein, zwei Entschädigungsbefürworter, der
Vorsitzende Michael Frenzel und der prominente Sprecher Johannes von
Dohnanyi, legten ihre Ämter nieder - auch wegen Kaufmanns neuer Haltung den
Opfern gegenüber.
Margarita Kaufmann ist seit 2007 Schulleiterin. Sie stieß Ende letzten
Jahres die betroffenen Altschüler vor den Kopf, als sie in einem
Weihnachtsbrief lange und ausführlich auf das zurückliegende Jahr und die
100-Jahr-Feier der Odenwaldschule einging - aber mit keinem Wort auf die
Leistungen der Missbrauchsopfer. Die Schule sei "ein Synonym für sexuelle
Gewalt geworden", schrieb Kaufmann, erwähnte aber weder das
Wahrheitshearing an der Schule, bei dem im Sommer 2010 erstmals nach 25
Jahren öffentlich und kritisch über den Missbrauch gesprochen wurde, noch
würdigte sie den Verein Glasbrechen. Seitdem fühlen sich viele Altschüler
an die Jahre erinnert, da sie die Schule mit einer Pseudoaufklärung
hinhalten wollte. Der erste öffentliche Bericht über die Zustände erschien
1999 in der Frankfurter Rundschau.
Im Dezember legten die beiden mit der Aufklärung beauftragten Juristinnen
Claudia Burgsmüller und Brigitte Tilmann ihre Ämter nieder. Das geschah
zwar nicht aus Protest, dennoch gingen damit die Betreiber der Aufarbeitung
von Bord. Die taz erreichte Kaufmann gestern. Zu einer Stellungnahme war
sie nicht bereit.
13 Jan 2011
## AUTOREN
Christian Füller
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