# taz.de -- Presseschau Tunesien: "Tunis und das Wetter sehr gestört" | |
> Tunis ist nicht Karthago und Ben Ali nicht Hannibal: Tunesiens Presse | |
> entdeckt die Proteste und die unendliche Weisheit des Präsidenten Ben | |
> Ali. | |
Bild: Auch nicht schlecht: "Warum anderswohin schauen? In Tunesien ist nur Erfo… | |
Normalerweise sind Zeitungen in Tunesien ungefähr so informativ wie früher | |
in der DDR. Aber gestern machte die Tageszeitung Le Temps plötzlich mit | |
einem Foto brennender Häuser in der Stadt Sfax auf, dazu die Schlagzeile: | |
"Generalstreik gestern in Sfax: Gewaltsame Auseinandersetzungen und Brände, | |
ein Toter, mehrere Verletzte durch Schüsse." Auf Seite fünf folgt eine | |
detaillierte Auflistung aller Vorfälle im ganzen Land im Stil eines | |
Wetterberichts. "Akte der Plünderung griffen auf Geschäfte und Privathäuser | |
über; so wurden alle Geschäfte geschlossen, und die ganze Stadt fand sich | |
gelähmt wieder", heißt es da, oder: "Nach einem friedlichen Marsch | |
versammelten sich Jugendliche vor dem Polizeiposten der Region El Kalâ und | |
zündeten ihn an." | |
Auch in anderen Zeitungen Tunesiens findet die Gewalt nach Wochen des | |
Totschweigens plötzlich breiten Raum. Es wird offen und sachlich berichtet, | |
manche Journalisten erlauben sich sogar Ironie: "Tunis war gestern ebenso | |
wie das Wetter sehr gestört", schreibt Le Quotidien: "Die Ausgangssperre | |
ermuntert die letzten Fußgänger, schneller zu gehen." | |
Aber man sollte sich nicht täuschen lassen: Die Medien bleiben | |
gleichgeschaltet, und ihre wichtigste Botschaft lautet: Präsident Ben Ali | |
hat die Lage im Griff. Der Präsident habe "eindeutige Anweisungen" erteilt, | |
"das Recht auf friedliche Kundgebungen zu garantieren und gegenüber den | |
Bürgern keine Gewalt anzuwenden", melden alle Zeitungen an hervorgehobener | |
Stelle. "Präsident Ben Ali entscheidet", lautet die Spitzenmeldung der | |
gesamten Donnerstagspresse: ein neuer Innenminister; Freilassung aller | |
Inhaftierten; eine Untersuchungskommission zu "möglichen Übergriffen" und | |
eine weitere für "das Problem der Korruption und die von gewissen | |
Verantwortungsträgern begangenen Irrtümer"; schließlich ein Aufruf zu einer | |
Sondersitzung des Parlaments. | |
Ben Ali rettet das Land, das ist die Botschaft. Tunesien werde nicht wie | |
einst das antike Karthago in Staub zerfallen, mahnt Le Temps in einem | |
Kommentar, nennt den Staatschef einen "leuchtenden Stern" und beschimpft | |
die "vermummten Horden, die vor nichts zurückschrecken". Ganz ernsthaft | |
schreibt der Kommentator: "Es ist wahr: Eine soziale Krise ist ein Zeichen | |
von Lebendigkeit." | |
Für wirkliche Lebendigkeit müssen die Tunesier also wohl weiterhin auf das | |
große Nachbarland Algerien schauen, wo soziale Revolte ebenso zum Alltag | |
gehört wie öffentliches Schimpfen auf die Regierenden. "Tunesien: Der | |
Aufstand an der Pforte Karthagos", titelt El Watan, eines der Kampfblätter | |
der einstigen algerischen Demokratiebewegung von vor zwanzig Jahren, und | |
schreibt: "Tunesien erlebt eine historische Wende. Im Konflikt zwischen | |
Volk und Staatsmacht gibt es kein Zurück mehr." Genau das Gegenteil des | |
Eindrucks, den Tunesiens Presse zu erwecken versucht. | |
Das Schwesterblatt Liberté vergleicht den Ben-Ali-Clan mit den Familien | |
Somoza und Pinochet. Ebenso wie diese habe er durch seine Gier die eigene | |
Mittelschicht gegen sich aufgebracht. Eine solche Analyse ist natürlich | |
auch eine Art, Dinge zu sagen, die man in Algerien über die eigenen | |
Machthaber lieber verschweigt. | |
13 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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