# taz.de -- Als taz-Journalist in Tunis unterwegs: Vorsicht, Scharfschützen! | |
> Die Taxifahrt durch menschenleere Straßen nimmt ein jähes Ende. Soldaten, | |
> ein Panzer. Aussteigen. Wir sitzen mit erhobenen Händen da. Und schauen | |
> in Gewehrläufe. | |
Bild: Gefahr von allen Seiten: Sicherheitskräfte auf den Straßen von Tunis. | |
TUNIS taz | Der Anruf meines Kollegen von der Berliner Zeitung am Sonntag | |
kommt kurz nach 16.30 Uhr: "Die schießen rund ums Innenministerium, pass | |
auf dich auf." Es sind wohl Scharfschützen der alten Präsidentengarde, die | |
Armee hält dagegen. | |
Bis zur Ausgangssperre sind es noch anderthalb Stunden. Ich bin in der | |
Banlieue, wo mich der junge Taxifahrer Choukri seinen Freunden vorgestellt | |
hat. Wir rauchen und plaudern über die Lage der Jugend und die Hoffnungen | |
für die Zukunft nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali. | |
Choukri reagiert gelassen: "Ich fahre Sie, keine Sorge." Mein Kollege gibt | |
telefonisch Anweisungen, welche Straßen sicher sein könnten, um an die | |
Rückseite unseres Hotels direkt gegenüber dem umkämpften Ministerium zu | |
gelangen. Wir erreichen die Innenstadt. Noch 500 Meter. Die Fahrt durch | |
menschenleere Straßen nimmt ein jähes Ende. Soldaten, ein Panzer. Wir | |
werden, Maschinenpistolen, im Anschlag gestoppt. Ich verstehe kein Wort und | |
mache einfach, was Choukri macht. Aussteigen. | |
Mit einer leichten Bewegung des Gewehrlauf werden wir auf den Boden | |
befohlen. Wir sitzen mit erhobenen Händen da. Und schauen in Gewehrläufe. | |
"Sahafi alemani", "deutscher Journalist", rufe ich. Das Taxi wird | |
durchsucht. "Fahrt, fahrt!" Erleichterung. So viel Arabisch kann ich. | |
Die letzten zwei Blocks. Wieder eine Kontrolle. Aufgebrachte Jugendliche | |
mit Knüppeln und Steinen, die ihre Wohnblocks schützen. Auch sie | |
beschließen, dass wir "sauber" sind: "Cest pour votre sécurité" – "Das ist | |
zu Ihrer Sicherheit", entschuldigen sie sich auf Französisch. Überall sind | |
Schüsse zu hören. Dumpfe Knalls der automatischen Waffen. Kreisende | |
Hubschrauber. | |
Ich habe noch zwei Blocks. Ich renne los. Mich stoppt ein schwarz | |
gekleideter Mann mit Pistole. "Police", identifiziert er sich. "Sahafi | |
alemani", sage ich. | |
Zum Hotel sind es nur noch hundert Meter. Dort um die Ecke. "Nicht | |
machbar", erklärt der Polizist und führt mich in einen Hauseingang, wo er | |
mit seiner Einheit Unterschlupf gefunden hat. Mein Kollege ruft erneut an: | |
"Ich bin bei den Bullen", rufe ich ins Handy. "Ich bin kein Bulle, ich bin | |
Polizist", ruft der Beamte neben mir wütend auf Deutsch. "Ich bin da, um | |
Ihnen zu helfen." | |
Anderthalb Stunden im Treppenhaus glätten die Wogen. Der Beamte erzählt von | |
sich, seiner Jugend in Köln, seiner deutschen Frau, dem Baby, das sie | |
erwarten. Ich von Baden-Baden und Madrid, meiner spanischen Frau, unserer | |
20-jährigen Tochter. Endlich: "Straße sauber", kommt es aus dem Funkgerät. | |
"Nejib" - "Reiner" - "Pass auf dich auf." - "Du auch." Ich erreiche das | |
Hotel. Mein mutiger Taxifahrer Choukri meldet sich wohlbehalten am Handy. | |
Ich kaufe mir ein Bier und mache, was ich jeden Sonntag tue. Ich schaue | |
"Tatort" per Internet. Ich sitze auf dem Boden. Licht aus, Vorhänge zu. | |
Draußen geht das Spektakel noch bis in die späten Abendstunden weiter. | |
17 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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