# taz.de -- Konflikte zwischen Lehrern und Schülern: Frau Sarrazin ist kein Ei… | |
> Die Unterrichtsmethoden von Ursula Sarrazin erhitzen die Gemüter. Doch | |
> LehrerInnen, die ihre SchülerInnen verbal niedermachen, gibt es an vielen | |
> Schulen. Fehlverhalten zu sanktionieren ist schwierig. | |
Bild: Alles ruhig hier - noch. | |
In einem Punkt hat sie recht, die umstrittene Grundschullehrerin Ursula | |
Sarrazin: Dass sie, der Ausfälligkeiten gegenüber SchülerInnen vorgeworfen | |
werden, so im Licht der Öffentlichkeit steht, ist tatsächlich ihrer | |
ehelichen Verbindung zum Provokateur und Autor Thilo Sarrazin | |
zuzuschreiben. Denn mit dem, was Ursula Sarrazin da tut - und was sich | |
angesichts der Fülle von Vorwürfen wohl nicht mehr von der Hand weisen | |
lässt -, ist sie kein Einzelfall. Dass Kinder und Jugendliche von | |
Lehrkräften abqualifiziert werden, Demütigungen und Beleidigungen | |
ausgesetzt sind, passiert leider an vielen Berliner Schulen - ohne dass | |
darüber berichtet wird. | |
Es beginnt bei der Hauptschullehrerin, die von ihren SchülerInnen nur als | |
"die" spricht: "Die" wollten das von ihr geplante Ausflugsziel nicht, "die" | |
finden 3 Euro pro Mittagessen zu teuer, "obwohl sie alle teure | |
Markenturnschuhe haben". Und geht bis zum Kreuzberger Gymnasiallehrer, der | |
seine Unter- und MittelstufenschülerInnen als "aus asozialen Familien | |
stammend", "lernbehindert" und "für das Gymnasium sowieso nicht geeignet" | |
beschimpft. Seinen OberstufenschülerInnen empfiehlt er, den Lernstoff fürs | |
Abi doch einfach auswendig zu lernen: Das dürfe für sie ja kein Problem | |
sein, schließlich lernten sie ja alle den Koran auswendig. | |
Manche Mütter und Väter wehren sich gegen solche Ausfälle: Jährlich | |
erreichen laut Bildungsverwaltung bis zu 1.000 Elternbeschwerden die | |
regionalen Schulaufsichten. Diese Zahl blieb in den letzten drei Jahren | |
konstant. Kann ein deutliches Fehlverhalten des Lehrers belegt werden, gebe | |
es verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, so eine Sprecherin: Die Lehrkraft | |
könne aus einer Klasse genommen oder an eine andere Schule versetzt werden. | |
Je nach Rechtslage könne man den Betroffenen auch ganz aus dem Lehrbetrieb | |
nehmen und in einem anderen Bereich beschäftigen. | |
Wie oft solche Sanktionen tatsächlich verhängt werden, konnte die | |
Sprecherin am Montag nicht sagen. Das Verfahren scheint kompliziert: Alle | |
in der Vergangenheit bestehenden Beschwerden gegen Ursula Sarrazin hätten | |
nach ihrer Prüfung keine Grundlage für dienstrechtliche Konsequenzen | |
geboten, so die Bildungsverwaltung. | |
"Am Beispiel der jahrelangen Debatten um Ursula Sarrazin wird deutlich, | |
dass es angesichts des geltenden Beamtenrechts ein schwieriges Unterfangen | |
ist, mit massiven Beschwerden umzugehen", sagt Günter Peiritsch. Er sitzt | |
im bezirklichen Elternausschuss in Charlottenburg-Wilmersdorf und hat die | |
Vorwürfe gegen Ursula Sarrazin öffentlich gemacht. | |
Peiritsch will wissen, was alles passieren muss, damit einem Lehrer bei | |
entsprechendem Fehlverhalten die gleichen Konsequenzen drohen wie sonst im | |
öffentlichen Leben üblich. Jeden Tag würden weitere Vorfälle bekannt, sagt | |
der Elternvertreter. "Wir gehen mit den gesammelten Beschwerden sorgfältig | |
um und werden das auch entsprechend weiterverfolgen." | |
LehrerInnen, die ihre SchülerInnen beschimpfen, sind - zum Glück - eine | |
kleine Minderheit. Tatsächlich wird an den meisten Schulen versucht, einen | |
respektvollen Umgang zu pflegen. Sicherlich stimmt es auch, dass | |
SchülerInnen und Eltern selbstbewusster geworden sind - und einen Lehrer | |
auch mal in die Enge treiben können. | |
Evelin Lubig-Fohsel, Lehrerin im Ruhestand und Dozentin bei | |
Lehrerfortbildungen, unterrichtete ab 1969 jahrzehntelang an Grundschulen. | |
In dieser Zeit veränderte sich das Verständnis von Schule, so ihre | |
Beobachtung. "Früher haben die Eltern ihre Kinder abgegeben und sich nicht | |
weiter gekümmert. Heute schauen sie genauer hin, was an einer Schule | |
passiert." | |
Gerade Eltern aus der Mittel- und Oberschicht wüssten mehr über | |
Bildungskonzepte. "Sie hinterfragen, was im Unterricht passiert - und | |
mischen sich ein." Viele ihrer KollegInnen hätten aber nicht das Bedürfnis | |
danach, sich mit den Eltern zu befassen. "Sie glauben von sich: Ich bin im | |
Klassenzimmer der Chef, mir kann keiner reinreden." Das sei in der | |
Schulkultur so angelegt. | |
Denn in Schulen - das wird von denen, die Ursula Sarrazin in Schutz nehmen, | |
gern vergessen - haben trotz gestiegenen Selbstbewusstseins von Schülern | |
und Eltern die Lehrer die Macht immer noch in der Hand: Sie verteilen | |
Noten, sie können Fehlverhalten nicht nur sanktionieren, sondern vor allem | |
definieren. Klagen von Eltern und Schülern über Lehrer sind dagegen leicht | |
auf die Ebene persönlicher Empfindlichkeit zu schieben. Schulinterne | |
Beschwerden werden zudem aus Angst vor Nachteilen fürs Kind oft vermieden. | |
Auf Konflikte mit Eltern würden Lehrer in ihrer Ausbildung überhaupt nicht | |
vorbereitet, sagt Lubig-Fohsel. Auch Probleme, sich in Klassen | |
durchzusetzen, sprächen die meisten aus Angst vor einem Gesichtsverlust im | |
Kollegium nicht offen an, berichtet sie. "Man macht die Tür zu und muss | |
allein klarkommen. Lehrkräfte begreifen sich in der Regel als | |
Einzelkämpfer", so Lubig-Fohsel. Anlaufstellen für überforderte Lehrer gebe | |
es an Schulen nicht. Wer Hilfe brauche, könne sich an die | |
Lehrergewerkschaft wenden. | |
18 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
Alke Wierth | |
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