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# taz.de -- Antiatomkraft-Film "Restrisiko": GAU in Oldenbüttel!
> Am Dienstag zeigt Sat.1 mit "Restrisiko" (20.15 Uhr) den Film zur
> Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Der ist richtig gut. Und bezieht
> engagiert Position.
Bild: Auweia, was ist denn da los? – AKW-Direktor Ludger Wessel (Kai Wiesinge…
Zwei Äpfel, sorgfältig in Plastiktüten verpackt, wechseln den Besitzer:
"Sag den Kindern, dass sie von mir sind" – wenn so etwas aus dem Mund einer
AKW-Sicherheitschefin kommt, dürfte klar sein, dass es um die Lage nicht
eben gut bestellt ist. Zwei Millionen Menschen müssen evakuiert werden, als
im Sommer 2011 das fiktive Atomkraftwerk Oldenbüttel im lieblichen
Hamburger Umland den Geist aufgibt und nicht nur das Obst verstrahlt.
Dabei ging es gerade erst runderneuert wieder ans Netz. Die Politik hatte
auf Druck der Atomlobby eine Laufzeitverlängerung durchgesetzt. Die Hanse-
wird zur Geisterstadt, in der wie zu Sturmflutzeiten mal wieder die
Bundeswehr aushelfen darf – diesmal aber, um Plünderungen zu verhindern.
Weil der rund 40 Jahre alte, nachgerüstete Meiler schon nicht mehr mit
voller Leistung lief, blieb immerhin die totale Katastrophe aus. Die größte
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist es trotzdem. Und
obwohl es sich hier um Fiktion handelt, kommt die Reaktion der Politik
höchst real daher: Der Untersuchungsausschuss macht in stoischer
Gelassenheit seine Arbeit, erkennt auf "menschliches Versagen" – und lässt
die anderen während der Untersuchung abgeschalteten Reaktoren der
entsprechenden Baureihen wieder ans Netz.
Doch Oldenbüttels Sicherheitschefin Katja Wernecke (Ulrike Folkerts) hat
genug. Genug von AKW-Chef Ludger Wessel (Kai Wiesinger), der um jeden Preis
am Netz bleiben will. Und der sich in einer Mischung aus Trotz und
Technikgläubigkeit lieber selbst bezichtigt, damit er vor dem Ausschuss
sein "Die anderen Reaktoren sind sicher" sagen kann. Genug von ihren
KollegInnen, die aus Angst um ihre Jobs und aus Corpsgeist lieber Wessel
folgen und ihm nicht widersprechen. Genug von der Politik, die sich weiter
von der Energieerzeugerlobby einseifen lässt.
Wernecke macht sich auf ins verstrahlte Oldenbüttel, um Dokumente des schon
vor dem GAU verstorbenen Chefingenieurs Bernd Mahlsdorf zurückzuholen, in
denen dieser diverse Ungereimtheiten über den Reaktor gesammelt hat.
Das Timing von "Restrisiko" ist nach TV-Maßstäben perfekt: Schneller ist
ein großer fiktionaler Stoff zu einer laufenden politischen Debatte im
deutschen Fernsehen selten fertig geworden. Doch wer hinter der Story über
die letztlich unbeherrschbare Atomenergie engagierte öffentlich-rechtliche
Doku-Fiction wittert, irrt. Der Bewegungsmelder heißt: Sat.1.
Risiken und Nebenwirkungen
Ausgerechnet ein Sender aus der TV-Gruppe, der die Medienaufseher wegen
mangelhafter Nachrichten und Informationssendungen im vergangenen Jahr noch
mit Sanktionen drohten, bringt ein heißes Eisen par excellence ins
Programm. Und bezieht engagiert Position. "Restrisiko" ist ein
Antiatomkraftfilm, der gut nachvollziehbar kritische Punkte der bald ganz
real anstehenden Nachrüstung der Altmeiler benennt: von der
Wagenburgmentalität der Kraftwerker, die sich zu Unrecht von der
Öffentlichkeit als "Schmuddelkinder der Nation" diffamiert sehen und schon
mal den einen oder anderen meldepflichtigen Störfall kalt weglächeln, bis
zum Risiko durch die nachrüstenden Fremdfirmen, denen es mit der
Strahlendosis bei den Mitarbeitern nicht ganz so wichtig ist.
Als im Film ein Plasmaschweißer Überdosisalarm auslöst und dann
dekontaminiert wird, gehört das zu den eindrücklichsten Szenen. Wie hier
archaisch – nämlich mit kaltem Wasser – einer unsichtbar-strahlenden Gefahr
im ganz wörtlichen Sinne zu Leibe gerückt wird, weil es andere Mittel nicht
gibt, sagt eigentlich alles aus.
Auch die Schauspieler selbst beziehen Position. Dass "wir mit dem Stoff
ganz nah dran an der aktuellen Debatte: Laufzeitverlängerung, Nachrüstung
der alten AKWs, sind, hat uns natürlich befeuert" sagt Ulrike Folkerts.
"Restrisiko" könne hier einen Beitrag leisten; "darauf aufmerksam machen,
was im schlimmsten Fall passieren könnte. Denn das spricht in der
politischen Debatte natürlich keiner wirklich aus. Es wäre fatal, wenn erst
etwas passieren müsste. Wir müssen vorher lernen."
Für Kai Wiesinger, der Katja Werneckes Vorgesetzten Wessel spielt, geht die
Botschaft des Films dabei noch weiter: "Die Story zeigt, wie prosaisch
manche Sachen sind: Man will Karriere machen, den Arbeitsplatz behalten –
das ist doch nur menschlich. Und doch kann das zur Katastrophe führen, weil
man nur an sich denkt und das Allgemeinwohl ausblendet."
Wie er seine Rolle spielt, hat "aber nichts mit der aktuellen Diskussion zu
tun. Die Frage ist eben sehr, sehr schwer zu beantworten: Im Prinzip bin
ich natürlich gegen Atomkraft – aber das ist so eine wohlfeile Aussage wie
,Ich bin für eine Welt ohne Krieg'. Natürlich bin ich das, aber es ist ein
sehr langer Weg."
"Restrisiko" hätte auch ziemlich schiefgehen können. Ähnlich schief wie der
auch von Sat.1 produzierte und ebenfalls engagiert gemeinte, aber völlig
überzogene "Neue-Nazis"-Schocker "Die Grenze" im letzten Jahr. Zur
Erinnerung: Da hockten bleiche Rechte in Traumschiff-tauglichen Villen und
gewannen Wahlen, die alte Linke agitierte derweil die tumben Ossis, und
dann wurde auch noch die Mauer wiederaufgebaut. Das war zwar auch mehr, als
sich die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland trauen – aber eben stulle
umgesetzt
Das Comeback von Sat.1
Mit "Restrisiko" meldet sich Sat.1 dagegen auf der politisch relevanten
Bühne zurück – und Produzentin Alicia Remirez ist denn auch "ein bisschen
stolz" auf ihren alten Sender, bei dem sie früher TV-Movie-Chefin war – und
der sich jetzt "so etwas traut". Und dabei noch fast alle Klippen,
umschifft, die wegen der allgegenwärtigen Quotenschielerei längst nicht nur
im Privatfernsehen Usus sind.
Obwohl: Ein bisschen Dreiecksgeschichte gibt es auch, doch die ist gekonnt
ins Drehbuch eingebaut. Dabei quält der Film nicht mit der
Hoffnungslosigkeit von "Die letzten Kinder von Schevenborn", dafür sorgt
schon die fidele Abgründigkeit des vom AKW-Betreiber eingekauften
Spin-Doctors Steffen Strahtmann. Den spielt Matthias Koeberlin und zeigt:
Selbst in diesem harten Stoff gibt es Lacher.
Zumal "Restrisiko" unfreiwillig sogar noch ein indirekter Schlenker auf
andere aktuelle Skandale gelingt: Die Äpfel, die Katja Wernecke ihrem Ex
für die Kinder mitgibt, kommen nämlich nur laut Kiste aus dem
unverstrahlten Südafrika. In der fiktiven Wahrheit des Film sind sie aus
dem Alten Land – liebevoll umgepackt von einer korrupten
Lebensmittelindustrie.
Genau der Unterhaltungswert mit Aktualitätsbezug ist auch Sinn der Sache,
sagt Roland Roth, Spezialist für soziale Bewegungen und Politikprofessor in
Magdeburg: "Die Fiktionalisierung macht Dinge zugänglich, die sonst
ausgespart blieben." Es braucht eben auch Lebensgefühl und Emotion – "mit
kühler Argumentation allein erreicht man das oft nicht".
Beim Thema Atomenergie kommt dann noch das hinzu, was der Philosoph Günther
Anders als prometheisches Gefälle bezeichnet hat, sagt Roth: "Wir können
diese Dinge her-, aber uns ihre Folgen nicht wirklich vorstellen. Wie
vorstellbar ist denn Atommüll, der noch in 50.000 Jahren strahlt?" Filme
dagegen könnten durch die Reduktion eines komplexen Themas auf
nachvollziehbare Geschichten diese Vorstellungskraft zumindest anregen.
Dumm nur, dass die Anti-AKW-Bewegung bisher eher nicht auf Sat.1 als
Stammsender abonniert ist. Dabei endet der Film sogar mit elegischen
Originalaufnahmen der großen Demo in Berlin vom September 2010.
18 Jan 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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