# taz.de -- Anti-Atomkraft-Thriller: Im sichersten Kernkraftwerk der Welt | |
> In dem nie angelaufenen AKW in Zwentendorf in Österreich dreht Sat.1 | |
> einen Anti-Atomkraft-Thriller – und Welten prallen aufeinander. | |
Bild: Drehort für den Anti-Atom-Thriller: Das AKW Zwentendorf, welches nie in … | |
ZWENTENDORF taz | Der Hund fährt nicht gern Fahrstuhl. Aber er muss mit, | |
rauf, auf 39 Meter. Da, wo die Brennelement-Wechselmaschine hängt. Hier ist | |
Johann Fleischer in seinem Element. Ran an den Kran, der den 60 Tonnen | |
schweren Deckel hin- und herbewegt. Unter der Maschine tut sich der Reaktor | |
auf, knapp 20 Meter tief nichts als fabrikneuer Stahl. Der Hund bleibt | |
schüchtern am Rand und wirkt nicht ganz so begeistert wie Herrchen. | |
"Nein", sagt die junge Dame von der Energie Versorgung Niederösterreich | |
(EVN), die heute hier ist, weil Journalisten da sind, den Namen des Tieres | |
kenne sie auch nicht. "Ich nenne ihn einfach ,Hund'". Und weil der immer | |
nah bei Johann Fleischer bleibt, ist er für das deutsche Filmteam, für das | |
Fleischer gerade den Reaktordeckel lupft, längst der "Fleischer-Hund". | |
Mit Kommissar Rex hat das aber alles herzlich wenig zu tun, auch wenn sie | |
für Sat.1 drehen. "Restrisiko" ist der Film zur aktuellen Politdebatte. "Es | |
handelt sich um einen Anti-Atom-Thriller", befindet kurz und bündig eine | |
Meldung auf der Website des Drehorts, der Marktgemeinde Zwentendorf an der | |
Donau. Da kann Produzent Ivo-Alexander Beck noch so oft beharren, "wir | |
drehen hier keinen Propagandafilm": Die Botschaft von "Restrisiko" ist | |
einfach, klar - und wichtig: Atomkraft? Nein danke! | |
Ulrike Folkert spielt Katja Wernecke, Sicherheitschefin des AKWs | |
Oldenbüttel bei Hamburg. Einer dieser alten Meiler, deren Laufzeit eben | |
verlängert wurde und der ein bisschen nachgerüstet wird. Für eine Million | |
Euro Gewinn am Tag nimmt man da schon einiges in Kauf. Doch dann macht es | |
"bum!", und es fallen nicht nur die Kühe um. | |
Tschernobyl ist das zwar noch nicht, aber Hamburg plötzlich kontaminiert | |
und menschenleer. Und Katja Wernecke muss nicht nur erkennen, dass sie ihr | |
Vorgesetzter Wessel (Kai Wiesinger) schon lange Zeit verladen hat, sondern | |
sich auch noch vor einem Untersuchungsausschuss in Berlin verantworten: War | |
es ihre Schuld und damit menschliches Versagen - oder sind die alten AKWs | |
schlicht brandgefährlich? | |
Mit dem AKW Zwentendorf an der Donau hat "Restrisiko" die ideale Kulisse | |
gefunden: 1972 begann hier der Bau, 1978 waren die Brennelemente schon | |
installiert, da kippte ein Volksbegehren ganz knapp den Atomeinstieg | |
Österreichs. | |
Am 5. November stimmten 1.606.308 ÖsterreicherInnen gegen das "Gesetz zur | |
friedlichen Nutzung der Atomtechnologie". Zwentendorf ging nie in Betrieb, | |
und am Netz hängt die Anlage heute nur, weil der neue Eigentümer EVN rund | |
um den Atommeiler Solarpanels installiert hat. | |
Auch wenn "Restrisiko" politisch eindeutig ist: Johann Fleischer wahrt | |
stets die Contenance, wenn er zum x-ten Mal Mitglieder der Crew und deren | |
Gäste durch "sein" AKW führt. Fleischer ist vom Scheitel bis zur Sohle | |
Kraftwerksdirektor und spricht natürlich von "Kernkraft", die vollkommen | |
sicher sei: "Auch beim Störfall hat man es im Griff", sagt er dann. | |
Zwentendorf ist baugleich mit diversen deutschen AKWs aus den 1970ern wie | |
Brunsbüttel und Krümmel, "sehr effizient, sicher gearbeitet", von Siemens | |
eben. Kleinere Havarien wie in Krümmel sind für Fleischer Routine: | |
"Trafobrände haben Sie in jeder Anlage", das gehöre dazu: "Alle fünfzehn, | |
zwanzig Jahre mal ein Trafo, das nimmt man als Normalzustand", sagt | |
Fleischer trocken in die konsternierten Gesichter seiner Zuhörer. | |
Der kleine Mann im braunen Anzug bleibt aber auf diese ganz eigene | |
österreichische Weise bei allen Meinungsverschiedenheiten immer Gentleman: | |
"Darf ich bitten, dass wir jetzt auf die 27-Meter-Ringebene fahren?" | |
Der Herr des Kraftwerks, Besucher und Hund trollen sich wieder zum | |
Fahrstuhl, vorbei an kilometerlangen Rohrleitungen, 30 Jahre alten | |
Armaturen und Kontrollanzeigen, die ganz neu und doch völlig von vorgestern | |
aussehen. Hier und da fehlt ein Stück: "Die Düsen wurden verkauft. Da sind | |
nur Stopfen drin", sagt Fleischer dann ein bisschen traurig. | |
Denn Zwentendorf ist seit Jahren ein permanentes Ersatzteillager für die | |
baugleichen deutschen Reaktoren. Auch neue Technik für Krümmel & Co. wird | |
oft erst einmal in Zwentendorf getestet, bevor sie sich im laufenden | |
radioaktiven Betrieb bewähren muss. | |
Außerdem ist das Kraftwerk so etwas wie die AKW-Schule für halb Europa: | |
Kraftwerksbetreiber lassen hier ihre Mannschaften schulen, man darf in der | |
Schaltzentrale oder sogar mitten im Reaktorkern rauchen, was Fleischer auch | |
genussvoll tut, bevor er die Handhabung der Steuerelemente für die | |
Brennstäbe erläutert: "Bei einer Notabschaltung werden die innerhalb von | |
drei Sekunden in den Reaktorkern geschossen und dann steht die Anlage | |
still." | |
So stolz Fleischer auch ist, dass jetzt in "seinem" AKW ein Film gedreht | |
wird: Dass es ausgerechnet ein Anti-AKW-Thriller wird, für den sich | |
Fleischer mit allem Elan hergibt, hat etwas Tragikomisches. | |
In einer Drehpause am frühen Nachmittag macht sich Regisseur Urs Eggers | |
("Opernball") so seine Gedanken. Für den DDR-Grenzer-Film "An die Grenze" | |
hat er den Grimme-Preis bekommen, und es sei "schön, wieder etwas zu | |
machen, was im wahrsten Wortsinn heiß ist". | |
Durch die eben beschlossene Laufzeitverlängerung der AKWs in Deutschland | |
"nimmt die Wichtigkeit des Films ja noch zu". Er selbst hat eine klare | |
Meinung: "Es geht nicht, es gibt vor allem das ungelöste Problem: Wohin mit | |
dem strahlenden Müll?" Authentisch will Eggers drehen, und authentisch ist | |
vor allem das Kraftwerk in Zwentendorf, das für den Film ein bisschen auf | |
norddeutsch gemacht wird: "Mit diesem Drehbuch hätte uns kein deutscher | |
AKW-Betreiber reingelassen." | |
Das Team am Set ist mit großer Mehrheit auch im wirklichen Leben auf | |
Film-Linie, nur ein Aufnahmeleiter, heißt es, sei eher pro Atomenergie. | |
Doch der wird sich den ganzen Tag lang nicht auftreiben lassen. Und | |
Fleischer? Der bringe in seiner Haltung auch die Wagenburgmentalität der | |
Atomkraftwerker zum Ausdruck, meint Eggers. | |
Dabei ist Johann Fleischer gelernter Konditor und eher auf Umwegen zum | |
"Direktor" eines AKWs geworden. Nun ist er aber voll im Stoff und macht mit | |
seinen Besuchern noch rasch einen Abstecher zur Montageluke irgendwo in der | |
Mitte des Reaktors. | |
Plötzlich geht ein Ruck durch die Gruppe: Männer in weißen Schutzanzügen | |
und Schutzhelmen kommen um die Ecke. Doch diesmal sind es keine Komparsen, | |
"das sind die Echten", raunt Fleischer, ein Übungstrupp aus Brunsbüttel. | |
Später wird es heißen, sie hätten schon in Deutschland angerufen und | |
Meldung gemacht, was denn da in Zwentendorf Kernenergiefeindliches gedreht | |
wird. | |
Dass sich Sat.1 mit dem Film, der Anfang 2011 laufen soll, so deutlich | |
positioniert, ist bemerkenswert. Ob etwa RTL sich an einen so engagiert | |
tagespolitischen Stoff herantrauen würde? RTL gehört schließlich zur | |
Bertelsmann AG. Deren Vorstandschef Hartmut Ostrowski hatte sich mit vor | |
den Karren der Atomlobby gespannt und als einer der prominentesten | |
Industriekapitäne deren "Energie-Appel" kurz vor der | |
Ausstieg-vom-Ausstieg-Entscheidung mit unterzeichnet. | |
"Wahrscheinlich ist das ganz oben bei Sat.1 noch gar nicht angekommen", | |
meint Regisseur Eggers: "Für die drehen wir einfach einen Katastrophenfilm, | |
der zufällig im AKW spielt." | |
Und der natürlich die aktuelle Situation für sich zu nutzen weiß. Am | |
Samstag wird bei der großen Anti-AKW-Demo in Berlin gedreht, denn, so | |
Eggers: "So viel Komparserie könnten wir uns gar nicht leisten." Nur Johann | |
Fleischer kommt nicht mit nach Berlin, er führt lieber Besucher in | |
Zwentendorf. Durchs sicherste AKW der Welt, stets begleitet von seiner | |
feinen Hundedame, die übrigens Lerni heißt. | |
17 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |