# taz.de -- Marx-Engels-Werke in der Lidl-Werbung: Redwashing beim Discounter | |
> Lidl bereut öffentlich sein Lohndumping – und hat als Beweis die Blauen | |
> Bände in seinen Werbeprospekt geschummelt. Wie passend: Die feiern gerade | |
> ohnehin ein Comeback. | |
Bild: In einen idealen Arbeitsraum gehören die Marx Engels Werke, so viel ist … | |
BERLIN taz | Die Firma Lidl, wegen extrem niedriger Löhne, Überwachung | |
ihrer Mitarbeiter und Preisdumpings zu Recht im Kreuzfeuer der Kritik, hat | |
öffentlich bereut und Besserung gelobt. Dass sich die Verwirklichung dieser | |
guten Vorsätze jetzt bis zur Propagierung des wissenschaftlichen | |
Sozialismus in der Werbung der Firma erstrecken würde, war allerdings nicht | |
abzusehen. | |
Im Prospekt von Lidl vom 20. Januar dieses Jahres findet sich unter der | |
Rubrik "Ideale Arbeitsräume schaffen" das Angebot eines Regals mit drei | |
Fächern zum herabgesetzten Preis von nur 24,99 Euro. Im mittleren Fach | |
stehen nicht weniger als sechs Bücher aus der vierzigbändigen Ausgabe der | |
Werke von Marx und Engels, abgekürzt MEW – Insidern besser bekannt unter | |
den Namen "Blaue Bände". | |
Die MEW basierten auf einer von der Sowjetunion erstellten Edition, weshalb | |
Vorwort und Stichwortverzeichnis sowjetischen Ursprungs waren. Die Deutsche | |
Ausgabe war vom Zentralkomitee der SED editiert. Dieser Umstand hinderte | |
die revolutionär gesinnten, der Sowjetunion und der DDR kritisch | |
gegenüberstehenden Studenten der 60er und 70er Jahre überhaupt nicht daran, | |
die zum Preis von zehn Ostmark pro Band angebotenen und in den Ostberliner | |
Buchhandlungen vergammelnden Werke massenhaft zum Schwindelkurs 1:5 zu | |
erwerben oder sie sogar vor den Augen der ungläubig staunenden | |
BuchhändlerInnen einfach zu entwenden. Sie wurden dann in den Regalen der | |
WGs Ausweis der linken Gesinnung. | |
Mit dem Niedergang der revolutionären Bünde, Parteien und Vereinigungen | |
Ende der Siebziger Jahre verloren auch die Blauen Bände ihrer didaktische | |
wie symbolische Funktion. Sie wurden verhökert oder in den Keller verbannt. | |
An eine Neuauflage war nicht zu denken. | |
Stattdessen nahm in den Siebzigern ein international zusammengesetztes | |
Gremium verschiederner Akademien und Forschungsinstitute von Amsterdam bis | |
Tokyo die Arbeit an der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) wieder auf. Die | |
war in den dreißiger Jahren unterbrochen worden, weil einige der führenden | |
Herausgeber im Gulag gelandet waren oder anderweitig umgebracht worden. Die | |
Bände dieser neuen MEGA sind allerdings so teuer, dass kaum ein Linker sie | |
sich leisten kann. Weshalb sie auch nicht recht ins Billig-Regal bei Lidl | |
passen. | |
Das alles hat sich allerdings seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 | |
grundlegend geändert. Begierig griffen junge Linke in den Antiquariten nun | |
zu den drei Bänden des "Kapital" und scheuten sogar nicht vor den ebenfalls | |
dreibändigen "Theorien über den Mehrwert" zurück. Manche der | |
Neu-Salonkommunisten ergatterten gar Ausgaben der "Grundrisse". Diese | |
weisen allerdings ein größeres Format auf als die Bände der MEW. | |
Alles in dem Bestreben, die Bankenkrise auf ihre materiellen Grundlagen, | |
die nun mal im Produktionsprozess liegen, zurückzuführen. Angesichts diese | |
Nachfrage-Booms soll der Verlag Dietz sogar die Druckmaschinen zwecks | |
Neuauflage verschiedener Blauer Bände wieder angeworfen haben. | |
Ob es Lidl allerdings eines Tages auch gelingen wird, die Blauen Bände zu | |
Billigstpreisen auf den Markt zu bringen, bleibt, wie es so schön im | |
Journalisten-Deutsch heißt, abzuwarten. | |
21 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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