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# taz.de -- Friedensprozess in Nahost: Neue Wege verzweifelt gesucht
> Die jetzt veröffentlichten Dokumente zu den israelisch-palästinensischen
> Verhandlungen zeigen: Alle Seiten haben ihre Glaubwürdigkeit längst
> eingebüßt.
Bild: Wie soll es weitergehen? Ein Palästinenser trauert in einer ausgebrannte…
Die Witze, die man sich in den palästinensischen Gebieten im Oktober 2010 -
hinter vorgehaltener Hand - über Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und
seinen Chefunterhändler Saeb Ereikat erzählte, waren nicht besonders
pointiert, eher offen despektierlich. Meist endeten sie mit einem
tierischen Vergleich, der die Herren in die Nähe von Eseln oder Schweinen
rückte, die Israel entweder zu Diensten waren oder von den Israelis
ausgehalten und gefüttert wurden.
Ihr eher simples politisches Empfinden dürften die Witzbolde in den jetzt
veröffentlichten Enthüllungen des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira
und des Guardian auf drastische Weise bestätigt sehen. Um die von Israel
und den USA geliehene Macht und ihren Einfluss zu bewahren, seien diese
Herren bereit, "Palästina zu verkaufen", legen die Dokumente nahe. Oder
hätten es gar längst getan, so die durchaus gängige Meinung der Straße in
Ramallah oder Hebron.
Die meisten Palästinenser dürfte es dennoch schockiert haben, jetzt schwarz
auf weiß zu lesen, dass Chefunterhändler Ereikat den Israelis im Oktober
2009 das "größte Jerushalayim in der Geschichte" anbot. Ausdrücklich
benutzte Ereikat das hebräische Wort für Jerusalem und nicht das arabische
al-Quds. Sogar das derzeit heftig umkämpfte Ostjerusalemer Viertel Scheich
Dscharrah könnte nach Meinung der palästinensischen Unterhändler zwischen
Israelis und Palästinensern geteilt werden.
Also alles Verrat, Ausverkauf von Land und juristischen Ansprüchen, von
internationalem Recht und heiligen Schwüren, Jerusalem niemals aufzugeben?
Wer jemals Zeuge der theatralischen Auftritte des ersten
Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat war, wenn es um Jerusalem ging,
wobei Arafat sich im eigenen Echo verfing, wenn er von einem
palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt sprach und Dutzende
Male "wa'l-Quds, wa'l-Quds, wa'l-Quds" deklamierte, der kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass von der "palästinensischen Standhaftigkeit"
bei den politischen Nachfolgern Arafats nicht viel übrig geblieben ist.
Wer in der heutigen Zeit Jerusalem besucht oder die besetzten
palästinensischen Gebiete bereist, von Jenin über Nablus und Ramallah bis
nach Bethlehem und Hebron, trifft allüberall auf israelische Siedlungen,
die die großen palästinensischen Städte umzingeln und die Vision eines
zusammenhängenden palästinensischen Staats als bloße Fata Morgana
erscheinen lassen. Also haben Abbas und Ereikat nur retten wollen, was gar
nicht mehr zu retten ist? Vielleicht glauben das noch die palästinensischen
Sicherheitskräfte und die Beamten, die im Autonomieapparat ihr Auskommen
gefunden haben, aber sonst niemand.
Es ist offensichtlich, dass die palästinensische Führung, die
internationale Gemeinschaft und Israel selbst jede Glaubwürdigkeit längst
eingebüßt haben, wenn es um die Frage von Gerechtigkeit und Freiheit, von
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in diesem Jahrhundertkonflikt geht. Die
alten politischen Wege haben ebenso ausgedient wie die alten politischen
Eliten.
Der Fernsehsender al-Dschasira hat schon manchen Strauß mit der
Autonomiebehörde ausgefochten, wiederholt wurde ihm die Berichterstattung
aus den palästinensischen Gebieten untersagt. Er gilt im
innerpalästinensischen Konflikt eher als Propagandist der Islamistentruppe
Hamas. Die dürfte die Enthüllungen denn auch als Wasser auf ihre radikalen
Mühlen ansehen. Aber so sehr sie sich in ihrer politischen Haltung von der
Abbas-Behörde unterscheidet, so wenig tut sie das in ihrer
patriarchalisch-arabischen Struktur. Die Abus entscheiden - ob islamistisch
oder fatahistisch.
So war es bisher, aber so kann es nicht bleiben und so wird es nicht
bleiben. Die Enthüllungen werden all jene im palästinensischen Lager
bestärken, die einen neuen Weg der politischen Repräsentation und Aktion
suchen.
Der Aufschrei palästinensischer Jugendlicher aus dem Gazastreifen vor
wenigen Wochen, der eine bittere Anklage gegen die Unterdrückung und
Beschneidung aller Lebensperspektiven durch die Hamas, Israel und die
internationale Gemeinschaft war, wird morgen überall Gehör finden, wo man
ihn bislang ignoriert hat. Und er wird Nachahmer und Gleichgesinnte finden,
die der inneren wie äußeren Gewalt ein Ende setzen wollen. Was er bräuchte,
aber noch nicht hat, ist ein israelisches Pendant.
25 Jan 2011
## AUTOREN
Georg Baltissen
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