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# taz.de -- Bootcamps für schwererziehbare Jugendliche: Meine Zeit als unberit…
> Anlässlich der Vorkommnisse auf der "Gorch Fock" reflektiert der
> Schriftsteller Uli Hannemann seine eigene Zeit als potentielle
> Kampfmaschine aus Fleisch, Blut und Amalgam.
Bild: Der Drill hatte uns bereits völlig abgestumpft.
Die Dampfschifffahrt scheint doch mittlerweile so weit ausgereift, dass
eine Unterweisung der Kadetten in die aktuelle Technik längst kein
unverantwortliches Vabanquespiel mehr darstellen müsste. Die
Offiziersanwärter bei der Infanterie üben doch auch nicht mit
Steinschleudern und Kriegselefanten. Die monatelangen Segeltörns auf
Staatskosten kommen mir vor wie einer dieser schwimmenden Bootcamps für
schwer erziehbare Jugendliche – und sind es letztlich wohl auch. Junge
Berufssoldaten zu resozialisieren dürfte nämlich ebenfalls nicht einfach
sein. Ihnen den Wunsch zum Töten auszutreiben, den Kadavergehorsam, die
Trinkspiele, die Frauenfeindlichkeit, den Stumpfsinn, kurz: die
Wehrfähigkeit.
Dazu muss ich nur an meine eigene Wehrdienstzeit bei den unberittenen
Husaren denken. Wie andere war auch ich dort drauf und dran, im
Dauerschatten eines menschen- und gesellschaftsfeindlichen Klimas zu einem
giftigen, fleischfressenden Mauerblümchen heranzuwachsen. Jeden Morgen
mussten wir früh aufstehen. Zuweilen war es noch nicht mal hell. Sondern
dunkel. Sehr dunkel. Der Drill war schier unmenschlich. Alle schrien.
Mit dem Panzer fuhren wir zum Teetrinken. Dabei zermatschten wir ohne
Rücksicht Unmengen unschuldiger Käferchen, die auf dem Pfad zur Teeküche
arglos ihre Nester und Garagen in den Morast hineinbauten. Die Käferchen
schrien nun gleichfalls, doch wir waren taub für ihre Not. Der Drill hatte
uns bereits völlig abgestumpft. Im Sommer schossen wir in der Stube oft das
ganze Magazin leer, wenn wir eine Mücke an der Wand entdeckten. Die war
dann auch manchmal tot hinterher, doch wir lachten nur. Der General lobte
uns dafür, bevor wir in den Heimaturlaub fuhren.
Kein Wunder, dass die meisten meiner damaligen Kameraden heute Verbrecher
sind, oder andere Berufe ausüben. Als potentielle Kampfmaschinen aus
Fleisch, Blut und Amalgam vegetieren sie mit Frau und Kindern in schönen
Häusern vor sich hin. Normalerweise müsste es mir genau so gehen, hätte ich
nicht sehr viel Glück gehabt. Denn ich lernte die Liebe kennen.
Ich befand mich auf meinem Heimweg von der "Fürst Henkel von Donnersmarck
Stahlburg Kaserne". Es war ein wunderschöner Maientag, doch für Schönheit
irgendeiner Form war ich zu jener Zeit schon lang nicht mehr empfänglich.
Nach Husarenart schlendernd schoss ich auf die Blütenköpfe zarter junger
Blumen, die unvorsichtig über die Gartenzäune lugten, und warf dabei mit
zackig geleerten Bierdosen um mich wie ein Zauberer mit Wunderkerzen. Da
erblickte ich auf einmal das Mädchen.
Sie warf sich schützend vor ein Tulpenbeet, das ich soeben ins Visier
nehmen wollte, und funkelte mich wütend an. Ihr Mut und ihr unbedingtes
Eintreten für die Kreatur imponierte mir. Beruhigend sprach sie auf die
heftig weinenden Tulpen ein, die in Panik zu flüchten versuchten,
ungeachtet der Tatsache, dass die Evolution sie bezüglich geeigneter
Fortbewegungsapparate grausam verarscht hatte. Heimlich betrachtete ich das
Mädchen durch eine Lupe: Sie war genaugenommen unfassbar hässlich, doch ihr
lustiger Hut aus Tamarindenmehl machte sie sehr schön.
Auf einmal passierte etwas unglaublich Unglaubliches in mir: Der eiserne
Kettenstrick um mein hartes Herz brach knisternd zusammen, meine Brust
weitete sich, ich atmete, fühlte, lebte wieder. Das Lenor der Liebe spülte
mich von innen heraus auf eine Weise weich, die ich längst vergessen hatte.
Unwillkürlich entstieg ein sanftes Fiepen meinem Mund. Ich zerknüllte mein
Gewehr und küsste das Mädchen. Sie küsste mich nicht zurück, weil sie
natürlich noch immer sauer wegen der Blumen war, logisch.
Ich würde ihr Herz erst langsam für mich gewinnen müssen, doch ich war auf
einem guten Wege. Die Liebe hat mich also gerettet, und zu dem gemacht, was
ich heute bin. Das Mädchen ist inzwischen längst tot oder woanders
hingegangen. Ich weiß es nicht, es ist auch nicht wichtig, die Zeit ist
eine schiefe Ebene aus Glas.
27 Jan 2011
## AUTOREN
Uli Hannemann
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