| # taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Bio ist auch keine Lösung | |
| > Auch "Bio" ist dem Effizienzgedanken unterworfen. Und bei der | |
| > Geflügelhaltung sieht es generell ganz besonders düster aus. | |
| > Tiergerechtigkeit? Fehlanzeige. | |
| Bild: Alles bio oder was? Zahmes Huhn in einem Garten. | |
| Neulich schrieb ich anlässlich des Dioxinskandals einen Kommentar über | |
| Bioeier. Ich wies darauf hin, dass es sich der Biokunde zu einfach macht, | |
| wenn er glaubt, dank eines Biosiegels automatisch ein ethisch vertretbares | |
| Nahrungsmittel zu erwerben. Auf meinen kurzen Kommentar hin bekam ich | |
| einige heftige Leserbriefe, von denen mir die meisten vorwarfen, ich würde | |
| Bioeier sozusagen nestbeschmutzen. Hier nun meine ausführliche Antwort. | |
| Vorab sei die Bemerkung erlaubt, dass der Grundsatz "Artgerechtigkeit", den | |
| wir mit "bio" assoziieren, in Bezug auf Legehennen streng genommen ohnehin | |
| keinen Sinn ergibt. Artgerecht ist es, wenn ein Vogel eine bestimmte Anzahl | |
| von Eiern legt, sich darauf setzt und brütet. Doch genau das vereiteln wir | |
| ja, damit wir Eier als Nahrung nutzen können. Den Legehennen, die heute an | |
| die 300 Eier pro Jahr legen, wurde der Bruttrieb weitestgehend | |
| weggezüchtet. Die Arterhaltung liegt daher komplett in Menschenhand. | |
| Es gibt kein Biohuhn | |
| Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Legehennenzucht immer stärker | |
| dem Imperativ der Effizienz gebeugt, und so ist Geflügelhaltung heute | |
| derjenige Zweig der Biolandwirtschaft, in dem Tiergerechtigkeit am | |
| schwierigsten umzusetzen ist. Fast alle heute auf dem Markt verfügbaren | |
| Hühner sind Hochleistungshybriden. | |
| Rentable Biozüchtungen gibt es fast nicht. Die Zuchtunternehmen, die die | |
| Elterntiere liefern, sind große, quasimonopolistische Firmen. (Der | |
| Weltmarktführer Lohmann Tierzucht zum Beispiel empfiehlt auf seiner Website | |
| "Lohmann Tradition" und "Lohmann Brown-Classic" als "für die alternative | |
| Haltungsform gut geeignet".) | |
| Nach einer Legeperiode von zwölf bis vierzehn Monaten sind die Tiere oft | |
| völlig ausgemergelt, ihre Legeorgane bis hin zur chronischen Entzündung | |
| überlastet. Wenn die Produktivität unter einen bestimmten Prozentsatz | |
| fällt, werden sie eingefangen, abtransportiert und geschlachtet. Weil diese | |
| Hühner so stark auf Legeleistung statt auf Muskelwachstum gezüchtet wurden, | |
| sind die Hähne nicht als Masttiere verwertbar, werden bereits in den | |
| Brütereien nach dem Schlupf aussortiert, in einer Art Häckselmaschine | |
| zerstückelt oder mit Kohlendioxid erstickt. | |
| Die weiblichen Tiere kommen im Alter von vier, fünf Monaten in die | |
| Legefarm. Nun ist Biofreilandhaltung zwar dafür bekannt, den Tieren mehr | |
| Platz zur Verfügung zu stellen, aber die Quadratmeterzahl allein ist keine | |
| Garantie für wirklichen Freilauf. Es kommt auf die Gestaltung des Stalls | |
| und des Auslaufs an, ob die 3.000 Tiere, die pro Stall zulässig sind, die | |
| Außenflächen auch tatsächlich nutzen. | |
| Warum einem auch in vielen Biolegefarmen blasse, zerrupfte und verletzte | |
| Tiere begegnen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich habe mit | |
| Tierärzten gesprochen, die sagen, dass Hühner ab etwa 30, 50 oder 100 | |
| Tieren keine stabile Rangordnung mehr aufbauen können. Die schwächeren | |
| Tiere seien daher also ständig vor den aggressiveren auf der Flucht. | |
| Leben in der Masse | |
| Der Agrarwissenschaftler Bernhard Hörning (FH Eberswalde) hingegen meint, | |
| gerade weil Hühner keine großen Gruppen mit stabilen Hierarchien ausbilden | |
| können, blieben die entsprechenden Rangkämpfe aus. Verhaltensstörungen wie | |
| das Federpicken hätten andere Ursachen, zum Beispiel plötzliche | |
| Schwankungen in Fütterung und Stallklima sowie einen Mangel an | |
| Beschäftigungsmöglichkeiten. Ein besonderes Problem des Biobereichs sei | |
| auch, dass es nicht genügend nicht genmanipuliertes Soja gibt und im | |
| Ökolandbau künstliche Aminosäuren verboten sind, weswegen die ausreichende | |
| Eiweißversorgung der Hochleistungshybriden schwer zu gewährleisten ist. | |
| Abgesehen davon gibt es natürlich auch im Biobereich Betriebe, die Auflagen | |
| zu umgehen versuchen. Offizielle Kontrollen finden nur einmal im Jahr (nach | |
| Anmeldung!) sowie gelegentlich stichprobenartig statt. Tierschützer und | |
| Landwirte, die privat (andere) Bio-Legebetriebe besuchen, erleben immer mal | |
| wieder, dass Freilaufflächen ungenutzt und die Tiere drinnen sind. | |
| "Und zwar gibt es für jeden der sieben Wochentage einen Grund, warum sie | |
| nicht rausgelassen werden: Entweder ist es zu heiß oder zu kalt, zu nass | |
| oder zu trocken, zu grell oder zu dunkel. Und am siebten Tag gibt es | |
| Vitamine", erzählt Eckard Wendt von der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte | |
| Nutztierhaltung e. V. | |
| Wie viel Ei brauche ich? | |
| Zur Sicherheit möchte ich nochmals beteuern: Es leugnet niemand, dass "bio" | |
| eine deutliche Verbesserung bei der Tierhaltung bietet, und unbestritten | |
| gibt es in diesem Sektor viele Idealisten, die versuchen, neue Wege zu | |
| gehen. Zum Beispiel lassen manche Biobetriebe die Tiere nicht gleich nach | |
| einem Jahr schlachten, sondern warten die Mauser ab, bis eine zweite | |
| Legeperiode beginnt. Der Verband Demeter versucht, mittelfristig die Zucht | |
| alternativer Hühnerrassen aufzubauen, und wiederum Demeter und die | |
| Erzeugergemeinschaft "Die Biohennen" setzen sich höhere Standards für | |
| Auslauf und Haltung. | |
| Doch über solche Details ihrer jeweiligen Anbieter müssen sich Biokunden | |
| selbst informieren. Der rasche Blick aufs Biosiegel allein genügt nicht, | |
| und die zentralen Fragen bleiben: Ab wann ist eine Verbesserung gut genug, | |
| und wie lassen sich weitere Verbesserungen vorantreiben? Auch Bioproduktion | |
| ist schließlich ein Wirtschaftszweig und muss wirtschaftlichen Erwägungen | |
| gehorchen. | |
| Die vom Handel gezahlten Eierpreise decken bereits jetzt oft nicht die | |
| Kosten. Wenn die Landwirte zu alten, robusteren Hühnerrassen zurückkehren | |
| würden (rein hypothetisch), die nur halb so viele Eier legen wie die | |
| Legehybriden, würde jedes Ei doppelt so teuer. Noch teurer, wenn die Tiere | |
| in kleineren Gruppen gehalten würden. Ist der Biokunde dazu bereit? | |
| Wenn ja, dann muss er dies den Anbietern von Bioeiern signalisieren und | |
| mehr Tiergerechtigkeit von ihnen fordern, denn auch bei "bio" sind es | |
| kritische Kunden, die die ethischen Standards vorantreiben. Oder man isst | |
| einfach keine Eier mehr. Ich habe mich für Letzteres entschieden und fühle | |
| mich äußerst wohl damit. | |
| 1 Feb 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Hilal Sezgin | |
| Hilal Sezgin | |
| ## TAGS | |
| Tier | |
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