# taz.de -- Unterengadin: Lautlos durch verschneite Berge | |
> Auf Schneeschuhen durch verschneite Wälder zum Crap Puter, ohne das Wild | |
> zu verschrecken. | |
Bild: Im Marsch zu den winterlichen Gipfeln des Schweizer Hochgebirges. | |
Postkartenhimmel über dem Unterengadin. Eben erreichen die ersten | |
Sonnenstrahlen die im Gegenlicht glitzernden Dächer von Tarasp-Fontana. In | |
der Nacht hat es kräftig geschneit, jetzt knirscht der Neuschnee unter den | |
Sohlen, die Luft ist trocken und kalt. Stoisch stapfen die | |
Schneeschuhwanderer im Entenmarsch hinter ihrem Guide her, den Blick auf | |
die ganz in Weiß gehüllte Berglandschaft gerichtet. Ihr Ziel ist der Crap | |
Puter. | |
Gemessen an den Dreitausenderriesen ringsum ist der Crap Puter mit seinen | |
knapp 2.400 Metern nur ein Winzling, obendrein ist der Tarasper Hausberg | |
technisch anspruchslos. Aber als Belohnung verheißt Lukas Barth ein | |
grandioses Panorama und vor allem eine tiefe Genugtuung über die erbrachte | |
Leistung. | |
Lukas Barth, ein athletischer Typ Mitte dreißig, ist eigentlich studierter | |
Biologe - und er war lange Kajakprofi. Weil Lukas Barth sich am liebsten in | |
der Natur aufhält, arbeitet er seit einigen Jahren als Outdoorunternehmer | |
im Unteren Engadin. Dort organisiert er Kajakabfahrten durch die | |
spektakuläre Innschlucht, im Sommer geführte Mountainbiketouren, im Winter | |
Schneeschuhwanderungen. Heute soll es in das stille Plavnatal gehen. | |
"Das Tolle an dieser Sportart ist ja, dass dabei auch Nichtskifahrer das | |
traumhafte winterliche Hochgebirge erleben können." Außerdem verursache man | |
keinen unnötigen Stress für das Wild. Denn im Gegensatz zu den | |
Tourenskiläufern steige man beim Schneeschuhwandern vom Gipfel genauso | |
gemächlich wieder herunter, wie man zuvor hinaufgestiegen ist. | |
Die Streusiedlung Tarasp-Fontana liegt hineingetupft auf einem Hochplateau | |
mit Wald und Wiesen zwischen 1.250 und 1.450 Metern, im Unterengadin der | |
einzige Ort auf der rechten Seite des Inns. Überragt wird der idyllische | |
Weiler von der Burg Tarasp. Zunächst geht es durch einen dichten | |
Fichtenwald. Manchmal, wenn die Schneeschuhläufer unter den Ästen | |
durchmüssen und sich nicht rechtzeitig wegducken können, ergießt sich die | |
kalte Pracht über ihnen. Dann ertönen laute Ahs und Ohs, ein wenig | |
entrüstet, aber auch begeistert über die Winterlandschaft ringsum. Die | |
meiste Zeit herrscht Stille | |
Die Kulisse wandelt sich. Hinter den dichten Wäldern öffnet sich das | |
Plavnatal zu einer weiten, mit windschiefen Hütten übersäten Almlandschaft. | |
In den aus rohen Fichtenstämmen gezimmerten Häuschen haben die Bauern | |
früher das Heu gelagert. Im Winter zogen sie es zu mächtigen Ballen | |
verschnürt auf ihren Schlitten ins Tal. | |
Heute sind die meisten Bergwiesen durch Forststraßen erschlossen, viele | |
werden nur mehr als Weiden genutzt. Der Tourismus wurde zur wichtigen | |
Einkommensquelle der Menschen vor Ort. Schon im 19. Jahrhundert war das an | |
mineralhaltigen Quellen reiche Tal von Touristen entdeckt worden. Damals | |
reisten Adelige und Bürger aus ganz Europa ins Unterengadin, um durch | |
Trinkkuren ihre Zipperlein zu heilen. | |
Heute reisen kaum mehr übergewichtige, gehfaule Kurgäste ins Unterengadin, | |
heute sind es naturbegeisterte Freizeitsportler wie Mountainbiker oder eben | |
Schneeschuhwanderer. Mittlerweile sind etwa 300 von 800 Höhenmetern | |
zurückgelegt, kurz vor der alten Plavnasäge geht es auf eine Weggabelung | |
zu. Weiter den Bachlauf entlang, erzählt Lukas Barth, führe ein früher viel | |
benützter Übergang zum Ofenpass. Von dort gehe es auf alten Saumpfaden nach | |
Italien. Und die habe schon Karl der Große während seinen Eroberungszügen | |
benützt. | |
Der Wanderführer zweigt nach rechts ab. In weiten Schleifen schlängelt sich | |
der Pfad zur Alp Laisch hoch. Obwohl die Sonne hoch steht und in das enge | |
V-Tal scheint, herrschen hier sibirische Temperaturen. | |
Der Guide spurt voraus, das Steigen im Tiefschnee ist mühsam, auf seiner | |
Fleecejacke haben sich Eiskristalle gebildet. Vor einigen Jahren, erzählt | |
Barth, habe es hier Pläne gegeben, die Nutzungsrechte am Plavnabach an die | |
Engadiner Kraftwerke AG zu verkaufen. Die Tarasper Bürger hätten jedoch | |
dieser Versuchung tapfer standgehalten. | |
Das Bestreben, das Plavnatal dem angrenzenden Schweizer Nationalpark | |
einzugliedern, wäre hingegen am Widerstand der Tarasper Hoteliers und | |
Restaurantbesitzer gescheitert: Die passionierten Jäger wollten es sich | |
nicht nehmen lassen, ihren Gästen eine Kostprobe vom selbst gejagten Wild | |
aufzutischen. | |
Am Rand einer buckligen Schneefläche duckt sich die Alp Laisch. Nach einer | |
kurzen Rast geht es weiter über schroffe Hänge, wo nur mehr verwachsene | |
Urlärchen und jetzt schneebedeckte Alpenrosen überleben können. Die | |
Wegweiser sind unter der weißen Schneedecke verborgen. Spitzkehre für | |
Spitzkehre malt die Tourengruppe ihre Spur in den steilen Berg. Plötzlich | |
geht es nicht mehr weiter. Die Schneeschuhwanderer haben den Gipfel des | |
Crap Puters erreicht. | |
Auf der gegenüberliegenden Talseite recken sich die Gipfel des | |
Unterengadins wie übereinandergelegte Scherenschnitte in den blauen Himmel | |
empor. Zum Greifen nahe erscheinen die Ötztaler Alpen, rechts Piz Sesvenna | |
und der majestätische Piz Chiavalatsch. | |
Weiter hinten im Osten, wo die Schweiz wie ein vergessener Wurstzipfel in | |
das benachbarte Südtirol hineinreicht, zeichnen sich die eisgepanzerten | |
Beinaheviertausender der Ortlergruppe ab. Tief unten im Tal, auf den | |
Terrassen der Südhänge, räkeln sich die Haufendörfer Sent, Ftan und Ramosch | |
im letzten Sonnenlicht - das Unterengadin breitet mit einer großmütigen | |
Geste seine Schätze aus. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Helmut Luther | |
## TAGS | |
Reiseland Schweiz | |
Reiseland Schweiz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Dorfleben im Unterengadin: Allegra im Tal der Eigensinnigen | |
Im Unteren Inntal sind nicht nur intakte idyllische Alpendörfer zu finden. | |
Im Unterengadin ist Vallader für viele immer noch die Muttersprache. |