Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- die wahrheit: Die Axt der Tellensöhne
> Wahl: Am Sonntag stimmen die Schweizer über ihr Waffenrecht ab.
Bild: Die Plakate zur Waffenabstimmung spiegeln die brutale und gewalttätige S…
Am 13. Februar stimmen die Schweizer wieder einmal über eine Initiative ab
- "die Volksinitiative für den Schutz vor Waffengewalt". Die größte
Bedrohung der Schweiz geht weder von den Muslimen und Minaretten noch von
den Russen und auch nicht von den europäischen Finanzministern aus. Die
reale Gefahr kommt aus dem Kern des Schweizertums, dem
Wilhelm-Tell-Syndrom: Aus Tells "Axt", die einem - nach Schiller - "den
Zimmermann erspart", ist heute das Sturmgewehr geworden, das den Ehekrach
entscheidet.
Bekanntlich hat jeder Schweizer Wehrpflichtige ein Sturmgewehr und 24
Schuss scharfer Munition in seinem Kleiderschrank. Militärische Begründung:
Im Falle einer Mobilmachung soll sich jeder Soldat auf eigene Faust zum
Sammelplatz seiner Kompanie durchschlagen. Die militärische Begründung hat
sich in Luft aufgelöst, weil auch die Schweiz nur noch von Freunden
umzingelt ist.
Trotzdem gibt es in den Wohnungen der Schweizer zwei Millionen Waffen, 1,2
Millionen davon aus Armeebeständen. Die Gefahr, die von den Waffen in
Privatwohnungen ausgeht, ist groß, auch wenn die Zahl der Delikte leicht
sinkt: 2009 waren bei 55 von 234 Tötungsdelikten Armeewaffen im Spiel. Die
größte Zahl der Opfer stellen allerdings die Selbstmörder und die greifen
öfter zu Gift und Medikamenten als zu Waffen. Die statistischen Angaben
sind sehr lückenhaft. "Bei wie vielen Fällen von schwerer Körperverletzung
und Raub Armeewaffen benutzt wurden, hat das Bundesamt für Statistik nicht
ausgewertet" (NZZ v. 30. 12. 2010).
Die waffenfreundliche Stimmung kippte, als 2007 ein Soldat in der Nähe von
Zürich kein Familienmitglied erschoss, sondern eine zufällig vorbeikommende
Passantin. Sie büßte dafür, dass dem Soldaten eine militärische Karriere
verwehrt wurde. Sozialdemokraten, Frauenverbände, Friedensfreunde,
Gewerkschaften, Polizisten und Ärzte lancierten eine Volksinitiative, die
den Waffenerwerb generell einschränken und die "Heimabgabe" von
Sturmgewehren abschaffen möchte. Armeewaffen sollen im Zeughaus aufbewahrt
werden.
Gegen diese Initiative bildete sich die "Interessengemeinschaft Schießen
Schweiz" (IGS) -und die agitiert so plump, wie ihr Name daherkommt. Träger
der IGS sind 16 brachial-patriotische Vereine vom "Eidgenössischen
Armbrustschützenverband" über "JagdSchweiz" und den "Verband Schweizer
Vorderladerschützen" bis zur "proTell - Gesellschaft für ein Freiheitliches
Waffenrecht". Sie wollen Schießen als Sport ebenso erhalten wie "Sicherheit
und Freiheit." Ihre Parole: "Mit der Wegnahme der persönlichen Waffe würde
die Schweizer Bevölkerung den Armeeangehörigen das Vertrauen entziehen."
Schließlich sehen die "Schweizer Waffensammler" ein "Kulturgut" in Gefahr,
wenn die Initiative Erfolg hätte, denn "historische Waffen gehören zum
Kulturgut des Menschen wie Literatur, Gemälde oder Möbel". Eine Kirche
steht in jedem noch so kleinen Dorf - in der Schweiz kommt eine
300-Meter-Freiluftschießanlage hinzu, weil jeder Armeeangehörige einmal im
Jahr 24 Schuss abgeben und sich das Ergebnis in seinem "Schießbüchlein"
bestätigen lassen muss. Außer den zum Schießen Verpflichteten gibt es noch
150.000 Lizenzschützen, die an Wochenenden freiwillig und auf eigene
Rechnung in den Schießständen rumballern, was das Zeug hält.
Die Kampagne der Waffenliebhaber wird von einem ehemaligen Grundschullehrer
und Generalstabsoffizier kommandiert, der seit seiner Pensionierung 2009
die Firma "Education GmbH" leitet und in sieben Sätzen zu seinem
Geschäftsmodell viermal von "Führung" und "Führungskräften" redet. Für ihn
und seine Mitstreiter "hängt häusliche Gewalt nicht von der Verfügbarkeit
von Waffen ab, sondern vom Zustand der Partnerschaft". Aus dieser
militärischen Logik folgt: Jedes Jahr werden zwischen 13 (2008) und 19
(2007) Frauen wegen des schlechten "Zustands der Partnerschaft" mit
Armeewaffen ins Jenseits befördert.
Eine ganz späte Rache oder eine ganz verquere List der Vernunft wird den
Enthusiasten der "Heimabgabe" vielleicht noch einen Strich durch die
Rechnung machen: Wenn die Prognosen Recht behalten, werden die Frauen, die
mehrheitlich gegen die "Heimabgabe" der Armeewaffen sind, den Ausgang der
Abstimmung entscheiden. Das wäre auch eine Quittung dafür, dass ihnen die
Schweizer Männer erst 1971 das Stimmrecht gewährten. Zerknirscht werden die
jüngeren Tellensöhne am nächsten Sonntag ihre Väter verfluchen.
7 Feb 2011
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Referendum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Referendum zum Waffenrecht: Schweiz passt sich an die EU an
Eine Mehrheit stimmt für ein verschärftes Waffenrecht. Auch die
Gewinnsteuer-Reform für Auslandsunternehmen wird angenommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.