# taz.de -- Kommentar Merkels Statement zu Ägypten: Feigheit und Opportunismus | |
> Die Rede der Kanzlerin auf der Sicherheitskonferenz lässt sich in einem | |
> einzigen Satz zusammenfassen: Schickt den Fuchs in den Hühnerstall, um | |
> für Ordnung zu sorgen. | |
Klare Verhältnisse sind erfreulich. Wenigstens in dieser Hinsicht gibt es | |
Anlass zur Genugtuung - sowohl über die Rede von Angela Merkel auf der | |
Sicherheitskonferenz in München als auch über die Reaktion der Europäischen | |
Gemeinschaft auf die Ereignisse in Ägypten. Immerhin steht nun zweierlei | |
fest: Es regieren Feigheit und Opportunismus. | |
Erstens: Weder Europa insgesamt noch Deutschland im Besonderen haben | |
derzeit den Wunsch, außenpolitisch irgendeine Rolle zu spielen. | |
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy belässt es nach Tagen des europäischen | |
Schweigens bei dem Gemeinplatz, es müsse ein geordneter und rascher | |
Übergang beginnen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ruft die | |
ägyptische Regierung zum Dialog mit dem Volk auf. Nette Ermahnung. | |
Und: Es fehlt Angela Merkel an jeglicher Fantasie. Nicht nur an politischer | |
Fantasie, sondern auch an menschlichem Einfühlungsvermögen. Das ist | |
gefährlich. Nicht notwendigerweise für die Regierungschefin, aber für | |
Betroffene. | |
Sie hielte eine "ganz schnelle Wahl" für falsch, erklärte die Kanzlerin. Es | |
gehe darum, ein Machtvakuum zu vermeiden. Kein Zweifel, dass sie damit | |
meint, Ägyptens Staatspräsident Husni Mubarak müsse deshalb vorläufig | |
weiterhin im Amt verbleiben. Um ihre Position moralisch zu untermauern, | |
verweist sie auf Erfahrungen, die während der friedlichen Revolution in der | |
DDR gemacht worden seien. Auch damals sei es gut gewesen, dass der Übergang | |
durchdacht gestaltet worden sei. | |
Das ist schamlos. Möchte Angela Merkel damit sagen, die am besten geeignete | |
Person für die Abwicklung der DDR wäre Erich Honecker gewesen? Die Rede der | |
Kanzlerin auf der Sicherheitskonferenz lässt sich in einem einzigen Satz | |
zusammenfassen: Schickt den Fuchs in den Hühnerstall, um für Ordnung zu | |
sorgen. | |
Viele der Demonstranten in Kairo beweisen derzeit großen Mut. Sie haben | |
dennoch Angst. Nach Jahrzehnten des Ausnahmezustands, nach ungezählten | |
Erfahrungen mit Mord, Folter und Einschüchterung misstrauen sie dem Regime. | |
Verständlicherweise. Sie fürchten sich vor Tricks, vor der Staatspolizei, | |
und sie fürchten sich davor, festgenommen zu werden und spurlos zu | |
verschwinden, wenn die Karawane der Medien erst einmal weitergezogen ist. | |
Falls sie bereit sein sollten, die Bedingungen des Übergangs mit | |
Repräsentanten der derzeitigen Regierung auszuhandeln, dann bedeutete | |
alleine dies einen großen Vertrauensvorschuss. Mehr sollte man von ihnen | |
nicht verlangen. | |
Es geht in der Politik natürlich auch um Symbolik. Immer. Der Vorschlag ist | |
obszön, Mubarak möge formal im Amt bleiben, während andere seine Interessen | |
vertreten. Um Gesichtswahrung gehe es, sagen westliche Politiker. In der | |
Tat. Auch darum geht es. Die Botschaft des Westens an die ägyptische | |
Opposition lautet: Euer Gesicht und dessen Wahrung ist nicht so wichtig. Es | |
kommt vor allem darauf an, dass wir es einem langjährigen Freund | |
ermöglichen, in Würde abzutreten. | |
Angeblich reagiert der Westen so, weil er Angst vor einer islamistischen | |
Machtübernahme in Ägypten hat. Das ist fast schon niedlich. Die derzeit | |
wohl brutalste, intoleranteste Religionsdiktatur in einem funktionierenden | |
Staat herrscht in Saudi-Arabien. Wann hat sich der Westen das letzte Mal zu | |
den Menschenrechtsverletzungen dort geäußert? Lange her, oder? Kein Wunder. | |
Schließlich ist Saudi-Arabien - militärisch - ein Verbündeter des Westens. | |
Das lässt offenbar alle anderen Fragen als nachrangig erscheinen. | |
Keine Missverständnisse. Die Sorge vor einer Radikalisierung der Proteste | |
in Ägypten ist berechtigt, auch die Furcht vor einer dramatischen | |
Verschlechterung der ägyptischen Beziehungen zu Israel. Das Problem ist | |
nur: Die Gefahren wachsen, je länger sich die ägyptischen Demokraten im | |
Stich gelassen fühlen. Wer sich in die Enge gedrängt fühlt, schlägt um | |
sich. | |
Manche Leute begehen bekanntlich Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Der | |
Oppositionelle Mohammed al-Baradei, des Islamismus unverdächtig, | |
befürchtet, dass friedliche Proteste schon bald in Gewalt umschlagen | |
könnten. Hört irgendjemand zu? Vielleicht ja doch die USA. Im Unterschied | |
zu Europa und zu einzelnen europäischen Staaten scheinen sie die Lage | |
inzwischen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Wenigstens das. | |
6 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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