# taz.de -- Max Raabe über Musik, Gefühle und Israel: "Nennen Sie mir ein Ars… | |
> Max Raabe interpretiert erstmals nicht die Musik der Weimarer Republik, | |
> sondern Texte von Annette Humpe. Der Künstler spricht über sein Album | |
> "Küssen kann man nicht alleine". | |
Bild: Der Mann mit dem Einstecktuch. | |
taz: Herr Raabe, wann haben Sie zuletzt Jeans getragen? | |
Max Raabe: Ich glaube, mit 16. Da wurde ich ein Cordhosenvertreter. | |
Vielleicht war ich sogar noch jünger. | |
Und wann haben Sie zum ersten Mal ein Einstecktuch getragen? | |
Nach der Schulzeit, als ich nach Berlin gekommen bin. Ich kannte das von | |
meinem Vater und vor allem von meinen Onkels. Man will ja nicht so sein wie | |
seine Onkels, aber irgendwann habe ich trotzdem angefangen, ein | |
Einstecktuch zu tragen. Das war gar keine bewusste Entscheidung, ich habe | |
mich einfach an meinem Umfeld orientiert. | |
Stimmt es, dass Sie kurz vor dem Abi von der Schule geflogen sind? | |
Man hat mir nahe gelegt, das Institut zu verlassen, ja. Ich hatte eine Fünf | |
in Mathe und eine in Griechisch - und habe durch Arglosigkeit bestochen, | |
indem ich kurz vor der Nachprüfung einen Monat lang nach Wien gefahren bin, | |
um mal zu gucken, was denn die Bedingungen sind, aufs Max-Reinhardt-Seminar | |
zu kommen. Das wurde von der Schule als Desinteresse gewertet, | |
verständlicherweise. Das ist mir ein bisschen peinlich - woher wissen Sie | |
denn so was? | |
Sie wollten also ursprünglich Schauspieler werden? | |
Nein. Ich sag jetzt einfach mal Nein, weil mir das sonst zu heiß wird hier. | |
Meine Güte: Man sucht halt als junger Mensch seinen Platz in der Welt. | |
Max Raabe ist Ihr Künstlername, ist Max Raabe also eine Rolle, eine | |
Bühnenfigur? | |
Das, was ich auf der Bühne mache, bin ich mehr, als ich mir anfangs | |
zugestanden habe. Alles, was ich heute mache, ist während des Studiums in | |
einer ganz unaufgeregten Zeit entstanden, frei von jedwedem Erfolgsdruck. | |
Wir waren ja im Grunde eine Studentenband und gingen davon aus, dass wir | |
uns am Ende des Studiums auflösen würden, um als Musiker in anderen | |
Zusammenhängen zu arbeiten. Ich hätte an der Oper vorgesungen. | |
Aber es kam anders. | |
Schuld daran ist das Stück "Kein Schwein ruft mich an", das ich aus Jux | |
geschrieben habe und das plötzlich die Fahrkarte war für Konzerte in | |
Westdeutschland und Fernsehauftritte. Bei den ersten Konzerten Ende der | |
80er, Anfang der 90er Jahre haben wir uns über unseren Auftritt gar keine | |
großen Gedanken gemacht. Klar war nur: Zuerst tritt das Orchester auf, dann | |
komm ich auf die Bühne, gehe ans Mikrofon und singe. Und auf einmal kamen | |
die Leute an und sagten: Das ist ja toll, sie hampeln gar nicht herum, | |
stehen einfach nur da. Und dann hab ich das natürlich beibehalten und sogar | |
ein bisschen kultiviert. | |
Ein überwältigter Max Raabe wäre also undenkbar? | |
Nach besonders wichtigen oder besonders gelungenen Konzerten hopsen wir wie | |
die Irren herum und umarmen uns. | |
Aber erst hinter der Bühne. | |
Selbstverständlich. Und bevor wir dann wieder rausgehen, ruckeln wir unsere | |
Smokings zurecht und nehmen das Grinsen aus dem Gesicht. Diese distanzierte | |
Haltung liegt mir mehr, als jeden Abend zu demonstrieren, was für einen | |
irren Spaß ich doch habe. Außerdem kann man viel frecher sein, wenn man | |
sich selbst den Anstrich einer Seriosität verleiht. | |
Ein Beispiel? | |
In einer Moderation habe ich mal gesagt: "Liebeslieder sind sehr beliebt. | |
Man kann sie beliebig oft hören - auch bei der Arbeit. Während man bei der | |
Liebe selten Arbeiterlieder hört." Das hat im Smoking eine ganz andere | |
Wirkung als im Sweatshirt. | |
Das Einzige, was sich bei Ihnen auf der Bühne bewegt, ist Ihre Augenbraue. | |
Und auch die nur sehr dezent. | |
Man darf das nicht übertreiben. Auf den ganz frühen Aufnahmen habe ich auch | |
noch ein bisschen zu sehr das "r" gerollt, weil die Leute von der | |
Plattenfirma das so wollten. Das habe ich mir abgewöhnt. | |
Wie viel Arbeit macht es, Max Raabe zu sein? | |
Gar keine. Es macht Arbeit, Stücke zu suchen und zu proben. Das ist aber | |
gute Arbeit. Und es macht Arbeit, morgens um fünf aufzustehen, damit man | |
den ersten Flieger kriegt. Oder irgendwo stundenlang rumzuhängen, weil ein | |
Flieger ausfällt. Oder festzustellen, dass die Eisenbahn nicht fährt, weil | |
es 5 Grad minus sind. Das nervt. Aber alles andere ist mein Hobby, das ich | |
zum Beruf gemacht habe. Das ist so, als ob ich mit Briefmarkensammeln Geld | |
verdienen könnte. | |
Ihr neues Album "Küssen kann man nicht alleine", Ihr erstes nur mit | |
Eigenkompositionen, haben Sie gemeinsam mit Annette Humpe geschrieben, die | |
musikalisch aus einer ganz anderen Ecke kommt als Sie. Haben Sie das als | |
Wagnis empfunden? | |
Zunächst habe ich sie ja nur gefragt, ob wir nicht mal ein Stück zusammen | |
schreiben wollen, weil ich ihre Texte so großartig finde. Ihre Sachen von | |
Ideal haben ja auch was von der Schrägheit der 20er Jahre. Und ausgehend | |
von der Zeile "Küssen man nicht alleine", die Annette beim Radfahren | |
eingefallen ist, haben wir dann das erste Lied geschrieben und uns dabei | |
beschnuppert. Und als das fertig war, hatten wir die Idee für ein zweites. | |
Und dann für ein drittes. Und beim dritten Stück war das vierte schon im | |
Raum. Plötzlich schrieben wir ein Album. Geplant war das nicht. Was mich an | |
dem Ergebnis so glücklich macht: Es ist kein Bruch. Es ist meine Haltung | |
und mein Humor, den ich sonst immer im Original gesucht habe und auch | |
weiter suchen werde. Und zugleich ist es markant anders, heutiger als die | |
Originale. Wir haben Max Raabe in die Gegenwart gebracht - ohne ihn zu | |
verraten. | |
Sie haben einen ganz genauen Blick dafür, was zu Max Raabe passt und was | |
nicht. Wie viel Kampf war die Zusammenarbeit mit einer der profiliertesten | |
deutschen Songschreiberinnen und Produzentinnen? | |
Der einzige Kampf, den es gab, war der gemeinsame um Formulierungen, um | |
Wörter. Annette hat gesagt: "So kann man das heute nicht mehr sagen." Und | |
ich habe entgegnet: "Nö! Wieso?" Dann hat sie es begründet und ich musste | |
ihr oft Recht geben. So unterschiedlich die Ecken sind, aus denen wir | |
kommen, so viele Gemeinsamkeiten haben wir letztlich auch: unsere Lust an | |
der Ironie etwa. Annette war selig, dass sie endlich mal ironisch sein | |
durfte. Ich + Ich ist frei davon wie die Popmusik überhaupt, die immer | |
klare, ehrliche, große Gefühle zeigen muss. Und ich kann große Gefühle | |
zeigen, sie aber auch brechen. Wenn ich zu viel Kuchen gegessen habe, | |
schiebe ich den Teller zur Seite und dann kommt das Salzgebäck. | |
Wem fühlen Sie sich näher? Lady Gaga oder Carmen Nebel? | |
Ich würde lieber ein Abendessen mit Lady Gaga verbringen. | |
Aber bei Carmen Nebel aufgetreten sind Sie auch schon mal. | |
Das würde ich auch jederzeit wieder machen. Das ist eine wirklich nette | |
Person. Sie finden bei diesen ganzen Showgrößen und Schlagersängern auch | |
keine Arschlöcher. Auch Größenwahn oder Arroganz habe ich nie beobachtet. | |
Ist das Ihr Ernst? | |
Nennen Sie mir ein Arschloch! Da bin ich sehr gespannt. | |
Keine besonders hohe Meinung habe ich zum Beispiel von Johannes B. Kerner. | |
Ich kenne den Mann nicht persönlich. Aber meinen Sie, mit diesem Stempel | |
würde man ihm gerecht? | |
In der Deutlichkeit wohl eher nicht. | |
Ich habe auch meinen Knall, wie Ihnen die Kollegen vom Palast-Orchester | |
sicherlich gern bestätigen werden. | |
Bevor Sie 2010 für einige Konzerte nach Israel gereist sind, haben Sie | |
Marcel Reich-Ranicki angerufen und ihn gefragt, ob er das für eine gute | |
Idee hält. Warum ausgerechnet ihn? | |
Weil ich Reich-Ranicki kenne, er schon oft in meinen Konzerten war und ich | |
in diesem Zusammenhang Gelegenheit hatte, mich mit ihm über Juden in der | |
Unterhaltungsmusik der Weimarer Republik auszutauschen. | |
Und was hat er gesagt? | |
"Fahren Sie! Fahren Sie!" | |
Und wenn er gesagt hätte: "Lassen Sie den Quatsch"? | |
Dann wäre ich wohl trotzdem gefahren. Aber interessiert hat es mich schon. | |
Begreifen Sie es eigentlich als politische Mission … | |
… nein … | |
… Ich meine nicht die Reise nach Israel, sondern das Erinnern an eine | |
deutsch-jüdische Tradition des Liedermachens in den 20er und 30er Jahren, | |
die von den Nazis zerstört wurde. | |
Auch nicht. Ich singe Lieder von Juden, weil sie gut sind, nicht um ihres | |
Schicksals willen. Das habe ich schon mit 12 Jahren bei Zeltfreizeiten auf | |
bunten Abenden gemacht. Und dann hab ich natürlich recht bald mitbekommen, | |
dass viele Stückeschreiber nach 1933 nicht mehr auftauchen, und meine | |
Schlüsse draus gezogen: Was für eine unglaubliche Sauerei! Meine klare | |
Haltung dazu mache ich aber auf Konzerten nie zum Thema. Die Stücke sollen | |
für sich stehen. Und wenn eins nicht ankommt, ist es wieder draußen - egal | |
ob der Komponist Christ war oder Jude. | |
10 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
David Denk | |
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Neue Deutsche Welle | |
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