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# taz.de -- BEHÖRDENWILLKÜR: Standesamt rassistisch?
> Am Dienstag gab es eine Aktion gegen das Bremer Standesamt. Die Kritik an
> diskriminierender Praxis der Behörde werde von Betroffenen bestätigt
Bild: Großbürgerliche Fassade, deutsch-spießiger Geist im Inneren? Scherben …
"Rassismus amtlich" hinterließen die mit Brautschleiern maskierten
Aktivisten an der Wand des Bremer Standesamtes. Am Dienstag gegen 10.30 Uhr
war die Gruppe namens "AG Brautschleier entschleiern institutionellen
Rassismus" in die Behörde gestürmt. In einer Erklärung warfen sie dem
Standesamt vor, "verlängerter Arm der Ausländerbehörde" zu sein und den
"Ermessensspielraum zum Nachteil der Nicht-Deutschen"
auszulegen. Eine Servicebehörde sei das Standesamt nur für "Weiße". Für
alle anderen würden "binationale Eheschließungen verhindert,
Geburtsurkunden verschleppt und damit Lebenschancen blockiert". Gegen die
Aktivisten ermittelt die Polizei wegen Hausfriedensbruch und
Sachbeschädigung, der Staatsschutz ist eingeschaltet. Die Vorwürfe weist
das Innenressort zurück.
"Eine rege Praxis rassistischer Sonderbehandlung", wirft aber auch der
Rechtsanwalt Jan Sürig dem Bremer Standesamt vor. Er ist mit Schwerpunkt im
Aufenthaltsrecht tätig und hat zahlreiche nicht-deutsche Mandanten vor dem
Standesamt vertreten und begleitet. Die meisten konnten am Ende heiraten,
wenn sie nicht im Laufe des langwierigen Verfahren kapituliert hätten, so
Sürig. Besonders Bremen-Mitte gehe äußerst diskriminierend vor.
Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen, die seit 1992 eine
sozialrechtliche Beratung für Flüchtlinge anbietet, hat schon viele
MigrantInnen auch auf das Bremer Standesamt begleitet. Auch sie berichtet
von zahlreichen Problemen für nicht-deutsche Klienten. Anders als die
Ausländerbehörde sei das Standesamt eigentlich ein Ort, zu dem die Menschen
freiwillig gehen. Für Nicht-Deutsche stelle sich dies aber anders dar. Von
den Standesbeamten werde beispielsweise bei der Anmeldung einer
Eheschließung nicht nur die Identität und Gültigkeit des Passes
kontrolliert, sondern immer auch der Aufenthaltsstatus überprüft. "Es ist
eine unzulässige Praxis, gezielt danach zu suchen", so Anwalt Sürig. "Es
gibt ein Grundrecht auf Heirat, aber keines auf Abschiebung." Das aus
Artikel 6 des Grundgesetzes hervorgehende Recht werde durch die Praxis der
Bremer Standesämter untergraben, so Sürig.
Das Bremer Innenressort erklärte auf Nachfrage der taz, eine fehlende
Aufenthaltserlaubnis sei kein Grund, die Anmeldung der Eheschließung
abzulehnen. Eheschließungen, bei denen ausländische Staatsangehörige
beteiligt sind, seien besonders aufwendig, da ausländisches Recht zu
beachten und ausländische Urkunden zu prüfen seien. Dadurch könne ein
falscher Eindruck bei den beteiligten Personen entstehen. Im Jahr 2010
seien in Bremen-Mitte 359 Ehen mit Ausländerbeteiligung geschlossen worden,
in etwa 30 bis 40 Fällen habe es bei der Anmeldung Probleme gegeben.
"Binationale Paare stünden immer unter dem Generalverdacht, nur wegen des
Aufenthaltsstatus zu heiraten“, berichtet Barbro Krüger, Geschäftsführerin
beim Bremer Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Dieser
Verdacht ließe sich statistisch jedoch nicht bestätigen. Es gehe um das
Menschenrecht, als Ehepaar zusammenzuleben und das gelte für alle.
Bei Antragstellern aus Gambia zum Beispiel scheinen die Dokumente vom
Standesamt grundsätzlich nicht anerkannt zu werden. Anwalt Sürig: „Wenn ein
gültiger Pass vorgelegt wird, haben die Behörden das zu akzeptieren." Immer
wieder sei eine Überprüfung der gambischen Urkunden vom Amt gefordert
worden, es im Nachhinein jedoch nur zu sehr wenigen Beanstandungen der
Dokumente gekommen. Auch Barbro Krüger kennt derlei Echtheitsüberprüfungen,
für die Deutsche Botschaften Vertrauensanwälte beauftragten, welche in den
Herkunftsländern der Betroffenen deren Identität ermittelten. Es sei ein
langwieriges und teures Verfahren, für das die Antragsteller bezahlen
müssen. Sürig berichtet, die Behörde verlange manchmal sogar genaue Skizzen
des Geburtsortes. Ebenso Ansprechpartner im Herkunftsland, welche zur
Identität befragt werden könnten. Wer in den Herkunftsländern die
"Schnüffelarbeit" übernehme, sei nicht möglich zu überprüfen. Die
undetaillierte Rechnung, von Deutschen Botschaften nur allgemein für
„Auslagen“ ausgestellt, müssten die verhinderten Eheleute begleichen.
„Die Echtheitsüberprüfung der Dokumente hat damals 400 Euro gekostet",
erinnert sich Verena Finke-Jalloh, deren Ehemann aus Sierra Leone stammt.
Mehrere Monate hatten beide deshalb bis zu ihrer Hochzeit im Jahr 2006
warten müssen. Zur Anmeldung der Ehe auf dem Standesamt in der Hollerallee
seien damals überraschend zwei Polizisten aufgetaucht, die den Pass ihres
Mannes eingezogen hätten, um ihn nach Ablauf seiner Duldung abschieben zu
können. Nur durch Zufall waren die Beamten zu spät, die Anmeldung bereits
erfolgt. Dass die Polizei von dem Termin wusste, kann sich Finke-Jalloh nur
durch einen gezielten Hinweis des Standesamtes erklären.
Probleme, so Gundula Oerter gibt es auch bei der Ausstellung von
Geburtsurkunden. Auch die Aktivisten vom Dienstag prangerten an, dass es
bei Nicht-Deutschen regelmäßig zu Verzögerungen komme, durch die
beispielsweise die Beantragung von Kindergeld behindert werde. Anwalt Sürig
nennt einen aktuellen Fall, bei dem er nach der Geburt im März 2010 bereits
Klage eingereicht habe: „Das Kind hat bis heute keine Geburtsurkunde,
obwohl Mutter und Vater des Kindes feststehen. Nicht mal eine Bestätigung
über die Anzeige der Geburt!" Barbro Krüger berichtet von Einzelfällen, in
denen jahrelang keine Geburtsurkunde ausgestellt wurde, weil ein Elternteil
seit der Flucht nach Deutschland keine Papiere habe. Gundula Oerter nennt
einen Fall, bei dem von einer Mutter immer neue Dokumente verlangt worden
seien, um die Nationalität eines Kinder klären zu können. Dem Amt sei
jedoch bekannt gewesen, dass der Vater und damit auch das Kind deutsch sei.
Erst nach wiederholter Aufforderung habe das Amt das eingesehen und die
Geburtsurkunde ausgestellt. "Es fällt den Leuten dort offenbar schwer, ein
schwarzes Kind von schwarzen Eltern per Geburt als deutsch anzuerkennen",
so Oerter.
Rainer Gausepohl, Sprechers des Innenressorts, hatte gegenüber dem
Weser-Kurier am letzten Mittwoch erklärt, dass bei der Ausstellung von
Geburtsurkunden der Aufenthaltstitel der Eltern zur Feststellung der
Nationalität des Kindes überprüft werde. In einer Stellungnahme gegenüber
der taz heißt es nun: "Die Staatsangehörigkeit des Kindes ist nicht Teil
der Beurkundung der Geburt im Geburtenregister." Sie sei jedoch für die
Namensführung des Kindes wichtig, da sich dies nach dem Recht des Staates
richte, dem das Kind angehöre. Bei Verzögerungen werde eine Bescheinigung
über die Zurückstellung der Beurkundung ausgestellt, mit der staatliche
Leistungen beantragt werden könnten. Dem entgegnete Sürig: "Außer dem Namen
der Mutter und dem Zeitpunkt der Geburt kann alles andere nachgetragen
werden." Die Geburtsurkunde aber müsse ausgestellt werden. Nach der
UN-Kinderrechtskonvention habe jedes Kind das Recht auf eine Registrierung,
gerade um es vor der Situation der Rechtlosigkeit zu schützen. "Die
Überprüfung der Nationalität ist nicht Sache des Standesamtes", so Sürig.
Die deutsche Staatsbürgerschaft könne von der Abteilung für Einbürgerung
beim Stadtamt jederzeit im Nachhinein geklärt werden.
Für die Anerkennung einer Vaterschaft rät Gundula Oerter, nicht zum
Standesamt sondern zum Jugendamt zu gehen, das dazu ebenfalls befugt ist.
Dort stünde das Wohl des Kindes im Mittelpunkt, bei Unklarheiten mit
Dokumenten würde einfach eingetragen, dass die Angaben auf den Aussagen des
Vaters beruhen. Das Innenressort hingegen betonte: "Die Standesämter in
Bremen erledigen ihre Aufgaben im Rahmen der geltenden Gesetze."
13 Feb 2011
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Heiraten
Schwerpunkt Rassismus
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