Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der "Spiegel" sieht "Bild" wieder kritisch: Boulevard des Bösen
> Lange hielt sich das Hamburger Nachrichtenmagazin mit Blick auf
> Deutschlands größte Zeitung zurück. Unter der neuen Chefredaktion greift
> der "Spiegel" wieder an.
Bild: Heute schon in den "Spiegel" gesehen? "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann.
Was für ein Spiegel-Bild: Zündhölzer sind auf dem aktuellen Titel des
Hamburger Nachrichtenmagazins zum Schriftzug von Deutschlands größtem
Boulevardblatt zusammengestellt. Nach Jahren der höchst einvernehmlichen
Koexistenz begibt sich der Spiegel mit einer scharfen Kritik an
Deutschlands meinungsmachendster Zeitung endlich wieder auf Feindfahrt.
Vorbei die Zeiten, als sich zwischen den Hamburgern vom Spiegel und den
neu-Berlinern von Bild unter ihrem langjährigen Chefredakteur Stefan Aust
so manche Blattlinien kreuzten. Gemeinsam verkämpfte man sich erfolglos
gegen die Rechtschreibreform, propagierte den Politikverdruss der breiten
Masse und schrieb Angela Merkel hoch. Unter seinen neuen Chefredakteuren
Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron wird der Spiegel wieder
spürbar linker. Welcome back!
Natürlich fällt nach so langer Abstinenz das ein oder andere noch schwer:
Bild den Sarrazin-Durchmarsch vorzuhalten, den der Spiegel auf seine Weise
anfangs mindestens ebenso verlogen inszenierte, als er erst einen
unkommentierten Vorabdruck brachte, um in den Folgewochen "Haltet den
Dieb!" zu rufen - geschenkt.
Macht aber angreifbar, und der Bild-Chefredakteur und taz-Genosse Kai
Diekmann beißt im Interview, das ausdrücklich kein Spiegel-Gespräch ist,
natürlich genau hier zurück. Da habe man doch gemeinsam "eine der
wichtigsten Debatten des Jahres angestoßen", gibt Diek- den Biedermann. Und
überhaupt seien wir doch alle Boulevard: Süddeutsche und FAZ würden ja
schließlich auch über die Bohlens und Kachelmanns dieser Welt berichten,
sagt der Bild Chef. "Wir sind hier, um über Bild zu reden, nicht über
andere Blätter", schulmeistert der Spiegel verschnupft zurück.
Spektakulär Neues erfährt man allerdings nicht im Spiegel-Titel. Claudia
Roth (Grüne) und Ottfried Fischer (Bulle von Tölz) schildern nochmal, wie
das Blatt jeweils mit ihnen Schlitten fuhr. Politisch motiviert war es bei
der einen (Roth), schlicht spermatittengeil bei dem anderen (Fischer). Die
Auffahrt des Karl Theodor zu Guttenberg in den Polit-Olymp und die Treue
Abwehrschlacht seiner "Leibgarde" in der Bild-Redaktion wird zwar
gewürdigt, doch die ist dem Springer-Blatt kaum allein vorzuwerfen: Auch
die Welt steht im Zweifel in Treue fest zum jetzt doktortitellosen
Freiherrn.
Der Berliner Presseanwalt Christian Schertz, der jede Menge
Gegendarstellungen in Bild erwirkt und das Blatt und seine Gepflogenheiten
aus vielen Prozessen kennt, kommt ausführlich vor. Allerdings listet der
Spiegel nur viele Beispielsfälle aus Schertz' Praxis auf - eine konkrete
Meinung von Schertz findet sich nicht, jedes direkte Zitat wird vermieden.
Der taz-Anwalt und Schertz-Kollege Jony Eisenberg, der noch mehr
Verfügungen gegen Bild erstritten hat, fehlt dagegen genau so wie Ernst
Elitz. Dass sich ausgerechnet der ehemalige Intendant von Deutschlandfunk
und Deutschlandradio Kultur zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit
als Bild-Kommentator hergibt – von Sarrazin bis Guttenberg und zurück –
harrt noch der medialen Aufarbeitung.
Doch die insgesamt 12-seitige Strecke, in der die Spiegel-Autorencrew
erstaunlicherweise staunt, was da alles selbst nach den rauen Kriterien des
Boulevards bei Bild noch viel schmutziger ausfällt, lohnt sich schon wegen
dieser sehr klugen Beobachtung: "Für die CDU" - und man kann hinzufügen:
für das politische System insgesamt - habe Bild "die Funktion eines
rechtspopulistischen Flügels übernommen", so der Spiegel. Formuliert werde,
„was sich anschließend in der öffentlichen Debatte Instrumentalisieren
lässt“. Und erst durch Bild verdichteten „sich einzelne Meldungen und
Kommentare zu einem fremdenfeindlichen Ganzen“.
Nur dass es für den gottlob - die passende Partei noch nicht gibt. Doch
Schwarz-Schill in Hamburg und das Gerede von einer möglichen
Sarrazin-Partei haben gezeigt, wie schnell sich das auch wieder ändern
kann.
27 Feb 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie der Otto-Brenner-Stiftung: Irre: BILD ist gar keine Zeitung
Ein Ex-DGB-Sprecher und ein Ex-FR-Chefredakteur haben die
Euro-Berichterstattung der "Bild"-Zeitung untersucht. Sie verstößt gegen
alle Regeln des Journalismus.
Biografie über Guttenberg: Ich bin der, auf den ihr gewartet habt
Guttenberg, der Plagiator, war noch nicht erkennbar für die Autoren seiner
Biografie. Dennoch sucht man beim Lesen nach der Vorgeschichte eines
Fälschers.
Professor Lepsius von der Uni Bayreuth: "Guttenberg ist ein Betrüger"
Ihn würde "die Einschätzung eines Psychologen interessieren", sagt der
Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater. Auch Bundestagspräsident Norbert
Lammert findet harte Worte.
Julia Klöckner über SPD und Guttenberg: "Herr Beck sitzt seine Skandale aus"
Die CDU-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 27.
März setzt auf Guttenberg. Der Verteidigungsminister sei ihr auch nicht
peinlich, versichert Julia Klöckner.
Judith Holofernes über "Bild"-Kampagne: "Die 'Bild' ist keine Supermacht"
Das Medium ist die Botschaft, sagt Judith Holofernes. Sie hat es abgelehnt,
für die "Bild"-Zeitung zu werben, und ihre Absage ins Netz gestellt. "Bild"
bedankt sich mit einer ganzseitigen Anzeige.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.