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# taz.de -- Reform der Verfassung in Ägypten: Der Bezug zur Sharia ist umstrit…
> Die Änderung der alten Verfassung soll zuerst den Weg zu freien und
> fairen Wahlen ebnen. Danach soll eine Versammlung eine ganz neue
> Verfassung ausarbeiten.
Bild: Ein Mann hält Karten mit Bildern derjenigen, die während der Protesttag…
KAIRO taz | In Ägypten liegen jetzt die Vorschläge für eine Änderung der
alten Verfassung auf dem Tisch. Ziel der Vorschläge, die eine
Expertenkommission, die vom Obersten Militärrat in Ägypten einberufen
worden ist, am Samstag vorgelegt hat, ist es, demokratische
Verfahrensregeln zu garantieren. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass
die meisten Verfassungsänderungen von 2007, mit denen das alte Regime der
Regierungspartei NDP die Machtübergabe an Gamal Mubarak, den Sohn des
gestürzten Präsidenten Husni Mubarak, institutionell absichern wollte,
rückgängig gemacht werden sollen.
Der Rechtsanwalt Subhi Saleh aus Alexandria ist Mitglied der Kommission.
Von 2005 bis 2010 vertrat er die Muslimbrüder im Parlament und war im
Rechtsausschuss tätig. Bei der Wahl im vergangenen Jahr war er nicht nur
chancenlos. Er wurde auch noch angegriffen. Auf offener Straße versuchten
Anhänger der Regierungspartei damals, ihn zu erwürgen.
"Wir wollen einen zivilen, demokratischen Rechtsstaat, in dem das Volk die
Herrschenden zur Rechenschaft zieht und wieder abwählen kann," sagt Subhi
und fügt voller Stolz hinzu: "Ganz Ägypten entdeckt sich gerade wieder neu.
Ich habe Rechte, das Land ist wieder mein Land, ich habe Vertrauen in die
Zukunft." Saleh glaubt, dass schnelle Wahlen wichtig sind, um einen Bruch
mit dem alten Regime zu vollziehen. Die jetzige Übergangsregierung besitze
weder Legitimität noch das Vertrauen der Bevölkerung.
Die Kommission sieht vor, dass der Wahlprozess selber - angefangen von der
Erstellung der Wählerlisten bis zur Verkündigung der Ergebnisse - einer
Wahlkommission aus Richtern untersteht, die sich in Ägypten als integer und
unabhängig erwiesen haben. War es bislang faktisch nur der NDP möglich,
erfolgreich Kandidaten für die Präsidentschaft zu benennen, so kann jetzt
jeder, der von 30.000 Wählern oder 30 Abgeordneten nominiert wird, zur Wahl
antreten. Außerdem hat jede im Parlament vertretene Partei das Recht, einen
Kandidaten aufzustellen.
Die wichtigste Empfehlung der Expertenkommission ist der klare Auftrag an
das neue Parlament, umgehend eine verfassunggebende Versammlung aus 100
Vertretern aller politischen und sozialen Gruppen und aus Experten
einzuberufen, die in sechs Monaten eine neue Verfassung erarbeiten soll. Es
wird dann Aufgabe dieser Versammlung sein, die kontroversen Fragen zu
klären: parlamentarische oder Präsidialdemokratie; Personen- oder
Listenwahlrecht; ob die Arbeiter- und Bauernmandate beibehalten werden und
ob es in Zukunft religiöse Parteien wie die Muslimbrüder oder eine
Arbeiterpartei geben darf. Die bisherige Verfassung verbietet dies.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die größte Kontroverse um den bisherigen
Artikel 2 geführt werden wird, wonach die Scharia die Hauptquelle der
Gesetzgebung ist. Während liberale und linke Aktivisten die Abschaffung des
Paragrafen fordern, mobilisieren Salafisten-Gruppen jetzt schon zur
Verteidigung der Scharia. Subhi Saleh findet diese Diskussion zum
gegenwärtigen Zeitpunkt kontraproduktiv. "Artikel 2 steht gar nicht zur
Debatte. Das ist eine negative Botschaft gegenüber Teilen der Bewegung. Wir
müssen die Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen stärken und
nicht schwächen."
Die Scharia ist seiner Meinung nach jedoch mehr als nur ein Katalog von
Strafgesetzen: "Jeder Jurist weiß, dass es verschiedene Rechtssysteme gibt:
das angelsächsische Gewohnheitsrecht, das römische Recht oder die Scharia.
Recht dient dazu, einen Interessenausgleich zu organisieren. Die Scharia
ist mehr, sie stützt sich auf Werte. Ihr Ziel ist die Herstellung absoluter
Gerechtigkeit."
Auch die koptischen Kirchen, die einen Vertreter in der Kommission haben,
haben in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 24. Februar erklärt, dass sie
im Interesse der nationalen Einheit die Scharia als eine Quelle der
Gesetzgebung nicht infrage stellen.
28 Feb 2011
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Ägypten
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