# taz.de -- Berlin vor der Wahl: Im Leider-leider-Auto durch die Klimahauptstadt | |
> Die Grünen wollen an diesem Wochenende ihr Wahlprogramm beschließen. Die | |
> taz vergleicht den Programmentwurf der Öko-Partei mit denen von SPD und | |
> Linkspartei. | |
Bild: Nein, das ist nicht der Grünen-Parteitag, sondern Renate Künast bei der… | |
118 Seiten Wahlprogramm - aber 184 Seiten Anträge mit gut 1.000 | |
Änderungswünschen: Die Grünen, die im Herbst das Rote Rathaus entern | |
wollen, stehen bei ihrem Parteitag am Wochenende vor einer intensiven | |
Debatte, mit welchen Versprechen sie in den Wahlkampf gehen. Zentral ist | |
offenbar die Furcht, in der von Spitzenkandidatin Renate Künast | |
angestrebten breiten Aufstellung der Partei hätten urgrüne Themen zu wenig | |
Platz. Dass sich an Kernaussagen Wesentliches ändert, ist aber | |
unwahrscheinlich: Zu sehr ist das Programm mit der Kandidatin verknüpft, | |
wesentliche Abstriche würden ihre Position schwächen und das Wahlziel | |
gefährden. | |
## 1. Kandidaten | |
"Eine Stadt für alle" steht über dem Grünen-Programm - es ist das Motto, | |
das Renate Künast ausgab, als sie im November den Regierenden Bürgermeister | |
Klaus Wowereit herausforderte. Angesichts dieses engen Zusammenhangs taucht | |
Künast als Person überraschend selten im Text auf. Ganze zwei Mal erscheint | |
ihr Name auf den ersten 15 Seiten. Dagegen ist Wowereits Name im | |
SPD-Entwurf - Titel: "Berlin miteinander" - gleich 16 Mal auf den ersten 10 | |
Seiten zu lesen. "Klaus Wowereit hat den Aufbau Berlins als Zentrum der | |
Elektromobilität vorangetrieben", heißt es da etwa. Formulierungen, die an | |
Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" denken lassen: "Der junge | |
Alexander eroberte Indien. / Er allein? / Cäsar schlug die Gallier. / Hatte | |
er nicht wenigstens einen Koch bei sich?" | |
## 2. Arbeit | |
Jenseits dieser Personalisierung mühen sich alle drei gemeinhin als links | |
bezeichneten Parteien, ihr soziales Gewissen in den Vordergrund zu stellen | |
- vor allem die Linke, die "Das soziale Berlin" titelt. Deutlich | |
unterscheiden sich die Konkurrenten, wenn es um konkrete Zahlen geht: Die | |
Linkspartei verspricht 150.000 neue Arbeitsplätze binnen der nächsten fünf | |
Jahre, die Grünen 100.000. Bei der SPD fehlt eine Festlegung. Die | |
Linkspartei ist auch die Einzige, die verkündet, 100.000 Stellen im | |
öffentlichen Dienst des Landes halten zu wollen. SPD und Grüne sagen nicht, | |
wie viele Stellen es künftig geben soll. Sie sprechen lediglich von | |
Verwaltungsreformen. | |
## 3. Sicherheit | |
Klar ist die SPD hingegen beim Thema Sicherheit. Es soll bei den jetzigen | |
16.000 Polizistinnen und Polizisten bleiben: "Einen Stellenabbau lehnen wir | |
ab". Die Grünen - "wir brauchen nicht mehr Polizei, aber mehr Polizisten | |
auf den Bürgersteigen" - und die Linkspartei ("angemessene | |
Personalausstattung") sind da vager. Eine Grünen-Formulierung liest sich | |
angesichts der jüngsten Attacke auf dem U-Bahnhof Lichtenberg wie ein | |
realitätsfremdes "Wünsch dir was": "Wenn Menschen gemeinsam Verantwortung | |
übernehmen, ist das effektiver als der Einsatz von Videokameras, die | |
bestenfalls Straftaten aufzeichnen, wenn es zu spät ist". In Lichtenberg | |
bezeugten die Kameras, dass Menschen eben keine Verantwortung übernahmen. | |
## 4. Bildung | |
Viel Übereinstimmung herrscht in einem Punkt der Bildungspolitik: Linke, | |
SPD und Grüne sprechen sich allesamt für die Möglichkeit einer | |
Ganztagsbetreuung auch in der 5. und 6. Klasse aus. Dort gibt es derzeit | |
eine Lücke, gegen die sich ein laufenden Volksbegehren richtet. | |
Unterschiede bestehen aber bei der Frage der Finanzierung von Kitas: | |
Während die Linkspartei mehr Plätze auch für Kinder unter drei Jahren | |
anbieten und das "Zug um Zug" beitragsfrei machen möchte, sagen die Grünen, | |
dass angesichts knapper Kassen Qualitätssteigerung vor Beitragsfreiheit | |
gehe. | |
Den größten Angriff auf das Gymnasium fährt die Linkspartei: Nach ihren | |
Vorstellungen soll es dort künftig keine 5. und 6. Klassen mehr geben. | |
Auffällig ein Versprechen der SPD: Während sonst Parteien in Programmen | |
festhalten, was sie machen wollen, möchten die Sozialdemokraten mit dem | |
Gegenteil punkten: Sie versprechen, in den nächsten fünf Jahren keine | |
weitere Schulstrukturreform zu beschließen. "Berliner Schulfrieden" nennen | |
sie das. | |
## 5. Verkehr | |
Unverändert sind die Positionen in der Verkehrspolitik. Die SPD will die A | |
100 verlängern, Linkspartei und Grüne lehnen das ab. Und während die Grünen | |
den Betrieb der S-Bahn ausschreiben wollen und einen landeseigenen | |
Wagenpark fordern, wäre eine Privatisierung und Aufteilung des | |
Streckenbetriebs für die Linkspartei "alter Wein in neuen Schläuchen". Sie | |
fordert, den Betrieb in die Verantwortung des Landes übergehen zu lassen. | |
Die SPD spricht bloß von der "Stärkung des kommunalen Einflusses auf den | |
S-Bahn-Verkehr". | |
Träume von einer autofreien Innenstadt finden sich in keinem Programm. | |
"Einen Kulturkampf gegen das Auto lehnen wir ab", schreibt die SPD. Auch | |
die Grünen geben sich überraschend verständnisvoll: "Wir erkennen an, dass | |
viele Menschen auf ihr Auto nicht verzichten wollen und es teilweise auch | |
nicht können." Ihre Strategie: nicht Autofahren verbieten, sondern die | |
Alternativen attraktiver machen. | |
## 6. Klima und Umwelt | |
Klima- und Umweltschützer kommen - wen wunderts - gerade im grünen | |
Wahlprogramm auf ihre Kosten. In einem eigenen Kapitel breiten die Autoren | |
ihre Vision einer "Klimahauptstadt Berlin" aus: energetische Sanierung bei | |
privaten und öffentlichen Gebäuden, Abfallvermeidung, Senkung der | |
Emissionen aus dem Straßenverkehr und 100 Prozent erneuerbare Energien bis | |
2050. Eine neuere Idee ist auch dabei: Mit einem Ökosiegel soll | |
nachhaltiger Tourismus in Berlin gestärkt werden. | |
Als Klimahauptstadt sieht die SPD das Berlin der Zukunft nicht - aber als | |
"Leuchtturm der Energieeffizienz". Wie genau das gehen soll, erläutert das | |
Wahlprogramm allerdings nicht. Ziel sei es, "Berlin bis 2050 zu einer | |
nahezu CO2-freien Metropole weiterzuentwickeln". Was "nahezu" bedeutet, | |
lässt die Partei offen. 95 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zu | |
1990, wie es die Grünen als Ziel formulieren? Oder 85 Prozent weniger, wie | |
es die Linkspartei plant? | |
Überhaupt die Linke: Wer in ihrem Wahlprogramm nach klimapolitischen Themen | |
sucht, wird enttäuscht. Nicht, weil nichts drinstünde. Sondern weil nicht | |
in allem, was danach aussieht, auch Klimaschutz steckt. "Klimaschutz | |
braucht Mieterschutz", heißt es an einer Stelle. Von Klima ist aber im | |
Folgenden kaum die Rede, von Mieten dagegen um so mehr. Auch sonst scheinen | |
die umweltpolitischen Ziele aus einem Wahlprogramm der 90er-Jahre zu | |
stammen: Von der Agenda 21 ist die Rede, der "biologischen Vielfalt der | |
Stadtnatur", die erhalten werden soll. Ambitioniert klingt anders. | |
## 7. Mieten | |
Dafür wird die Partei ihrem Ruf als Anwältin der Mieter gerecht. Hier wird | |
das Wahlprogramm konkret: Es geht um Modernisierungmaßnahmen, um die | |
Verhinderung von Zwangsumzügen bei ALG-II-Empfängern, um größere Bestände | |
für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, um die Problematik der | |
Umwidmung von Miet- in Ferienwohnungen. Auf rund 7 von 58 Seiten befasst | |
sich der Text mit Mieterbelangen. Das Problem: Bei den Rechten von Mietern | |
sind einige relevante Punkte auf Bundesebene geregelt. Da bleibt häufig nur | |
der Verweis auf das Bundesgesetz, das man gerne ändern würde. | |
Auf den zwei Seiten zur Wohnungspolitik im Wahlprogramm der SPD sind viel | |
weniger konkrete Ziele zu finden. Die Wohnqualität soll steigen, die Mieten | |
nicht, der CO2-Ausstoß soll sinken. Wie das umgesetzt werden soll, führen | |
die Autoren nicht aus. Nur ein fassbares Ziel gibt es: Der Bestand an | |
Wohnungen in öffentlichem Besitz soll auf 300.000 aufgestockt werden. | |
Das Problem der Bundesgesetzgebung beim Mieterschutz sehen auch die Grünen. | |
Sie fordern eine Bundesratsinitiative zur zeitweisen Mietdeckelung. Und ein | |
Klimawohngeld, damit finanziell schwache Mieter nicht wegen energetischer | |
Sanierung umziehen müssen. Vieles bleibt vage: "sollte", "möglichst", | |
"mittelfristig" - wer das liest, erhält den Eindruck: So ganz sicher sind | |
sich die Grünen noch nicht. | |
4 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Svenja Bergt | |
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