# taz.de -- Proteste in Saudi-Arabien: Das Königreich wird nervös | |
> Nach Protesten in der Hauptstadt Riad hat das Innenministerium | |
> öffentliche Demonstrationen verboten. Eine Facebook-Gruppe ruft trotzdem | |
> zum "Tag der Wut" auf. | |
Bild: Ist die Sorge des Innenministeriums vor Demonstrationen unbegründet? Sau… | |
RIAD taz | Nachdem sich nun auch in Saudi-Arabien Menschen auf die Straße | |
trauen, um gegen die Herrschenden zu demonstrieren, hat das saudische | |
Innenministerium jeglichen öffentlichen Protest verboten. In einem am | |
Sonnabend von der staatlichen Presseagentur verbreiteten Statement heißt | |
es: "Gesetze und Verordnungen im Königreich verbieten grundsätzlich jede | |
Art von Demonstrationen, Märschen oder Sit-ins oder Aufrufe dazu, denn sie | |
verstoßen gegen die Prinzipien der Scharia-Gesetzgebung und gegen saudische | |
Sitten und Gebräuche." | |
Solche Demonstrationen verbreiteten nur Chaos, verstießen gegen die | |
Ehrenhaftigkeit und zerstörten öffentlichen Wohlstand, hieß es weiter. | |
Zudem wird auf eine zwei Jahre alte Verordnung verwiesen, in der schon | |
einmal alle öffentlichen Proteste verboten worden waren. Auch die Imame des | |
Landes betonten in ihren jüngsten Freitagsgebeten, dass Demonstrationen | |
gegen das islamische Prinzip des Monotheismus verstießen. Viele saudische | |
Imame sind von staatlichen Zuwendungen abhängig, sodass der König sie | |
leicht benutzen kann, um seine Botschaften zu vermitteln. | |
Obwohl es kaum einen Grund dafür zu geben scheint, zeigt das | |
Demonstrationsverbot des Innenministeriums, wie nervös das Königreich | |
inzwischen ist. Als König Abdullah nach dreimonatiger Krankheit Ende | |
Februar nach Saudi-Arabien zurückkam, säumten Massen die Straßen, um ihn | |
willkommen zu heißen. Er machte ihnen Geschenke im Wert von 135 Milliarden | |
Rial (32 Milliarden Euro): 15 Prozent mehr Gehalt für die | |
Staatsangestellten, Unterstützung für Arbeitslose, Mietzuschüsse, Kredite. | |
Bisher sind es auch nur einige wenige, die sich öffentlich daran stören, | |
dass die Königsfamilie das Land wie ihr eigenes Unternehmen führt. Denn es | |
ist ein Staatsgeheimnis, wie viel die mehr als 5.000 Prinzen und | |
Prinzessinnen der Al-Saud-Familie jährlich zur Seite schaffen. | |
Doch am Freitag kam es zur ersten Demonstration in Riad. Nach dem Gebet | |
versammelten sich vor der Al-Rajhi-Moschee im Osten der Hauptstadt, 50 bis | |
100 Demonstranten und riefen "Friedlich, friedlich" und "Diebe, Diebe, wo | |
sind die 200 Milliarden?". Wie auf einem Video zu sehen ist, das im | |
Internet kursiert, kreisten Hubschrauber der Sicherheitskräfte über der | |
kleinen Gruppe Männer. Einer der mutmaßlichen Wortführer wurde | |
festgenommen. Die in London ansässigen Oppositionsgruppe Islamische | |
Reformbewegung (MIRA) behauptet auf ihrer Website, dass die Demonstration | |
von ihr organisiert worden sei. Die MIRA wurde Mitte der 90er Jahre von dem | |
saudischen Islamisten Saad al-Faqih gegründet. Die US-Regierung wirft ihm | |
Verbindungen zu al-Qaida vor. Al-Faqih bestreitet das. | |
## Vorbild Ägypten | |
Indes gewinnt eine Facebook-Kampagne an Fahrt, die für kommenden Freitag | |
nach ägyptischem Vorbild einen "Tag der Wut" organisieren will. Sie hat | |
fast 20.000 Unterstützer gewonnen. Zwar ist ein derartiger Aufruf schon | |
einmal unbeachtet geblieben, aber dieses Mal könnte es anders sein. | |
Gefährlicher für die Königsfamilie sind aber wohl die Demonstrationen, die | |
nun schon zum dritten Mal im Osten des Landes stattfanden. Nach Schätzungen | |
sind dort die Hälfte der Bewohner Schiiten. Alle Ölquellen des Landes | |
befinden sich in dieser Provinz am Persischen Golf. In Quatif zogen in der | |
Donnerstagnacht rund 100 Männer durch die Straßen und forderten die | |
Freilassung von neun Schiiten, die seit 1996 ohne Gerichtsverfahren | |
inhaftiert sind. Zwanzig Demonstranten wurden festgenommen. Auch in al-Ahsa | |
demonstrierten etwa 200 Männer nach dem Freitagsgebet. Sie forderten die | |
Freilassung des Predigers Scheik Taufiq Amer, der in der Vorwoche | |
festgenommen worden war. Er hatte mehr Rechte für die Schiiten und die | |
Einführung einer konstitutionellen Monarchie gefordert. | |
Die Schiiten sind eine diskriminierte Minderheit in Saudi-Arabien. Viele | |
ihrer religiösen Rituale dürfen sie nicht in der Öffentlichkeit ausüben, | |
und sie sind von hochrangigen Positionen in Verwaltung, Militär und | |
Universitäten ausgeschlossen. Es gebe jedoch Gespräche auf vielen Ebenen | |
zwischen der saudischen Regierung und Shia-Vertretern, sagte der prominente | |
Shia-Intellektuelle Jafar al-Shayeb. "Seit 2005, seit König Abdullah an der | |
Macht ist, hat sich unsere Situation verbessert." Außerdem hätten sich die | |
Sicherheitskräfte bisher bei den Demonstrationen zurückgehalten. "Nur: | |
Unsere jungen Leute werden langsam ungeduldig.", warnt al-Shayeb. "Die | |
Regierung wird einen Schritt auf uns zu machen müssen." | |
6 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Peter Böhm | |
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