# taz.de -- Polen auf der Internationalen Tourismusbörse: Deutsche Heimwehtour… | |
> Als Gastland auf der Internationalen Tourismusbörse präsentiert sich | |
> Polen als hippes Reiseziel. Allerdings stagniert die Zahl der Besucher | |
> aus Deutschland. Und die, die kommen, zieht es weniger nach Danzig als an | |
> die Ostsee oder in den Urwald von Bialowieza. | |
Bild: Aufbauten für den Polen-Stand auf der ITB. | |
So sieht er aus, der unvermeidliche Deutsche im Reiseland Polen: In der | |
einen Hand den polnischen Stadtplan, in der andern den mit den deutschen | |
Straßennamen. Vor der beigen Weste baumelt die Canon, in der Cargohose - | |
Reißverschluss! - schlummert das Portemonnaie. Und um ihn herum die | |
altbekannten Kulissen: die Lange Gasse in Danzig, der Marktplatz von | |
Breslau. | |
So sah er aus, der deutsche Tourist, denn die polnischen Statistiken | |
erklären ihn zur Geschichte. Nicht mehr die Woiwodschaften Pommern und | |
Niederschlesien, zu denen Danzig und Breslau gehören, zählen zu den | |
beliebtesten Reiseregionen im Nachbarland, sondern Westpommern, Kleinpolen | |
- und Podlachien. Der neue deutsche Tourist in Polen räkelt sich demnach an | |
der Ostseeküste, macht Kulturtourismus in Krakau - oder entdeckt die | |
unberührte Natur samt freilaufenden Wisenten im Nordosten des Landes um | |
Bialystok. | |
Auf der heute beginnenden Internationalen Tourismusbörse (ITB) ist Polen | |
Gastland - und das Nachbarland tut gut daran, ein neues Gesicht zu zeigen. | |
Zwar wuchs die Zahl der Touristen zwischen Oder und Bug auch im vergangenen | |
Jahr um fast 10 Prozent. Die Zahl der Urlauber aus Deutschland aber | |
stagniert. Das geht aus der jüngsten Markterhebung des Instituts für | |
Tourismus in Warschau hervor. | |
Demnach machen die Deutschen nur noch 40 Prozent der 12,4 Millionen | |
Touristen aus, die Polen 2010 besucht haben - statt wie in den vergangenen | |
Jahren die Hälfte. Ihr Anteil stieg 2010 gegenüber 2009 nur um 1 Prozent. | |
Deutlich höher waren die Zuwachsraten aus den Niederlanden (plus 12 | |
Prozent), aus Lettland (plus 15), Russland (plus 13 Prozent) und den USA | |
(plus 11 Prozent). | |
Und noch etwas lässt die polnischen Tourismusexperten staunen. Die | |
Deutschen geben wenig Geld in Polen aus. Nur 54 US-Dollar pro Person lassen | |
die knausrigen Kunden aus Deutschland im Nachbarland. Italienische | |
Touristen hingegen lassen sich weniger lumpen: Sie geben 112 Dollar täglich | |
aus, gefolgt von Besuchern aus Belarus mit 107 Dollar. | |
Tatsächlich ist Polen (wie auch Tschechien) für viele Deutsche noch immer | |
ein Billigreiseland. Das bestätigt auch Jan Wawrzyniak, der Direktor des | |
polnischen Fremdenverkehrsamts, der mit dem Argument "billig" sogar | |
explizit wirbt. Das gelte auch für die Hauptstadt Warschau: "Sie bekommen | |
dort alles, was Sie auch in Berlin bekommen. Es ist nur günstiger", sagte | |
Wawrzyniak der Wochenzeitung Die Zeit: "Wenn Sie durch den östlich der | |
Weichsel gelegenen Stadtteil Praga spazieren, fühlen Sie sich in den | |
Prenzlauer Berg der Nachwendejahre versetzt." | |
Tatsächlich ist jeder Euro, den man als deutscher Urlauber in Warschau, | |
Krakau oder der Masurischen Seenplatte ausgibt, im Vergleich mit | |
Deutschland 1,20 Euro wert. In Dänemark dagegen ist 1 Euro ein Fünftel | |
weniger wert als hierzulande. Das erklärt auch das unverändert gute Ranking | |
Polens. Seit Jahren ist das Land unter den Top Ten der deutschen | |
Reiseziele, 2010 rangierte es auf Platz 9. | |
Dieser Trend erstaunt, unterscheidet er sich doch deutlich vom Image Polens | |
als Tourismusziel vor 2004. Noch im Jahre 2002 hatte das Nachrichtenmagazin | |
Der Spiegel vor falschen Polizisten, fingierten Autopannen und Trickdieben | |
auf Bahnhöfen gewarnt. Reisen nach Polen waren damals für die meisten | |
Deutschen noch etwas Exotisches oder gar Gefährliches. Doch dann kam Polens | |
Beitritt zur Europäischen Union - und Polen wurde als Reiseland entdeckt. | |
Im kommenden Jahr steht nun die nächste Zäsur bevor. Mit der | |
Fußball-Europameisterschaft 2012, die in Polen und der Ukraine ausgetragen | |
wird, will sich Polen endgültig als europäische Topdestination etablieren. | |
Adam Zaborwowski, der Bevollmächtigte Warschaus für die Euro 2012, rechnet | |
allein in den Sommermonaten mit einer Million Touristen zusätzlich. Für die | |
Jahre bis 2015 schließlich peilt das Institut für Tourismus in Warschau | |
14,3 Millionen Besucher an. Die Europameisterschaft, für deren Werbung auf | |
der ITB auch über einen Auftritt von Lukas Podolski spekuliert wird, soll | |
Polen also ganz nach vorn katapultieren. | |
Allerdings zweifeln viele, ob und wie das gelingt. Die Stadien in Breslau, | |
Danzig und Warschau werden wohl fertig - das in Posen ist bereits | |
eingeweiht -, doch die Infrastruktur lässt noch viele Wünsche offen. | |
Zahlreiche Straßen sind noch immer voller Schlaglöcher, und die Flughäfen | |
müssen ihre Kapazitäten dringend ausbauen. | |
Gleiches gilt für die innerstädtischen Schnellbahnen. Der Bahnhof "Stadion" | |
in Warschau zum Beispiel verbreitet noch immer den Charme des Provisoriums, | |
ganz so, als hätte es in Polen nicht einmal die Wende von 1989 gegeben. Nun | |
soll er Medienberichten zufolge für 16 Millionen Euro saniert werden - von | |
einem Konsortium, dem auch die Baufirmen Bilfinger und Berger angehören. | |
Geschätzte Dauer der Sanierung: mindestens ein halbes Jahr. | |
Aber auch an Hotels mangelt es dem Reiseland Polen. Wie die Fachzeitschrift | |
Hotelarstwo meldet, gab es Anfang 2010 mehr als 1.800 Hotels in Polen mit | |
insgesamt 158.000 Betten. Noch Anfang der 90er Jahre waren es 600 Hotels | |
mit 64.000 Betten. Doch auch die neuen Hotels dürften dem Ansturm kaum | |
gewachsen sein. Zum Vergleich: 2010 gab es allein in Berlin 742 Hotels mit | |
111.200 Betten. | |
Dennoch geben sich die Verantwortlichen optimistisch. "Move your | |
imagination" heißt die Kampagne, mit der Polens Tourismusmanager auf der | |
ITB werben wollen. Der Imagefilm richtet sich vor allem an jenes Publikum, | |
das auch Berlin in Scharen bevölkert: junges Partyvolk, urbane Trendsetter, | |
postmoderne Hedonisten. Warum sollen die Berlinbesucher aus Italien, | |
Spanien und den USA nach dem Strandbarbesuch an der Spree nicht bei Europas | |
größtem Open-Air-Festival "Haltestelle Woodstock" in Kostrzyn | |
vorbeischauen, lautet die Botschaft. | |
Jan Wawrzyniak, Polens Außenbeauftragter für den Tourismus, wirbt sogar um | |
schwule und lesbische Klientel: "Die Polen sind wesentlich toleranter als | |
noch vor ein paar Jahren. Bei der Europride 2010 zogen mehrere tausend | |
Homosexuelle durch Warschau, und viele Bürger feierten mit." | |
Wem das alles zu viel ist - kein Problem: In Polen ist viel Platz - und | |
gerade der Osten des Landes lockt mit den letzten Urwäldern Europas und | |
wenig Trubel. Allerdings haben die Woiwodschaften Podlachien, Lublin oder | |
Karpatenvorland den Tourismus auch bitter nötig. Das hat inzwischen auch | |
die polnische Regierung erkannt. Nicht nur um Touristen aus Berlin wirbt | |
Warschau auf der ITB. Den strukturschwachen Regionen im Osten soll mit | |
einem Regierungsprogramm auch touristisch auf die Beine geholfen werden. | |
8 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Bialowieza | |
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