# taz.de -- Tischfußball in Berlin: Der Kick am Tisch | |
> Innerhalb von fünf Jahren hat sich ein gut strukturierter | |
> Tischfußball-Ligabetrieb etabliert. Inzwischen messen sich fast 500 | |
> SpielerInnen in 58 Teams unter Wettkampfbedingungen. | |
Bild: Gender-Kicker? So kann Tischfußball auch aussehen. | |
Der zottelige Hund streunt etwas verlassen durch die Neuköllner Kneipe | |
Syndikat Richtung Kickertisch und macht dann doch wieder kehrt. Vielleicht | |
hat er einfach zu viel Respekt vor der zweifachen Weltmeisterin Petra | |
Andres, von allen nur Lilly genannt, die gerade gemeinsam mit ihrem Freund, | |
Mannschaftskamerad und Geschäftspartner Johannes Kirsch Doppel spielt. | |
Andererseits wirkt die Tischfußballspielerin alles andere als bedrohlich: | |
große runde Ohrringe, silbernes Armkettchen. Wenn sie redet, huscht ein | |
fröhliches Lächeln über ihr Gesicht. Eine Bedrohung stellt die 27-Jährige | |
eigentlich nur für ihre Gegenspieler dar. An diesem Sonntagabend ist die | |
Begegnung besonders brisant: Mannschaftskapitänin Lilly trifft in der | |
Landesliga, Berlins oberster Klasse, auf die Bärserker, die sich vor der | |
Saison den Bears - Berlins bestem Kickerclub - angeschlossen haben. Und die | |
neuen Vereinskameraden wehren sich im ersten internen Derby mit allen | |
Kräften gegen den Berliner Meister und haushohen Favoriten. | |
Auch Lilly und Johannes haben ihre Mühe: Nur 5:4 liegen sie in ihrem ersten | |
Doppel in Front, das nächste Tor entscheidet. Sechs Tore braucht es zum | |
Sieg und bringen zwei Punkte für das eigene Team, bei einem 5:5 endet das | |
Spiel Remis, die Punkte werden geteilt. Mit der Fünferreihe, seinem | |
Mittelfeld, passt Johannes Kirsch geschickt über die Bande auf die | |
Dreierreihe, seinen Stürmern, fängt den Ball dort auf und klemmt ihn in mit | |
einer flüssigen Bewegung unter dem Mittelstürmer ein. Dann signalisiert der | |
28-Jährige mit den Händen "Time Out" - kurze Auszeit. | |
Aus den Boxen dröhnt Punkrock, von den roten Wänden blättert die Farbe, und | |
an der dunklen Decke kreist ein großer goldener Ventilator. Den Besuchern | |
an der Theke fällt überhaupt nicht auf, dass sich in der Kneipe gerade | |
Sportler auf Spitzenniveau messen. Nach wenigen Sekunden ist die Auszeit am | |
Tisch wieder beendet. Völlig konzentriert stehen die vier Aktiven am Tisch, | |
gebannt verfolgen rund zehn Mannschaftskameraden als Zuschauer die | |
Entscheidung: Die Bears Berlin alle in einheitlichen Sporttrikots, die | |
Bärserker dagegen bunt gemischt. | |
Und - peng! - kaum haben die Bärserker ihre Bereitschaft zum Weiterspielen | |
signalisiert, knallt Johannes Kirsch den Ball per Jet - einer bestimmten | |
Schussart - ins gegnerische Tor. Sieg und zwei Punkte für die Bears. Am | |
Ende gewinnen sie mit 22:10 - trotz des Widerstands der aufstrebenden | |
Bärserker, die innerhalb von zwei Jahren aus der Bezirksliga in die | |
Landesliga durchmarschiert waren. | |
Kickern kann man durchaus Leistungssport nennen: Spitzenspieler erreichen | |
bei ihren Schüssen Geschwindigkeiten von bis zu 50 Stundenkilometern, für | |
Laien sind die rasanten Spielzüge, Schussvariationen und Techniken kaum zu | |
verfolgen. Und gerade knappe Spielstände sind eine einzige Nervenschlacht: | |
In Bruchteilen von Sekunden entscheiden raffinierte, blitzschnell | |
ausgeführte Täuschungsmanöver über Sieg und Niederlage. Neben enormer | |
Konzentration und schneller Reaktion wird vor allen die | |
Hand-Augen-Koordination gefordert und geschult. | |
"Vor allem aber ist das Spiel unheimlich emotional", erklärt Lilly. | |
Schließlich begegnen sich im Doppel immerhin vier Personen auf äußerst | |
engem Raum: "Man kriegt jede Regung, jedes kleine Zucken mit." | |
Für sie als Frau in einer Männerdomäne nicht immer einfach: "Einige Männer | |
sind gegen mich besonders ambitioniert, andere sind schon in ihrem Stolz | |
angegriffen, wenn sie Haue kriegen." | |
Eine ganz wichtige, in Freizeitkreisen häufig unterschätzte Rolle fällt | |
beim Kickern dem Mittelfeld zu: "Die Fünferreihe entscheidet das Spiel", | |
sagt beispielsweise Daniel Frank. Er ist Betreiber von Danny's | |
Kickerparadies in Moabit, Spiel- und Sportstätte der Berliner | |
Tischfußball-Szene und gleichzeitig Leistungszentrum des | |
Tischfußballverbandes Berlin (TFVB). Denn nur wer den Pass auf seine | |
Stürmer spielt, erhält überhaupt die Chance zum Torschuss. Ganz alleine | |
steht Daniel Frank, der irgendwann genug hatte von "eingesifften, schief | |
stehenden Tischen im Hinterzimmer oder Keller mit mieser Beleuchtung", an | |
einem Spielgerät in seinem persönlichen Paradies und übt fleißig das | |
Passspiel. Er schimpft auf die Berliner Kneipenregel, bei der der Ball nach | |
jedem Tor aus der Ecke eingespielt wird: "Dadurch bleibt die linke Hand | |
völlig untrainiert!" | |
Der inzwischen 51-Jährige trieb sich bereits in den 80er und 90er Jahren in | |
der Berliner Szene herum, so professionell wie heutzutage sei es aber noch | |
nie gewesen, berichtet er. Im Kickerparadies steht der sportliche Gedanke | |
im Vordergrund, Alkohol wird nicht ausgeschenkt, in drei Spielräumen | |
befinden sich zwölf Wettkampftische. Ein stetiges Klickern erfüllt die | |
Räume, alle paar Sekunden knallt es laut, wenn wieder ein Stürmer den Ball | |
ins gegnerische Tor drischt. Die Spieler benutzen Griffbänder, | |
kondomähnliche Griffgummis und Handschuhe. | |
An einem der hinteren Tische spielt Sven Nickel Doppel mit seinen | |
Vereinskameraden. Nickel ist Präsident des TFVB. Im Vergleich zu seinem | |
muskelbepackten Partner kommt der Präsident eher schmächtig daher, wirkt | |
dafür aber umso konzentrierter. Er war es, der den Ligabetrieb und die | |
Verbandsstrukturen in Berlin aus dem Nichts heraus gegründet hat. | |
Inzwischen hat der Tischfußballverband Berlin im Vergleich zu den | |
etablierten Landesverbänden rasant aufgeholt. | |
Kicker, offiziell als "Drehstangen Tischfußball" bezeichnet, um es vom | |
"Tipp Kick" zu unterscheiden, führt eine recht ambivalente Beziehung mit | |
seinem Kneipenimage. Deutlich zutage tritt dies gerade in den unteren | |
Ligen, in denen zwar auch die offiziellen Vorschriften gelten, es in Sachen | |
"Regelauslegung" aber immer wieder zu Konfrontationen zwischen | |
Kneipenspielern und Wettkampfsportlern kommt. "Das Kneipenspiel ist | |
Ursprung vieler Spieler und von daher natürlich wichtig für uns", meint | |
Sven Nickel, der selbst in seinen Arbeitspausen die Faszination für das | |
Spiel entdeckte und sich gleichzeitig wünscht, dass seine Leidenschaft | |
trotzdem als Sportart ernst genommen wird. Ein Meilenstein auf diesem Weg | |
war 2010 ein Urteil des Hessischen Finanzgerichts, das der Klage des | |
Deutschen Tischfußballbundes (DTFB) statt gab und dessen Sportförderung | |
nach dem Gemeinnützigkeitsrecht bestätigte. | |
Der 32-jährige Nickel spielt seit fünf Jahren mit Wettkampfambitionen, er | |
trainiert er zweimal wöchentlich. Zusammen mit Daniel Frank hat er in den | |
Mannschaften Jung & Alt und dem umbenannten Team Danny's Kickerparadies in | |
den Anfangsjahren gleich drei Berliner Meisterschaften in Serie geholt. | |
Beruflich ist Nickel als IT-Produktmanager tätig, gleichzeitig aber auch | |
als Vizepräsident beim DTFB für die Verbandsentwicklung zuständig. | |
Sein großer Traum ist, dass der Tischfußball sich als organisierter | |
Breiten- und Spitzensport deutschlandweit etabliert. Bis dahin ist es noch | |
ein weiter Weg. Ein Beispiel dafür: Selbst eine Weltmeisterin wie Lilly | |
Andres kann von ihrem Sport nicht leben. Nun haben sie und ihr Partner aber | |
eine Lösung gefunden, Leidenschaft und Beruf ohne stressige Jobs unter | |
einen Hut zu bekommen: Sie haben die Kicker-Eventagentur "Kivent" | |
gegründet, und am morgigen Freitag eröffnen sie in Friedrichshain das | |
"Longshot". Es soll ein Ort für professionelle Tischfußball-Turniere werden | |
- aber auch einer, um einfach mal kurz zu kickern. | |
16 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Moritz Förster | |
## TAGS | |
Upcycling | |
Fußball-Bundesliga | |
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