# taz.de -- Sechs Monate vor der Berlin-Wahl: Vier Kandidaten auf halber Strecke | |
> Klaus Wowereit boxt in alle Richtungen. Renate Künast kreuzt die Arme. | |
> Frank Henkel setzt auf Musike. Harald Wolf verkneift sich ein Lächeln. | |
> Der taz-Kandidatentest sechs Monate vor der Abgeordnetenhauswahl. | |
Bild: Hier wollen sie alle rein: Das Rote Rathaus in Berlin | |
Klaus Wowereit (SPD): Fast abgetaucht war er, über Monate. Als Lame Duck | |
wurde Klaus Wowereit schon gehandelt, als amtsmüder Chef eines Teams, der | |
in der auslaufenden Legislaturperiode außer fehlplatzierten Äußerungen über | |
Witterungsverhältnisse und Arbeitsmarkt eh nichts mehr auf die Reihe | |
kriegt. Aber unterschätzt. Kaum taucht eine Sparringspartnerin auf, | |
funktioniert er wieder - zumindest als Wahlkämpfer. | |
Er schüttelt Hände, verteilt Rosen, lässt sich bei der Berlinale auf dem | |
roten Teppich fotografieren und schafft damit genau das, was seinen | |
Herausforderern derzeit schwerzufallen scheint: ungezwungen mit positiven | |
Botschaften im Mittelpunkt zu stehen. | |
Es scheint zu funktionieren. Nach dem Tiefpunkt im Oktober steigen die | |
Umfragewerte für die SPD wieder. So weit, dass sich das Verhältnis von 30 | |
zu 22 Prozent, das einst zugunsten der Grünen stand, mittlerweile zugunsten | |
der SPD gewendet hat. Damit sind wieder alle Chancen offen für die SPD und | |
die unsägliche Auswahl zwischen Oppositionsbank und Juniorpartnerschaft | |
vorerst vom Tisch. | |
Stattdessen ist seine Partei, in der sich angesichts der dahindümpelnden | |
Umfragewerte leise Unzufriedenheit breitmachte, wieder auf Kurs mit der | |
Rekommunalisierung von S-Bahn über Energieversorgung bis zu den | |
Wasserbetrieben. Dass Wowereit einst selbst für deren Verkauf war - egal. | |
Und wer die ganzen Investitionen bezahlen soll, wird ja glücklicherweise | |
erst nach der Wahl gefragt. | |
Ein kleines Problem gibt es allerdings: Möglicherweise läuft es gerade zu | |
gut. Dann verliert der ein oder andere schon mal den Überblick, wer Gegner | |
ist und wer Partner. Anders lassen sich die jüngsten Angriffe Wowereits auf | |
Wirtschaftssenator und Spitzenkandidat Harald Wolf (Linkspartei) nicht | |
erklären. Denn undifferenziert um sich herum auszuteilen, das macht | |
eigentlich die lahme Ente. | |
Renate Künast (Grüne): Da ist sie wieder. Die typische Geste. Renate Künast | |
sitzt auf einem Podium und verschränkt nicht nur die Arme vor dem | |
Oberkörper, nein, sie umschlingt ihn schier. Man muss kein Experte in | |
Körpersprache sein, um zu wissen: Das ist eine Abwehrhaltung - und die | |
könnte wahlentscheidend sein. | |
Dass Künast nach so vielen Jahren in der Politik noch so agiert, ist | |
einerseits überaus überraschend, andererseits durchaus logisch. Die Geste | |
zeigt, wie viel Abwehrbereitschaft und Skepsis nötig sind, um sich als Frau | |
in der Politik so lange so weit oben zu halten. Fischer, Schröder und | |
andere sogenannte Alphamännchen, sie sind längst weg, Künast ist noch da. | |
Das aber hat seinen Preis, wenn sie sich in einem Direktvergleich mit einem | |
Charmebolzen wie Klaus Wowereit durchsetzen muss. Wo der noch bei scharfer | |
Kritik ungerührt guckt oder süffisant lächelt, da verhärten sich Künasts | |
Züge, da zieht sie die Mundwinkel nach unten. | |
Das hat mit inhaltlichen Kompetenzen und Führungsqualitäten wenig zu tun. | |
Aber wer Regierungschef werden will, muss die Wähler auch gefühlsmäßig | |
ansprechen können. Bis zur Wahl wird Künast an ihrem Auftreten nicht mehr | |
viel ändern können, und wenn sie es täte, würde es bemüht wirken. Die | |
entscheidende Frage wird folglich sein, ob sie es schafft, eine Mehrheit | |
von sich als nüchtern-kämpferische Reformerin zu überzeugen statt als | |
glamouröse Regierungschefin oder warmherzige Landesmutter. | |
Frank Henkel (CDU): Ob seine Partei noch viel dazugewinnt, ist fraglich, ob | |
er im Senat landet, noch mehr. Eines aber steht bei der CDU außer Frage: | |
Was immer ihr Spitzenkandidat Frank Henkel will, wen immer er sich als | |
Koalitionspartner ausguckt, die Partei wird ihm ohne große Diskussionen | |
folgen. Kein anderer Kandidat ist von seiner Partei so lange beklatscht | |
worden wie Henkel. | |
Immer wieder beteuern Konservative, Henkel habe die über viele Jahre | |
zerstrittene Partei wieder geeint, habe sie ans inhaltliche Arbeiten | |
gekriegt. Tatsächlich hat die Partei im letzten Jahr zwei klare Papiere zu | |
Integration und Bürgerarbeit vorgelegt. Henkel ist dabei nicht der | |
intellektuelle Impulsgeber. Dafür hat er ein breit besetztes Führungsteam | |
um sich geschart. | |
Es kam ein bisschen provinziell daher, als Henkel im Februar bei seiner | |
Nominierung nach einer Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte "Da ist | |
Musike drin" und ihr einen Operngutschein im Großformat schenkte - als ob | |
Merkel das Geld dafür nicht übrig hätte. Aber auch das ist Henkel: die | |
starke Verbundenheit mit Berlin und der Stolz auf die Stadt. Er versucht | |
erst gar nicht, Wowereit zu imitieren oder kosmopolitisch daherzukommen. | |
Denn in Sachen Glamourfaktor ist er gegen Wowereit absolut chancenlos. | |
Harald Wolf (Linke): Er hält es tatsächlich durch. Eine Viertelstunde | |
Vortrag, anderthalb Stunden Podiumsdiskussion. All das, ohne auch nur ein | |
einziges Mal zu lachen. | |
Natürlich, das mag eine etwas kleinliche Sicht auf die Dinge sein. Ein | |
Bürgermeisterkandidat, könnte man einwenden, muss Ahnung vom politischen | |
Geschäft haben, ein Team zusammenhalten und führen können und eigentlich | |
genau einmal in der Legislaturperiode lachen: dann, wenn die Fotos für die | |
Wahlplakate gemacht werden. | |
Doch die Partei hinter Harald Wolf wünscht sich mehr. Die Linkspartei auf | |
Bundesebene zumindest, so jüngst der Abgeordnete Stefan Liebich, wünsche | |
sich Wolf manchmal etwas lustiger. Doch der ist nicht der Typ für Wahlkampf | |
mit Händeschütteln und Bad in der Menge, sondern eher für die Berliner | |
Industrie und die Zukunft der Wasserbetriebe. | |
Immerhin: Bei politischen Angriffen bleibt er genauso ruhig. Und mit dem | |
Lachen klappt es ja vielleicht im nächsten Wahlkampf. | |
18 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
Stefan Alberti | |
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