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# taz.de -- Kommentar Genua: Was lange währt, wird endlich Unrecht
> Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt den Demonstranten die
> Schuld an Carlo Giulianis Tod beim G8-Gipfel in Genua. Dabei hätte er
> Korrektiv sein müssen.
Bild: 300.000 Aktivist*innen kamen vom 18. bis 22. Juli 2001 nach Genua
Fast zehn Jahre sind vergangen seit den blutigen Tagen, als Italiens
Polizei – der Regierungschef hieß auch damals Silvio Berlusconi – mit
brutaler Gewalt den Protest gegen den G8-Gipfel in Genua niederknüppelte,
den 23-jährigen Carlo Giuliani erschoss, eine von Gipfelgegnern als
Schlafstätte genutzte Schule stürmte, in der folgenden Prügelorgie dutzende
Gipfelgegner schwer verletzte und schließlich die gefangenen Protestierer
systematisch misshandelte.
Doch jetzt darf sich der italienische Staat über ein leicht verfrühtes
Jubiläumsgeschenk freuen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) nämlich ist der Meinung, bei dem Todesschuss auf Carlo Giuliano
handele es sich um einen klaren Fall von Notwehr: Notwehr des
Carabinieri-Beamten, der von den Demonstranten in seinem Jeep massiv
attackiert worden sei.
Damit gehen die Straßburger Richter noch ein Stück weiter als die
italienische Justiz. Die hatte das Verfahren gegen den Todesschützen mit
dem kühnen Argument eingestellt, das Projektil sei an einem durch die Luft
fliegenden Stein abgeprallt und habe nur deshalb Giuliani getroffen.
So oder so aber: Schuld sind in jedem Fall die Demonstranten. Dafür bemüht
der EGMR den Kontext – fasst ihn jedoch sträflich eng. In Notwehr handelten
nämlich zuerst und vor allem die Demonstranten. Obwohl ihr Zug genehmigt
war, wurden sie ohne Vorwarnung mit CS-Reizgas-Granaten bombardiert,
eingekesselt, von Knüppelkommandos ebenso wie von in die Menge fahrenden
Einsatzfahrzeugen attackiert. Kurz: Wie insgesamt in Genua ging es auch in
diesem Fall der Polizei – und ihren politischen Auftraggebern – darum,
gezielt die Auseinandersetzung eskalieren zu lassen.
Diese Strategie ist aufgegangen, und alle an ihrer Umsetzung beteiligten
Spitzenbeamten der Polizei machten in der Folge glänzende Karrieren. Der
EGMR hätte hier die Rolle des Korrektivs spielen können. Traurig, dass er
sich stattdessen dazu herbeiließ, dem polizeilichen Gewaltexzess auch noch
das Siegel "menschenrechtskonform" zu verleihen.
24 Mar 2011
## AUTOREN
Michael Braun
Michael Braun
## TAGS
G8-Gipfel
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