# taz.de -- Französische Ex-Umweltministerin über AKW: "Es wird gezielt desin… | |
> Frankreichs ältestes AKW ist ein Schrottmeiler, steht in | |
> erdbebengefährdetem Gebiet und zudem an der deutschen Grenze. Corinne | |
> Lepage klagt auf Stilllegung. | |
Bild: Indignez-vous! Anti-Atom-Demo gegen das AKW Fessenheim mit rund 8.000 Dem… | |
taz: Frau Lepage, Sie verklagen für den deutsch-französisch-schweizerischen | |
Atomschutzverband TRAS das Land Frankreich auf Stilllegung des | |
Kernkraftwerkes Fessenheim. Es steht im Elsass am Rhein direkt an der | |
Grenze, zwanzig Kilometer von Freiburg. Warum muss es abgeschaltet werden? | |
Corinne Lepage: Zum einen liegt das AKW Fessenheim im erdbebengefährdeten | |
Oberrheingraben. Es wurde in den siebziger Jahren gebaut und ist das | |
älteste Atomkraftwerk in Frankreich. Die Erkenntnisse über die | |
Erdbebenrisiken, die in die damalige Technik einflossen, sind veraltet. | |
Zudem gibt es ein Wasserproblem. Fessenheim liegt tiefer als der | |
Wasserspiegel des Rheins. Es kann also zu Überflutungen kommen. | |
Erdbeben und Überflutungsgefahr - starke Parallelen zu Fukushima sind das. | |
Außerdem leitet das AKW Fessenheim unerlaubt chemische Abwässer in den | |
Rheinseitenkanal. In dem Punkt hat mir das Gericht sogar recht gegeben. Es | |
ist die einzige Anlage in Frankreich, wo illegal chemische Abwasser | |
ausgeleitet werden. Und zwar deshalb, weil die Auflagen nicht eingehalten | |
werden könnten. | |
Warum hat das Gericht die Klage trotzdem abgeschmettert? | |
In Bezug auf die Erdbebengefahr ist das Gericht der Darstellung des | |
französischen Energiekonzerns EDF gefolgt, dass die Sicherheit ausreicht. | |
In Bezug auf die Wasserprobleme gibt mir das Gericht recht, sagt aber, ich | |
hätte nicht nachgewiesen, dass die Einleitungen so groß sind, dass sie ein | |
Risiko darstellen. | |
Was dachten Sie, als das Gericht die Klage abwies? | |
Dass es sich um eine Fehlentscheidung handelt. | |
Die Klage wurde am 9. März abgewiesen. Zwei Tage später fing die | |
Katastrophe in Japan an. Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie die | |
Nachricht hörten? | |
Zuerst habe ich an die Leute in Japan gedacht. Dann daran, dass sich die | |
Geschichte wiederholt, ohne dass wir etwas lernen. Und ich dachte an das, | |
was ich vor Gericht gesagt habe: Wir alle wissen, dass das AKW Fessenheim | |
gefährlich ist. Jeder muss dafür Verantwortung übernehmen. Ich übernehme | |
meine, indem ich publik mache, wie gefährlich diese Anlage ist, und die | |
Stilllegung fordere. | |
Die TRAS geht in Berufung. Ist die Chance, dass Fessenheim abgeschaltet | |
wird, wegen Fukushima jetzt größer? | |
Davon bin ich überzeugt. EU-Kommissar Günther Oettinger hat Zweifel an der | |
Sicherheit der AKWs in Frankreich geäußert und es wurde beschlossen, dass | |
alle AKWs einem europäischen Stresstest - nicht nur einem französischen - | |
unterzogen werden. | |
Man sagt, Oettinger sei ein Verfechter der Atomenergie. | |
Das habe ich auch angenommen, als ich ihn anfänglich reden hörte. Aber es | |
entspricht nicht mehr dem, was ich kürzlich in der Kommission von ihm | |
hörte. | |
Warum beharrt Frankreich auf seiner Atomenergiepolitik? | |
Die politische Klasse in Frankreich und die Atomindustrie sind eng | |
verbandelt. Das geht so weit, dass man kaum korrekte Informationen über | |
Fukushima bekommt. Es wird gezielt desinformiert und beschwichtigt. Es wird | |
der Eindruck vermittelt, alles sei unter Kontrolle. | |
Obwohl Atomkraftgegnerin, waren Sie von 1995 bis 1997 Umweltministerin in | |
der konservativen Regierung unter Alain Juppé. | |
Natürlich hatte ich da viele Probleme mit der Atomkraftlobby. Ich habe ein | |
Buch darüber geschrieben, mit dem Titel: "Tut mir leid, Frau Ministerin, da | |
können wir nichts machen." | |
Waren Sie die Alibi-Ministerin? | |
Nein. Ich habe einiges erreicht. Es ist mir gelungen, den schnellen Brüter | |
in Creys-Malville vom Netz zu nehmen. Das ist kein Alibi. Das ist eine | |
Realität. Dass ich Studien zu Tschernobyl publik machte, die belegen, was | |
dort passierte, das ist kein Alibi. Dass ich die Gesundheitsrisiken rund um | |
die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague öffentlich machte, das ist kein | |
Alibi. | |
Als Sie Umweltministerin in Frankreich waren, war Angela Merkel | |
Umweltministerin in Deutschland. Merkel war bis vor Kurzem eine | |
Verfechterin der Atomkraft. Nun propagiert sie Wege raus aus der Atomkraft. | |
Glauben Sie, dass sie es wirklich so meint? | |
Ich glaube, sie meint es ernst. Sie ist eine Frau, die viel nachdenkt und | |
in der Lage ist, ihre Meinung zu ändern. | |
Die französischen Politiker wiederum bestehen weiterhin darauf, dass | |
Atomkraft sicher ist. | |
Ich glaube, die Regierung will ihre Atompolitik nicht ändern, aber aus | |
ökonomischen Gründen werden sie sie ändern müssen. Es wird schwieriger | |
werden, AKW-Technik zu exportieren. Allerdings wird die Veränderung länger | |
brauchen als etwa in Deutschland, da Frankreich 80 Prozent seiner Energie | |
mit Atomstrom deckt. | |
Warum ist es legal in der EU, dass Länder ihre Atomanlagen an Grenzen zu | |
anderen Ländern bauen dürfen und es riskieren, Gebiete in Nachbarländern | |
für Jahrhunderte unbewohnbar zu machen, wie es in Fessenheim der Fall wäre? | |
Die Gesetzgebung zur Atomkraft ist nicht in den EU-Verträgen, sondern in | |
den Euratom-Verträgen geregelt. Solange man Euratom hat, können die Länder | |
machen, was sie wollen. Man muss Euratom abschaffen. Euratom steht | |
außerhalb des EU-Rechts, das muss geändert werden. | |
Sehen Sie eine Chance, dass das auf EU-Ebene geändert wird? Sie sind | |
Mitglied des Europäischen Parlaments. | |
Ich habe letzte Woche mit Kommissar Oettinger darüber gesprochen, dass das | |
geändert werden muss. Aus meiner Sicht ist das ein zentrales Problem. | |
Ihre persönliche Haltung haben Sie einmal als Engagement für eine | |
humanistische Ökologie bezeichnet. Was ist damit gemeint? | |
Eine humanistische Ökologie ist eine realistische Ökologie. Wenn wir den | |
Menschen Veränderungen vorschlagen, die zu schwierig sind, die so sind, | |
dass sie ihr Leben zu radikal ändern müssen, macht man Veränderungen | |
unmöglich. Ich schlage eine pragmatische Ökologie vor, eine, die die | |
ökonomische Entwicklung nicht verwirft. Die wirtschaftlichen Aktivitäten | |
allerdings sollen einen starken sozialen Fokus haben. Der Mensch muss in | |
den Fokus gestellt werden und nicht der Profit. | |
Wie gehen Sie vor als Politikerin und Juristin, um diesen Grundsatz der | |
humanistischen Ökologie zu verwirklichen? | |
Ich arbeite daran, dass Haftung und Verantwortlichkeit anders geregelt | |
werden. Wenn externe Kosten, wenn das Soziale und die Umwelt in die | |
Kalkulationen von Investitionen mit einfließen müssten, sähen die | |
Entscheidungen oft anders aus. Das ist der erste Schritt. | |
25 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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