# taz.de -- Landtagswahl Baden-Württemberg: "Jetzt geht's los" | |
> Kretschmann und Schmid: So heißt das Duo, das nun Baden-Württemberg | |
> regieren soll - mit dem Grünen als Ministerpräsident. Von einem | |
> "historischen Wechsel" ist die Rede. | |
Bild: Einer von ihnen wird wohl Ministerpräsident: Der grüne Spitzenkandidat … | |
STUTTGART taz | Eigentlich liegt ihm das Bad in der Menge nicht. Doch an | |
diesem Abend hatte er allen Grund, die Arme in die Höhe zu reißen. "Oben | |
bleiben", ruft die Masse ihrem grünen Wahlsieger Winfried Kretschmann zu. | |
Dem Mann, der nun ganz oben im Ländle sein könnte. | |
Nach den ersten Hochrechnungen feierten die Menschen ihn bereits als den | |
ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands. Doch erst knapp drei | |
Stunden Zittern später steht fest, dass er dafür auch eine Mehrheit hat: 36 | |
Sitze haben die Grünen, 35 hat die SPD, vier mehr als die zukünftige | |
schwarz-gelbe Opposition. | |
Geht es nach seinen Anhängern, soll das grüne Urgestein Kretschmann nun das | |
Land umkrempeln. Gemeinsam mit Nils Schmid von der SPD als Juniorpartner. | |
Kretschmann und Schmid - das neue Duo im Ländle. Der 62-Jährige und der | |
37-Jährige. Zusammen sollen sie der Anker der ersten rot-grünen Koalition | |
in Baden-Württemberg sein. Das nötige Vertrauen zueinander haben sie dafür. | |
"Wir wollen beide auf Augenhöhe miteinander regieren", sagten Schmid und | |
Kretschmann immer wieder unabhängig voneinander. Dabei sei es zweitrangig, | |
wer der Juniorpartner sein wird. | |
Nach 58 Jahren durchgängig schwarzer Regierung im Südwesten war das | |
Hauptziel, die CDU zu entthronen - egal wie. Dieser tief sitzende Wunsch | |
der Grünen-Anhänger kam auch unmittelbar nach der ersten Prognose zum | |
Ausdruck. "Mappus weg", riefen die Grünen. | |
Was monatelang wütend auf den Straßen skandiert wurde, war dieses Mal pure | |
Freude. Einer älteren Frau mit grünem Schal standen Tränen in den Augen. | |
Die Grüne Jugend stieß mit dem "Stuttgart 21"-Widerstandsbier "Resist" an. | |
Und ein kleiner Junge im Fußballtrikot wirbelte durch die Masse und rief zu | |
seiner Mama: „Der Mappus ist weg!“ | |
Um dieses Ziel zu erreichen, traten Kretschmann und Schmid in den Wochen | |
vor der Wahl immer wieder gemeinsam auf. Auf einer Pressekonferenz | |
präsentierten sie zusammen ihr bildungspolitisches Programm. Auf der | |
Demonstration gegen Atomkraft schlossen sie per Handschlag die | |
Menschenkette. Und vier Tage vor der Wahl trat Nils Schmid als | |
Überraschungsgast beim grünen Wahlkampfhöhepunkt in der Stuttgarter | |
Innenstadt auf. Mehr Einheit konnte man gar nicht demonstrieren. | |
Was beide menschlich verbindet, ist ihre besonnene und ruhige Art. Weder | |
der ehemalige Lehrer Kretschmann noch der promovierte Jurist Schmid sind | |
mitreißende Politiker. Doch genau das scheinen die Baden-Württemberger sich | |
gewünscht zu haben. Die Bürger wollten keinen Ministerpräsidenten mehr, der | |
von oben durchregiert und nicht zuhören kann, wenn sie auf der Straße ihren | |
Bürgerwillen äußern. | |
Auch inhaltlich stehen sich Kretschmann und Schmid nahe. "Wir beide denken | |
sehr ähnlich, zum Beispiel was die Haushaltssanierung angeht, ein | |
Kernanliegen von mir. Ich denke, mit ihm kann man gut regieren", sagte | |
Kretschmann über Schmid kürzlich in einem Interview mit der taz. | |
Dennoch könnte es jetzt eine Herausforderung für die SPD werden, sollten | |
sie sich erstmals einem grünen Ministerpräsidenten unterordnen müssen. | |
Schmid mag es pragmatisch sehen. Auch weil der 37-Jährige noch jung ist und | |
die Zeit politisch nicht miterlebt hat, in der die Grünen von der SPD stets | |
nur wie der kleine Partner behandelt wurden, der sowieso mit keiner anderen | |
Partei koalieren könnte. | |
Ältere Genossen aber müssten umdenken. Doch das wurde am Sonntag erst mal | |
beiseitegeschoben. Ebenso das bisher schlechteste Wahlergebnis der Partei | |
in Baden-Württemberg. | |
Gemeinsam mit seiner Frau trat Nils Schmid vor seine feiernde Partei. | |
Während der oft sachlich-dröge wirkende Schmid von einem "historischen | |
Wechsel" sprach und die Themen nannte, die er nun angehen wolle, sorgte | |
seine strahlende Tülay für Glamour auf der Bühne. | |
Die großen gemeinsamen Projekte von Rot-Grün werden nun die Reform des | |
Bildungssystems und der Umbau der Energiewirtschaft sein. Der Anteil der | |
Kernkraft beträgt in Baden-Württemberg immerhin gut 50 Prozent. Bei der | |
Erzeugung von Windkraft hingegen hinkt der Südwesten weit hinterher. Um das | |
zu ändern, hätten die Grünen schon fertige Pläne in der Schublade liegen, | |
kündigte Kretschmann an. | |
In der Bildungspolitik wollen SPD und Grüne das dreigliedrige Schulsystem | |
aufbrechen und ein längeres gemeinsames Lernen durchsetzen. | |
Dringender Handlungsbedarf aber besteht als Erstes bei einem Thema: | |
Stuttgart 21. Beide Parteien kündigten seit Langem einen Volksentscheid zum | |
Tiefbahnhof an. Dieser könnte gleich einen neuen Wahlkampf entfachen. Die | |
SPD ist mehrheitlich für den Bau, die Grünen seit 15 Jahren strikt dagegen. | |
Es gilt also, das jeweilige Wahlversprechen einzulösen, ohne dass der | |
Koalitionspartner sein Gesicht verliert. "Der Gedanke erfüllt mich mit | |
Grausen, dass wir ein Projekt selber realisieren müssen, von dessen | |
Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt sind", sagt Kretschmann. "Aber | |
auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu." | |
Am allerwichtigsten aber ist Kretschmann und Schmid, den Regierungsstil | |
spürbar zu ändern. Als Wahlsieger Kretschmann auf der Wahlparty den | |
Politikwechsel verkündet, jubeln die Grünen erneut los: "Jetzt gehts los!" | |
27 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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