# taz.de -- Arabische Revolution in Syrien: Es drohen libysche Zustände | |
> Weil die syrische Regierung völlig unberechenbar ist, will sich niemand | |
> mehr verdächtig machen: In Cafés in Damaskus wird jetzt nur noch das | |
> staatliche Fernsehen geguckt. | |
Bild: Oppositionelle Syrer vorigen Freitag auf dem Weg nach Deraa, dem Zentrum … | |
DAMASKUS taz | Vor zwei Tagen sind Fatima und Muna zu ihrem in Damaskus | |
lebenden Bruder geflüchtet. Sie hatten ihre Eltern in der Stadt Deraa | |
besuchen wollen, als sie in die eskalierenden Demonstrationen gerieten. | |
"Wir haben Angst, alle haben Angst, die Regierung ist unberechenbar", sagen | |
die beiden Studentinnen, die in Homs leben. Ihnen war es gelungen, mit dem | |
Sammeltaxi die zahlreichen, neu errichteten Armeecheckpoints zwischen Deraa | |
und Damaskus auf dem Weg aus dem Süden zu passieren. | |
Zurück können sie vorerst nicht - die Armee hat die Stadt zum Sperrgebiet | |
erklärt und lässt nur noch Einwohner mit Wohnsitz in Deraa zurück in die | |
Stadt. Noch können sie die Erlebnisse der vergangenen Tage nicht fassen. | |
"Wenn die Regierung auf ihre eigenen Leute feuert, dann haben wir bald | |
libysche Zustände hier" befürchtet Muna. "Schlimmer noch", wird sie von | |
ihrer Schwester korrigiert, "was, wenn es wie im Irak wird, weil sich jeder | |
plötzlich auf seine Konfession besinnt und dafür kämpfen will?" Sie rechnen | |
fest mit einer Fortsetzung der Demonstrationen, denn in Deraa leben | |
Beduinenstämme, die dem Brauch des Blutzolles anhängen - und Blut ist | |
bereits zur Genüge geflossen. | |
Angesichts der blutigen religiösen Konflikte im Irak und im Libanon | |
erscheint die Angst vor einer konfessionell geprägten Konfrontation nicht | |
unberechtigt. Viele Syrer sind durchaus der Meinung, es sei der harten Hand | |
des syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad zu verdanken, dass das | |
Miteinander der Religionen funktioniert und die Fundamentalisten nicht an | |
Einfluss gewonnen haben. | |
Die beiden jungen Frauen erlebten auf den Demonstrationen der vergangenen | |
Tage im Süden Syriens die Willkürherrschaft hautnah. Es sei nicht einfach | |
in die Menge gefeuert worden, die Heckenschützen hätten gezielte Kopf- und | |
Genickschüsse auf die Demonstranten abgegeben. Einige der Heckenschützen | |
hätten laut Aussagen von Bewohnern nicht arabisch gesprochen. Andere sollen | |
Gas in geschlossene Geschäfte gepumpt haben, um sie anschließend in Flammen | |
aufgehen zu lassen. Die Vermutung, die auch andere Quellen hegen, besagt, | |
dass libanesische Hisbollah-Milizionäre und sogar iranische | |
Spezialeinheiten zur Unterdrückung des Aufstandes ins Land geholt worden | |
seien. | |
## Klima der Angst | |
Von offizieller Seite heißt es dagegen lediglich, ausschließlich | |
ausländische bewaffnete Banden" hätten Interesse an einem Umsturz - | |
Spekulationen, die ständig durch Berichte und Gerüchte genährt werden. Das | |
Klima der Angst, das derzeit in Damaskus vorherrscht, wird so verstärkt. | |
Bekannte Regimekritiker wollen nicht mehr am Telefon sprechen - und Treffen | |
sind aufgrund ihrer strengen Überwachung unmöglich. In Bars und Cafés, in | |
denen früher die Fernsehsender al-Dschasira oder al-Arabija liefen, wird | |
nun auf den ersten staatlichen Sender Syriens oder traditionelle | |
Musiksender umgeschaltet. Immer wieder berichten junge Damaszener, dass sie | |
bei den zögerlichen Protesten in Damaskus oft von fünf Männern in Zivil | |
niedergeprügelt und ihnen ihre Mobiltelefone abgenommen wurden. | |
Lokale Mitarbeiter, auf die die meisten ausländischen Berichterstatter | |
angewiesen sind, weisen derzeit sogar lukrative Anfragen von | |
prestigeträchtigen Medien wie der BBC und der New York Times zurück. | |
Niemand will sich verdächtig machen, der "aus dem Ausland gesteuerten" | |
Propaganda ein Forum zu bieten. | |
In vielen Gegenden der Hauptstadt haben fliegende Händler Plakate des | |
Präsidenten an ihre Stände gehängt, eine neue Fahne inklusive. Diese Fahne | |
ist mit dem Konterfei des Präsidenten verziert, wohl um zu vermeiden, dass | |
die Landesflagge wie in Ägypten und Tunesien zum Symbol des Widerstandes | |
wird. Immer wieder kommt es zu plötzlichen Autokorsos zur Unterstützung des | |
Präsidenten, wobei die Fahrzeuge jetzt nicht mehr nur, wie zuvor üblich, | |
mit dem Plakat des Präsidenten, sondern auch mit Flaggen durch die Stadt | |
fahren, begleitet von einem Lautsprecherwagen, aus dem nationalistische | |
Lieder geschmettert werden. | |
## Schüsse auf der König-Faisal-Straße | |
Am Sonntag fielen auf der zentral gelegenen König-Faisal-Straße sogar | |
Schüsse - in einem Land, in dem es praktisch unmöglich ist, als | |
Privatmensch eine Waffe zu besitzen. Dazu ertönte minutenlang eine | |
Warnsirene. "Die Regierung will uns glauben machen, dass auch hier sofort | |
ein blutiges Chaos ausbrechen wird, wenn sie nicht bei ihrer Politik der | |
harten Hand bleibt", erklärt ein Dokumentarfilmer, der aufgrund seiner | |
Arbeiten bereits mehrfach inhaftiert war. "Es sind schmutzige Tricks, deren | |
sich die Herrscher bedienen, um die Angst weiter zu schüren." Und da sind | |
ja auch noch die 13 Geheimdienste, die jede unbotmäßige Regung der Bürger | |
registrieren und verfolgen. Dass al-Assad noch nicht zur Nation gesprochen | |
hat, erklärt der politische Filmemacher damit, dass zunächst | |
innerparteiliche Konflikte - der junge Präsident als Reformer gegen die | |
alten Hardliner -ausgetragen werden müssten. | |
Wohl um Präsenz und Sicherheit zu demonstrieren, aber auch zur Kontrolle | |
sammeln sich Nacht für Nacht Mitarbeiter des Geheimdienstes an strategisch | |
wichtigen Kreuzungen der Stadt in Zehnergruppen. Die Betreiber von | |
Gästehäusern, in denen hauptsächlich Sprachstudenten und Praktikanten der | |
Botschaften und internationalen Kulturinstitute leben, werden fast täglich | |
von Mitarbeitern der Geheimdienste aufgesucht. Die Regierung vermutet | |
hinter jedem Ausländer einen Spion, einen fremdgesteuerten Unruhestifter | |
oder einen Journalisten. Dokumente und Visa werden wieder und wieder | |
überprüft. Doch wer tatsächlich etwas zu verbergen hat und etwa illegal | |
ausländische Vertreter der Presse beherbergt, kann sich auch durch Zahlung | |
von umgerechnet rund 17 Euro Bestechungsgeld für ein paar Wochen von der | |
lästigen Kontrolle befreien. Noch. | |
29 Mar 2011 | |
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