# taz.de -- Atomare Katastrophe in Japan: Radioaktivität im Meer steigt an | |
> Die Strahlenwerte im Meer vor Fukushima sind inzwischen 4385 mal höher | |
> als normal. Experten kritisieren die Informationspolitik der japanischen | |
> Behörden und des Tepco-Konzerns. | |
Bild: Beamte testen Erde auf Radioaktivität. | |
TOKIO/BERLIN dpa | Unermüdlich kämpfen Techniker gegen die atomare | |
Katastrophe in Japan, doch die Strahlen-Lecks in Fukushima sind noch immer | |
außer Kontrolle. Die Regierung plant jedoch vorerst keine Ausweitung der | |
Evakuierungszone um das havarierte Atomkraftwerk. Es gebe im Moment keine | |
sofortigen Pläne für einen solchen Schritt, sagte Regierungssprecher Yukio | |
Edano am Donnerstag. Er reagierte damit auf Empfehlungen der | |
Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Man werde aber ausgehend von | |
IAEA-Daten den Boden um das AKW intensiver auf Strahlen untersuchen. | |
Regen zwang den Betreiber Tepco dazu, das Besprühen verstrahlter Trümmer | |
mit Kunstharz zur Eindämmung von Radioaktivität auszusetzen. Derweil steigt | |
die Radioaktivität: Im Meerwasser nahe des AKW seien Jod-Partikel mit einer | |
4385-fach höheren Konzentration als erlaubt gemessen worden, berichtete die | |
Nachrichtenagentur Kyodo. | |
Kaiser Akihito traf erstmals mit Überlebenden des Erdbebens und Tsunamis | |
zusammen. Gemeinsam mit seiner Gemahlin Michiko nahm sich der Monarch eine | |
Stunde Zeit, um etwa 290 Flüchtlingen in Tokio Trost zu spenden, wie | |
japanische Medien am Donnerstag meldeten. | |
Die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für | |
tot erklärten Opfer stieg auf 11 362. Weitere 16 290 Menschen werden noch | |
vermisst. Wegen der hohen Strahlenwerte im 40 Kilometer von Fukushima | |
entfernten Ort Iitate hatte die IAEA geraten, die 7000-Einwohner-Stadt zu | |
räumen. "Eine erste Beurteilung deutet darauf hin, dass eine der | |
IAEA-Kriterien für die Evakuierung überschritten wurde", hatte IAEA-Experte | |
Denis Flory in Wien gesagt. Greenpeace hatte nach eigenen Messungen | |
dringend eine Ausweitung der Evakuierungszone rund um Fukushima von 20 auf | |
40 Kilometer verlangt. | |
Die japanische Regierung erwägt verschiedene Notmaßnahmen, um die | |
Radioaktivität einzudämmen. Dazu gehört auch die Idee, die Reaktoren mit | |
Spezialgewebe abzudecken oder verseuchtes Wasser aus dem Kraftwerk in ein | |
Tankschiff zu pumpen. | |
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wird am Donnerstag als erster | |
ausländischer Staatschef seit der Katastrophe in Japan erwartet. Zuvor traf | |
bereits die Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon, | |
mit fünf Experten in Japan ein, um in der Atomkrise zu helfen. Sie sind auf | |
die Behandlung radioaktiven Abwassers spezialisiert. | |
## Technik aus Deutschland nach Japan | |
Der Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Achim Steiner, | |
kritisierte die Informationspolitik der japanischen Behörden und des | |
Tepco-Konzerns. "Was im Augenblick für viele am schwersten nachzuvollziehen | |
ist, ist die Frage, wieso Information, deutliche, klare, präzise | |
Information, so schwierig zu bekommen ist", sagte Steiner der Berliner | |
Zeitung. Der UNEP-Direktor warnte zugleich vor weiteren schweren | |
Reaktorunfällen. Mindestens zwanzig, dreißig Reaktoren der gleichen Bauart | |
wie der Katastrophenreaktor Fukushima seien weltweit in Betrieb, auch in | |
erdbebengefährdeten Gebieten. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in einem Telefonat mit Japans | |
Ministerpräsidenten Naoto Kan Hilfe bei der Bewältigung der Krise zugesagt. | |
Kan habe versichert, dass Japan die internationale Gemeinschaft weiter | |
umfassend über das Krisenkraftwerk Fukushima unterrichten werde, wie die | |
Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Nach Angaben von Regierungssprecher | |
Steffen Seibert im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter prüfe die | |
japanische Regierung ein deutsches Angebot für den Einsatz von | |
Spezialrobotern. | |
Im Kampf gegen einen Super-GAU wird am Donnerstag weitere Technik aus | |
Deutschland nach Japan geflogen. Vom Stuttgart aus soll ein | |
Großraumflugzeug mit einem Gerät des Pumpenherstellers Putzmeister an Bord | |
starten. Mit der mehr als 60 Meter hohen Pumpe kann nach Angaben des | |
Unternehmens Wasser von oben in die Reaktoren gepumpt werden. In den | |
nächsten Tagen sollen drei weitere der bis zu 80 Tonnen schweren Geräte | |
folgen. Die Pumpen sollen zunächst zur Kühlung verwendet werden, später | |
werden sie eventuell für Beton-Arbeiten gebraucht. Eine erste Pumpe der | |
Firma hilft bereits seit mehr als einer Woche bei der Kühlung des | |
Atomkraftwerks Fukushima eins. | |
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte die Bundesregierung auf, Japan | |
die Ausrichtung einer Internationalen Hilfskonferenz zur Bewältigung der | |
Atomkatastrophe anzubieten. "Dabei sollte es nicht nur um die Sicherung des | |
Reaktors gehen", sagte Gabriel am Mittwoch in Braunschweig. Fragen nach | |
Belastungen des Wassers, der Nahrungsmittel, nach Untersuchungen der | |
betroffenen Menschen und nach der Größe des zu evakuierenden Gebiets | |
sollten auch Themen sein. | |
31 Mar 2011 | |
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