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# taz.de -- Aktionen gegen Greenwashing: Lesen mit Atomantrieb
> In den kommenden Tagen bieten sich den Hamburger Literaturfreunden viele
> Lesungen, mal von Seiten der "Vattenfall Lesetage", mal von deren
> erklärten Gegnern. Doch wo liegen die Unterschiede?
Bild: Liest gegen den Atomstrom: Günter Grass, Nobelpreisträger.
HAMBURG taz | Gleich zwei Gegenveranstaltungen haben sich dieses Jahr zu
den "Vattenfall Lesetagen" gesellt. Bereits zum zweiten Mal tritt die
Initiative "Lesetage selber machen - Vattenfall tschüss sagen" mit einem
alternativen Programm gegen Vattenfall an. Auch wenn es den Organisatoren,
einer Gruppe aus Öko-Aktivisten, dem Nautilus-Verlag und der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf große Namen nicht ankommt, haben sie
doch einige bekannte Autoren auf ihrer Seite. Die zweite
Anti-Vattenfall-Veranstaltung "Lesen ohne Atomstrom" schickt dagegen allein
die Prominenz ins Rennen: Günter Grass, Feridun Zaimoglu und Nina Hagen
werden kostenlos lesen. Für Grass und Hagen hat man einen besonders
szenischen Ort ausgesucht: das Atomkraftwerk Krümmel.
Die Unterschiede im Überblick:
## Selbstverständnis
Vattenfall: Das Literaturfestival des Versorgungsunternehmens möchte zum
13ten Mal "zur Kulturvielfalt in unserer Stadt beitragen" und "neue Energie
für Kopf und Seele liefern können". Auf verschiedenen Plakaten und
Werbefotos drücken eine blonde Frau, ein blondes Mädchen und ein
lockenköpfiger junger Mann mit zu vermutenden Migrationshintergrund ihre
unbändige Vorfreude aus. Manchmal gesellt sich auch ein älterer Herr mit
Elbsegler hinzu.
Vattenfall-Gegner: "Immer im Frühjahr, wenn der Energiekonzern seine
Werbung für seine Lesetage platzierte, spürten viele ein ungutes Gefühl in
sich aufsteigen", postulieren die Veranstalter von "Lesetage selber machen
- Vattenfall tschüss sagen". Das ungute Gefühl kommt von den AKWs
Brunsbüttel und Krümmel sowie vom geplanten Kohlekraftwerk Moorburg.
Erklärtes Ziel ist es daher, dem Unternehmen Vattenfall jegliche moralische
Legitimität abzusprechen, weiterhin als Kultursponsor aufzutreten. Und zwar
ganz praktisch: vorlesenderweise.
## Verbreitungsgrad
Vattenfall: Breit verstreut an vielen auch lesungsuntypischen Orten wie dem
Universitätsklinikum Eppendorf oder dem Vattenfall Center in der
Innenstadt. Da die Vattenfall Lesetage gerne auch von Menschen aus den
Außenbezirken der Stadt besucht werden, beginnen mit Rücksicht auf den dort
unzulänglichen Nahverkehr die Abendveranstaltungen recht zünftig um 19 Uhr.
Vattenfall-Gegner: Die Lesungen sind vorzugsweise in den Stadtteilen
angesiedelt, in denen WG-Zimmer und günstiger Wohnraum (gern auch
renovierungsbedürftig) gesucht werden.
## Frauenquote der Lesenden
Vattenfall: 36,7 Prozent*
Vattenfall-Gegner: 55,6 Prozent*
* ohne Kinderprogramm
## Nobelpreisträger
Vattenfall: -
Vattenfall-Gegner: Günter Grass
## Literarische Highlights
Vattenfall: Silke Scheuermann, Moritz Rinke, Peter Stamm sowie Tina Uebel.
Oder auch Veronique Olmi, Markus Orths, der Isländer Einar Kárason - an
manchen Abenden fällt die Entscheidung, wohin man gehen soll, tatsächlich
schwer.
Vattenfall-Gegner: Feridun Zaimoglu und Nina Hagen für "Lesen ohne
Atomstrom", bei "Lesetage selber machen" Büchner-Preisträgerin Brigitte
Kronauer und Katrin Seddig. Danach wird es etwas mau. Es sei denn, man hat
lange keine Lesung mit Harry Rowohlt oder Robert Brack mehr erlebt.
## Überraschungsgast
Vattenfall: Kim Leine! Denn der Däne fegt mit seinem Buch "Die Untreue der
Grönländer" jeden Grönland-Kitsch hinweg.
Vattenfall-Gegner: Wiglaf Droste! Schwer vorstellbar, dass der Spötter die
derzeitige "Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch
Atomkraftgegner"-Stimmung unkommentiert lässt.
## Spaßfaktor
Vattenfall: Wie in den Jahren zuvor möchte das Festival vor allem
unterhalten und gefallen. Eher gediegene, ruhige Atmosphäre. Aber: Chance,
mal neben Menschen zu sitzen, die aus Lurup oder Wandsbek kommen und die
auch Bücher mögen. Charmant, weil authentisch: Einführungen in die Lesungen
durch echte Vattenfall-Mitarbeiter, die sonst in der Verwaltung sitzen oder
in der Technik arbeiten.
Vattenfall-Gegner: Viele Veranstaltungen treten an, um vom Geist des
Engagements für die richtige Seite zu leben. Sehr hoher moralischer
Anspruch. Echte Aufreger und wilde Meinungsstreits sind eher nicht zu
erwarten. Man ist vermutlich erstmal(?) unter sich.
## Ausstrahlung
Vattenfall: Gut eingeführtes und finanziell abgesichertes
Traditionsfestival, dass auch von Vattenfall-Gegnern als "sinnvoll"
anerkannt wird. Verschiedene thematische Schwerpunkte
("Vater-Tochter-Mutter-Sohn", "Menschenkenner"), die in der Umsetzung nicht
immer überzeugen.
Vattenfall-Gegner: Viele Lesungen kreisen sehr konzentriert um die großen
Probleme unserer Welt (Kolonialismus, Gentrifizierung, FC St.Pauli). Ob das
über das eigene Klientel hinaus allgemein die Hamburger begeistert, bleibt
abzuwarten. Der Stolz, mit wenig Mitteln ein Festival auf die Beine
gestellt zu haben, sorgt im Vorfeld für viel Sympathie.
4 Apr 2011
## AUTOREN
Roberta Schneider
Johann Laux
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