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# taz.de -- Kommentar Martelly neuer Präsident Haitis: Die Stunde des Sängers
> In Haiti wartet man auf Almosen von außen – weil sich Eigeninitiative
> kaum lohnt. Der neue Präsident Michel Martelly hat das erkannt.
Haiti hat in den 207 Jahren seiner Unabhängigkeit eine Abfolge von
korrupten, brutalen oder unfähigen Staatschefs erlebt. Frankreich
hinterließ seine einst reichste Kolonie als Ruine. Das Beben vom Januar
2010 legte dann offen, was die Karibikrepublik längst war: ein kaputtes
Land. Zum reinen Überleben ist es mehr denn je auf ausländische Hilfe
angewiesen. Nun also ein Sänger als Präsident – warum nicht?
In der haitianischen Bevölkerung ist der Assistenzialismus tief verwurzelt.
Aus der Erkenntnis, dass sich Eigeninitiative kaum lohnt, wartet man auf
Almosen von außen. Wer weniger Skrupel hat, schließt sich zu Banden
zusammen und nimmt sich einfach, was er will. Der künftige Präsident Michel
Martelly hat zumindest erkannt, wo das Problem liegt: Er will die
Abhängigkeit vom Ausland verringern, durch eine Landreform die
darniederliegende landwirtschaftliche Produktion wieder in Gang bringen und
so mehr soziale Gerechtigkeit herstellen.
Der wirtschaftliche Spielraum des neuen Hoffnungsträgers tendiert gegen
null. Eine Million Obdachlose warten ungeduldig auf ein festes Dach,
Cholera und endemische Armut wuchern. Ohne Hausmacht im politischen
Establishment muss Martelly erst einmal ein erfahrenes und
durchsetzungsfähiges Team bilden. Mit ähnlichen Problemen kämpfte vor 20
Jahren auch der ehemalige Armenpriester Jean-Bertrand Aristide, der sein
Charisma nutzte, um die Bevölkerung zu mobilisieren und demagogisch zu
manipulieren.
Dem Beispiel darf Martelly nicht folgen. Er muss den günstigen Moment
seiner Popularität nützen, um die lethargisch gewordene Jugend zu
motivieren, nicht einem Messias nachzulaufen, sondern selbst für den
Wiederaufbau in jeder Hinsicht aktiv zu werden. Die Ernüchterung kommt
sonst sehr schnell.
5 Apr 2011
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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