# taz.de -- Impressionen vom taz-Medienkongress 2011: Revolution, überall | |
> 1.500 Besucher, 120 Referenten, 44 Veranstaltungen zum Thema "Die | |
> Revolution haben wir uns anders vorgestellt": Was waren die Höhepunkte | |
> des Kongresses in Berlin? | |
Bild: Großer Spaß: bei der Veranstaltung "Leser beschimpfen Redakteure - und … | |
BERLIN taz | Von Neukölln bis Fukushima sind es heute nur zwei Minuten | |
Fußweg. Während im Konferenzraum zum Kiezgespräch geladen wird, strömen am | |
Samstagmorgen 200 Kongressbesucher in den Theatersaal zu Ranga Yogeshwar. | |
"Ist Fukushima wirklich überall?", lautet der Titel der Veranstaltung. Der | |
Wissenschaftsjournalist und Diplomphysiker spricht über mediale Aufregung, | |
atomare Gefährdung und gesellschaftliches Lernen. | |
Nebenan, wo es um Medienbild und Wirklichkeit von Neukölln geht, ist der | |
Raum überfüllt. Davor diskutiert ein Besucher mit den Türsteherinnen. "Ich | |
bin Nordneuköllner Kandidat fürs Abgeordnetenhaus, ich will da rein." Darf | |
er aber nicht, voll ist voll. | |
Zwei Tage Medienkongress im Haus der Kulturen der Welt: 1.500 Teilnehmende, | |
120 Referenten aus aller Welt, 44 Veranstaltungen, organisiert von der taz | |
und dem Freitag. Von Wikileaks über Lokaljournalismus, von Trollen im | |
Internet zu Axel Springer als Feind und Vorbild. | |
Über allem soll der Begriff "Revolution" stehen - ein Begriff, der | |
vieldeutiger ist als anfangs gedacht. Denn als vor einem halben Jahr das | |
Motto "Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt" beschlossen wurde, | |
gab es noch keine echten Revolutionen, nicht in Tunesien, nicht in Ägypten, | |
nicht in Libyen. Die Organisatoren hatten schlicht an die Medienrevolution | |
gedacht. Im Frühjahr 2011 wurde das Programm daraufhin erweitert. | |
Den drei Damen, die vor der Toilette in der Schlange stehen, hat sich der | |
Titel noch nicht ganz erschlossen: "Was meinen die damit, die Revolution | |
haben wir uns anders vorgestellt?" - "Keine Ahnung, vielleicht Stuttgart | |
21?" - "Nee, sagt die dritte. "Ich glaube, die meinen Evolution." | |
## Keine Revolution ohne Twitter | |
Wenn es denn aber um zwei Revolutionen gehen soll: Was haben die mediale | |
und die echte Revolution miteinander zu tun? Die Antwort liefert Mona Seif | |
schon am Freitagabend. "Ohne Twitter wäre die Revolution für mich nicht | |
möglich gewesen", sagt sie - und setzt damit ihren anderen Akzent als der | |
Blogger und Medienwissenschaftler Evgeny Morozov. Der hatte kurz zuvor in | |
seinem Eröffnungsvortrag darauf hingewiesen, dass das Internet nicht per se | |
ein demokratisches Instrument ist, sondern ebenso von autoritären Regimen | |
und Bewegungen für ihre Zwecke benutzt werden kann. | |
Mona Seif hat das Netz für bessere Zwecke benutzt. Sie gehörte zu Besetzern | |
des Tahrirplatzes in Kairo; ihre Twitternachrichten von dort haben 12.000 | |
Follower erreicht. Unter dem Titel "Hier spricht die Revolution" erzählt | |
sie mit BloggerInnen und JournalistInnen aus Tunesien, Weißrussland, dem | |
Irak und Deutschland von ihren persönlichen Erlebnissen. | |
Lina ben Mhenni, die bekannteste tunesische Bloggerin, wurde von der | |
Polizei verfolgt. "Ich habe mich entschieden, keine Nicknames zu benutzen. | |
Im autoritären Regime kriegen die immer raus, wer du bist." Sie twitterte | |
von Plätzen, wo scharf geschossen wurde, und riskierte dabei ihr Leben. | |
Nicht alle Eingeladenen konnten kommen. Die kubanische Bloggerin Yoani | |
Sánchez meldete sich per Videobotschaft, weil ihr von der Regierung die | |
Ausreise verweigert und der Pass entzogen wurde. | |
Agnes Heller hat es geschafft. Doch in ihrer Heimat hat sie trotzdem | |
Probleme. Die ungarische Philosophin ist derzeit einer Hetzkampagne der | |
regierungsnahen Presse ausgesetzt. Bei einem Weißwein sitzt die 81-Jährige | |
im Garten. Als ihr Gegenüber sich eine Zigarre anzünden will, sagt sie: | |
"Warte, Gaszi, ich hab etwas für dich." Sie holt eine Schachtel | |
Streichhölzer aus der Tasche. "Die habe ich im Hotel geklaut. Jetzt gibt es | |
etwas, was mir die ungarische Presse berechtigt vorwerfen kann." Sie lacht. | |
In ihrer Heimat wird ihr vorgeworfen, Forschungsgelder veruntreut zu haben. | |
Kurz darauf stören 15 ungarische Nationalisten ihre Veranstaltung über | |
Zensur in Ungarn. | |
## "Oh Gott, ist der auch hier?" | |
Nach der Mittagspause in der noch etwas kühlen Sonne geht es unter anderem | |
weiter mit dem Phänomen des embedded journalism. Es ist unruhig hier im | |
Café Global, Tassen klappern, überall wird geredet. Doch als der Journalist | |
Stephen Grey seinen Film vorstellt, den er selbst als embedded journalist | |
im Irak gedreht hat, ist es still. | |
Grey erzählt, wie er als Reporter ständig von einer emotionalen Situation | |
in die andere geschmissen wurde. "Zum einen bist du den Soldaten dankbar, | |
weil sie dich laufend am Leben halten. Dann erfährst du, dass genau diese | |
Soldaten am vergangenen Tag acht Zivilisten im Gefecht getötet haben. Und | |
dann stirbt ein Soldat, der dich die ganze Zeit beschützt hat." | |
Was soll man von einer Reportagemethode halten, bei der der Reporter | |
eingebettet ist in den Kreis der Soldaten und so Gefahr läuft, einseitig zu | |
berichten? Führt das nicht unweigerlich zu einer militärischen | |
Hofberichterstattung? "Man darf dem Leser aber auch sich selbst niemals | |
vormachen, neutral zu sein", sagt taz-Autorin Bettina Gaus. | |
Am Samstag sorgt ein älterer Herr für Verwirrung. "Oh Gott, ist der auch | |
hier?", fragt eine etwa gleich alte Frau. "Ja, da gibt es später noch was | |
zu den 68ern", antwortet ihre Freundin und verdreht die Augen. Alle hier | |
tun so, als würden sie Rainer Langhans nicht kennen, und dann drehen sie | |
sich doch vorsichtig nach ihm um. Er ist ja auch Revolution, irgendwie. | |
EMILIA SMECHOWSKI / MARGARETE STOKOWSKI | |
## Autoscooter-Evergreens und andere Higlights | |
Der schlauste Referent: Philippe Rekacewicz ist Geograf, Kartograf und | |
Reporter der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique. In seinem | |
Vortrag über die Berichterstattung durch Kartenmaterial sagt er: "Die | |
Gesellschaft behandelt Staatsgrenzen, als wären sie die Bibel - nie werden | |
sie hinterfragt!" Die Einsichten über die Vermessung der Welt sprudeln nur | |
so aus ihm heraus, sodass die Moderatorin Doris Akrap ihn nur mit einem | |
"You have talked enough now" zu stoppen weiß. | |
Die feuchtfröhlichste Veranstaltung: Bei "Hau die Redakteure!" stellen sich | |
fünf Redakteurinnen und Redakteure der taz und zwei des Freitags ihren | |
Lesern. "Schlagt uns, beißt uns, gebt uns Tiernamen!", lautet ihre | |
Aufforderung. So kommt es denn auch. Twitter-Beleidigungen auf einer | |
Leinwand werden begleitet von Vorortmeldungen wie: "Die taz ist nicht mehr | |
sexy!" Bester Spruch aus dem Twitter-Bashing: "Weil im taz-Café Veganer und | |
Frutarier das Sagen haben, gibt es immer nur Wassermelonensuppe mit ganzen | |
Früchten." | |
Der exzentrischste Redner: Rainer Langhans, der in einer Diskussion über | |
Parallelen zwischen Internetcommunities und dem Leben in der Kommune | |
philosophiert: "Sex findet nicht mehr zwischen den Beinen statt, sondern | |
zwischen den Ohren." Was das mit Facebook zu tun hat, bleibt ungewiss. | |
Das witzigste Referentenzitat: Der Journalist Dana Asaad stellt auf dem | |
Eröffnungspodium fest: "Im Irak sind die Arbeitslosen einfach zu | |
Journalisten geworden." Auf die Frage, wie die Deutschen den Irakern helfen | |
könnten, wünscht er sich mehr Fortbildungen für Journalisten. | |
Der größte Reibach: Rund 260 Euro für ein Exemplar der plagiierten | |
Doktorarbeit des Freiherrn zu Guttenberg. Auf der eBay-Versteigerung geht | |
es heiß her. Der Erlös geht an die Organisation Lobby Control. | |
Der schönste Zuschauerkommentar: Kommt von einer Studentin aus Münster, die | |
dem Karikaturisten Mana Neyastani versichert: "Ich finde dich mutig, Mana!" | |
Der Exiliraner beteuerte zuvor, er sei kein besonders mutiger Mensch, weil | |
er Angst vor Verfolgung habe. Neyastani gehört zu den wichtigsten | |
iranischen Karikaturisten und nutzte 2006 seinen Hafturlaub, um aus dem | |
Iran zu flüchten. Wegen einer Zeichnung verbrachte er mehrere Monate im | |
Teheraner Evin-Gefängnis. "Wäre ich mutig, wäre ich jetzt im Iran", sagte | |
er. | |
Der größte Aufreger: Um 15 Uhr steht eine Handvoll Menschen vor dem Haus | |
der Kulturen der Welt. Auf Transparenten fordern Anhäger der rechten | |
ungarischen Regierung "Respekt für Ungarn". Anlass: Die ungarische | |
Philosophin Ágnes Heller kritisiert beim taz-Medienkongress das ungarische | |
Mediengesetz. | |
Der verblüffendste Moment: Als der Kriegsberichterstatter Stephen Grey nach | |
seinem Vortrag über embedded journalism erzählt, seine liebste | |
Entspannungsmethode sei es, Kriegsfilme anzuschauen. | |
Die groovigsten DJanes: Das Duo Owski & Owski mit seinen Owski-Evergreens, | |
knapp vor DJane Tahrir mit ihren Autoscooter-Evergreens. | |
Die unbeantwortete Frage: Wie haben wir uns die Revolution eigentlich | |
vorgestellt? | |
VON MAY NAOMI BLANK UND DENA KELISHADI | |
10 Apr 2011 | |
## TAGS | |
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
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