# taz.de -- Ausstellung Lionel Feininger: Kathedralen des Meeres | |
> Der amerikanische Künstler Lyonel Feininger war zeitlebens von der | |
> Seefahrt fasziniert. Seine maritimen Bilder machen seine Entwicklung von | |
> schwerer Malerei zum kristallinen Leuchten nachvollziehbar. Das zeigt | |
> eine Ausstellung im Altonaer Museum. | |
Bild: Wie durchs Prisma: Feiningers "Die Mündung der Rega" (1929). | |
HAMBURG taz | Er selbst ist nie gesegelt. Aber er hat sich an Regatten | |
beteiligt: Mit selbst gebauten Modellbooten. Zeitlebens war Lyonel | |
Feininger von der Seefahrt fasziniert und diesem Thema hat er auch einen | |
wichtigen Teil seines Werkes gewidmet. Es ist bezeichnend, dass er dabei | |
vorwiegend den Blick von Land aus wählt. Gezeigt werden etwa sechzig, meist | |
aus Privatbesitz stammende, freie künstlerische Arbeiten von 1911 bis 1955 | |
derzeit in der Ausstellung "Lyonel Feininger. Schiffe und Meer" im Altonaer | |
Museum. | |
Erst seit 1910 schleicht sich in die Zeichnungen des damals vorwiegend | |
grafisch tätigen Künstlers im Hintergrund ein Segelschiff ein. Was später | |
so oft das Hauptthema gibt, ist hier noch bloßes Beiwerk einer freundlich | |
karikierenden Darstellung von Kurgästen, die am Strand und auf der Mole im | |
damals vornehmen Strandbad Heringsdorf auf Usedom flanieren. | |
Vom spätberufenen Maler Feininger - dem einstigen Karikaturisten der | |
Magazine Ulk, Lustige Blätter oder Der liebe Augustin, der ab 1906 den | |
phänomenalen Comic "The Kin-der-Kids" im Chicago Tribune veröffentlichte - | |
sind in der Hamburger Ausstellung ausschließlich Schiffe und Szenen am Meer | |
zu sehen. | |
Unter den gezeigten Bildern sind einige, die noch nie öffentlich zu sehen | |
waren. Dabei hat der Kurator und Feininger-Spezialist Ulrich Luckhardt im | |
Detail so gehängt, dass nachzuvollziehen ist, wie Lyonel Feininger seine | |
Bildwelt von eher schwerer Malerei zum kristallinen Leuchten entwickelt. So | |
zeigen nebeneinander auf blauer Wand vier Bilder, alle von 1912, die Wellen | |
- zuerst traditionell als grünblaue Wogen, dann als eine aufgefaltete rote | |
Masse, dann als ein System von Linien und schließlich in überlagerter | |
Facettierung als Spiegel des Lichtes. | |
Dabei behandelt der Maler nicht nur den Raum in kubistischer Freiheit, auch | |
mit der Zeit wird frei umgegangen: etwa, wenn die Staffagefiguren deutlich | |
biedermeiderliche Kleidung tragen. Über die Jahre abstrahiert Feininger die | |
Schiffe von damals noch verkehrenden Schonern und Sportbooten zu einer | |
maritimen Welt, in der von mehrmastigen Fregatten über Fischerboote bis zu | |
pfeilschnellen Cup-Yachten die stilisierten Segel eher erträumter Schiffe | |
den Bildraum beherrschen. | |
Bei seinen bekannteren Bildern thüringischer Kirchen weisen Lichtlinien | |
mystisch in den Himmel, aber auch bei den Ostsee-Bildern vermitteln die | |
klaren Dreiecke der Segel, die kantig gebauten Wolken und die grafisch frei | |
gesetzte Line des Rauches aus den Dampferschornsteinen etwas über die | |
Rationalität Hinausgehendes. Die scheinbare Paradoxie einer fragilen, aus | |
den imaginären Achsen zwischen Wolken, Segeln und Licht gebauten Kathedrale | |
des bewunderten Meeres. Es scheint eine Art Architektur der weiten | |
Bewegung, die mit diesen prismatischen Kubaturen dynamischer wirkt, als so | |
manches historisches Seestück unter offenem Himmel. | |
Was die Ausstellung ebenfalls gut nachvollziehbar macht: Der ehemalige | |
Karikaturist beherrscht auch die Zeichenhaftigkeit des Holzschnitts und er | |
bleibt ein auffassungsschneller Zeichner. Oft in kürzester Zeit erstellte | |
er vor Ort die - von ihm so genannten - "Natur-Notizen", die er als sein | |
"künstlerisches Kapital", nach Möglichkeit nicht veräußerte. Denn aus ihnen | |
entwickelte er dann, nicht unähnlich den romantischen Malern, im Atelier | |
auch ganz fern den dargestellten Landschaften größere Arbeiten. "Das | |
Gesehene muss innerlich umgeformt und crystallisiert werden", hat er schon | |
1907 dazu gesagt. | |
Zeitlebens ist der 1871 als Sohn deutscher Einwanderer in New York geborene | |
Feininger Amerikaner geblieben, was bei seinen vielen berühmten Ansichten | |
Thüringens und seiner Einschreibung in die deutsche Kunstgeschichte gerne | |
vergessen wird. Schon mit 16 Jahren aber kommt er nach Hamburg und nimmt | |
ausgerechnet hier an der "Allgemeinen Gewerbeschule" Zeichenunterricht. | |
Aber schon neun Monate später geht er an die Akademie nach Berlin. Seitdem | |
bleibt er in Europa, lebt abgesehen von einer Zeit in Paris meistens in | |
Deutschland und wird nach seinen Jahren als Karikaturist ab 1919 ein | |
wichtiger Lehrer am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin. 1937 kehrt er, | |
gewiss auch aufgrund der Anfeindungen im Dritten Reich, in die USA zurück. | |
Doch seine einmal erfassten Eindrücke bleiben vor seinem inneren Auge | |
gegenwärtig: Auch in seinem New Yorker Atelier malt er Bilder der | |
Ostseeküste und noch 1955, ein Jahr vor seinem Tod, stattet er ein frei | |
geformtes Bild eines Dampfers mit der alten schwarz-weiß-roten deutschen | |
Flagge aus. | |
Vielleicht sollte bei dieser feinen Ausstellung doch erwähnt werden, dass | |
sie nicht unerheblich von einem Tiefkühlkosthersteller aus Altona | |
finanziert wird. Denn die relativ kurzfristig aus Hannover ins Programm | |
genommene und nicht sehr lange laufende Schau ist eine Art | |
Solidaritätsinitiative für das immer noch von der Schließung bedrohte | |
Altonaer Museum. Sie ergänzt die in Teilen unter dem Titel "Land am Meer" | |
gleich nebenan zu sehende, eher kulturgeschichtlich bedingte Sammlung | |
norddeutscher Malerei des Hauses mit einer exquisiten Versammlung von | |
selten gezeigten Werken eines Meisters wie Lyonel Feininger. | |
11 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
## TAGS | |
Kunst | |
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