# taz.de -- Debatte Atomenergie: Ratlos vor der Kernfrage | |
> Weltweit ist die Atomkraft noch lange nicht am Ende - trotz Fukushima. | |
> Doch hierzulande wird sich der Umgang mit Risikotechnologien verändern. | |
Bild: Photovoltaik-Expo in Tokio: Einen kompletten Kurswechsel in der Atompolit… | |
Der 11. März 2011 hat die Welt verändert. Denn das starke Seebeben vor der | |
Küste Japans hat den Inselstaat um 2,40 Meter versetzt und die Erdachse | |
verschoben. Aber sonst? "Das Ende des Atomzeitalters" sei angebrochen, ist | |
jetzt überall zu lesen. Doch diesen Traum haben die Atomkraftgegner schon | |
häufig geträumt: nach Harrisburg, nach Tschernobyl, am Ende des Kalten | |
Krieges oder beim rot-grünen Ausstieg aus der Atomenergie. | |
Sicher, Deutschland wird jetzt aus der Atomenergie aussteigen, und zwar | |
schneller und gründlicher als gedacht. Der Grund dafür ist nicht nur German | |
Angst, sondern auch eine intelligente Kombination aus Vorsorge für die | |
Zukunft und dem Willen, neue Märkte für unsere Exportindustrie zu erobern. | |
Aber in anderen Teilen der Welt ticken die Geigerzähler ganz anders: China | |
und Indien haben größere Sorgen mit der Stromversorgung von hunderten von | |
Millionen Menschen als wegen des Risikos regionaler Atomunfälle. Selbst in | |
Japan beginnt die Bevölkerung erst ganz langsam, sich über die Risiken der | |
"friedlichen Nutzung" der Atomkraft zu wundern. | |
Sogar unser Nachbarland Frankreich, das nach der Ölkrise 1973 seine | |
Stromversorgung fast vollständig auf Atomenergie umstellte, hat weder den | |
politischen Willen noch die technischen und finanziellen Ressourcen zum | |
Ausstieg. Das liegt nicht zuletzt an der militärischen Dimension der | |
Atomkraft. Denn das AKW ist von der Bombe nicht zu trennen: Historisch, | |
technisch und politisch sind diese beiden Spielarten des Wahnsinns eng | |
verbunden. Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama verschweigt das, wenn | |
er von einer Welt ohne Atomwaffen träumt. Nur ein Land wie Deutschland, das | |
keinen Anspruch darauf erhebt, militärische Hegemonialmacht zu sein, kann | |
sich bislang den Atomausstieg leisten. | |
Auch die mediale Aufbereitung des Desasters gibt wenig Anlass zur Hoffnung, | |
mit Fukushima sei das Thema Atom erledigt. Nach all den Brenn(!)-punkten | |
der ersten Tage ist das Thema auf die hinteren Plätze der Berichterstattung | |
gerutscht, kurz vor den Wetterbericht. Das ist so verständlich wie fatal. | |
Denn nichts langweilt mehr als die immer gleiche Meldung, die "Lage am | |
havarierten AKW bleibt weiter kritisch". Selbst dass sie "re-kritisch" | |
wird, also eine unkontrollierte partielle Kernspaltung wieder einsetzt, | |
geht da schnell unter. Was hysterisch war, wird historisch, die Aufregung | |
wandelt sich zur Haltung "Fuckyoushima". Das ist gefährlich. Während unser | |
Interesse abflaut, steigen die Strahlungswerte an; die Umgebung des Meilers | |
wird wohl für längere Zeit unbewohnbar sein. Aber Radioaktivität tritt eben | |
nicht als dicker orangefarbener Qualm oder als infernalischer Lärm auf. | |
"Das Eigentliche", sagt schon Saint-Exupérys Kleiner Prinz, "ist | |
unsichtbar." | |
## Bildermacht von "Three Eleven" | |
Trotzdem sprechen manche mit Blick auf die Katastrophe in Japan von "Three | |
Eleven" - in Anspielung auf das Datum 11. März und die Terrorangriffe in | |
New York und Washington. Der Unfall stehe für eine Zäsur, eine Zeitenwende. | |
In der Tat: Ähnlich den grauenhaften Bildern von den Flugzeugen, die in die | |
Twin Towers rasen, gibt es von Fukushima TV-Bilder, die die Katastrophe | |
anschaulich machen. Dass sie eine vergleichsweise harmlose | |
Wasserstoffexplosion zeigen, bei der ein paar Metallstreben und | |
Betonbrocken durch die Gegend fliegen, ist nicht relevant. Denn nun gibt es | |
eine Ikonografie der Katastrophe, und wir können dem Desaster im TV | |
zusehen. Die Bilder zeigen auch die Hilflosigkeit eines Hightechlandes | |
angesichts des Ernstfalls, der nie eintreten sollte. | |
Doch für kühle Rechner stellt Fukushima keineswegs einen Ausreißer dar, | |
sondern bestätigt nur die Statistik. Denn rechnet man die 10.000 Jahre, in | |
denen ein solcher Super-GAU stattfinden sollte, nicht als Zeitraum, sondern | |
bezieht sie auf die Laufzeiten aller weltweit aktiven AKWs, dann kommt man | |
bei über 400 Meilern und den 25 hJahren seit Tschernobyl ziemlich genau auf | |
den März 2011. | |
Eine Zäsur bedeutet Fukushima für die Frage, wie viel "Restrisiko" in | |
Deutschland akzeptabel ist. Nimmt man die Erklärungen der Bundesregierung | |
auch nur halbwegs ernst - was bei ihrem energiepolitischen Zickzackkurs | |
nicht ganz einfach ist - steht einem schnellen Atomausstieg nichts im Weg. | |
Dieses politische Erdbeben wird den ein oder anderen Tsunami nach sich | |
ziehen: Die Konservativen hören damit auf, die Atomkraft anzubeten, wenden | |
ihr Dogma von der inneren Sicherheit auch auf Reaktorblöcke an und | |
versuchen, einen neuen gesellschaftlichen Konsens in Energiefragen | |
herzustellen - den es ja bereits gab und den diese Regierung ohne Not | |
gekündigt hat. | |
## Zähneknirschen der Industrie | |
Eine Wende ist Fukushima auch für die deutsche Industrie. Wieder einmal | |
wird sie sich unter dem Druck der Ereignisse zu Innovation und neuem Denken | |
prügeln lassen, wie es so oft bei der Einführung neuen Umwelttechniken der | |
Fall war. Die Unternehmen werden die neuen Effizienzstandards erst | |
bekämpfen und dann zähneknirschend akzeptieren. Am nächsten Tag werden sie | |
neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die ihnen auf dem Weltmarkt | |
einen gewaltigen Vorsprung vor Atomländern wie Frankreich oder den USA | |
sichern. Dank für diese Hilfe bei der Erschließung zukunftsträchtiger | |
Wirtschaftsfelder haben aber weder Politik noch Umweltbewegung zu erwarten. | |
Den größten Einschnitt wird Fukushima aber für die Debatte über die | |
Sicherheit von "Risikotechnologien" bedeuten. Denn wenn wir Norbert Röttgen | |
und Angela Merkel abnehmen sollen, dass eine Technik unakzeptabel ist, weil | |
sie das Potenzial in sich trägt, bei einem Unfall massiven Schaden | |
anzurichten - wie sieht dann die Risikobewertung für die Gentechnik aus? | |
Wie für die Nanotechnik, für weite Teile der Chemieproduktion oder für | |
Kohlekraftwerke und die Speicherung von CO2 im Boden? | |
Die Regierung wird mit dem Atomausstieg und der Energiewende genug zu tun | |
haben und nicht auch noch diese heißen Eisen anpacken. Aber bei der | |
nächsten Debatte über das Vorsorgeprinzip und die Risiken, die wir für | |
unseren Wohlstand angeblich eingehen müssen, wird "Fukushima" zur Kernfrage | |
werden. | |
12 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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