# taz.de -- Wahl in Finnland: Stinkefinger Richtung Brüssel | |
> Einwanderungskritik und EU-Skepsis siegen bei den Wahlen in Finnland. Die | |
> "Wahren Finnen" sind drittstärkste Partei und dürften bald mitregieren. | |
Bild: Möchte gerne Wirtschaftsminister werden: Timo Soini. | |
STOCKHOLM taz | "Wir waren zu nachgiebig gegenüber der EU. Das muss sich | |
ändern." So beantwortete noch in der Wahlnacht Timo Soini, Vorsitzender der | |
rechtspopulistischen "Wahren Finnen", die Frage, welche Konsequenzen der | |
Wahlsieg seiner Partei haben werde. Deren Siegeszug hatte sich zwar in | |
Umfragen abgezeichnet, kam dann aber doch in dieser Höhe überaschend. | |
Mit 19 Prozent wurden die "Perussuomalaiset" drittstärkste Partei. Landeten | |
damit nur ein Zehntelprozent hinter den zweitplazierten Sozialdemokraten | |
und konnten mit ihrem von Einwanderungskritik und EU-Skepsis geprägten | |
Wahlkampf ihren Stimmenanteil von vor vier Jahren nahezu verfünffachen. | |
Nimmt man hinzu, dass erstmals bei einer finnischen Parlamentswahl die | |
konservative "Sammlungspartei" mit 20,4 Prozent stärkste Partei wurde, gab | |
es in Finnland einen klaren Rechtsruck. Die beiden Rechtsparteien konnten | |
ihren Stimmenanteil gegenüber 2007 um über 13 auf zusammen knapp 40 Prozent | |
steigern. Und zusammen mit den Sozialdemokraten werden sie vermutlich die | |
künftige Regierung bilden. | |
Finnland kennt keine Blockgrenzen. In den vergangenen Jahrzehnten war jede | |
Partei mit jeder koalitionsfähig und die Zusammensetzung der Regierung | |
spiegelt normalerweise das Wahlresultat direkt wieder. Gewöhnlich bilden | |
die beiden größten Parteien den Kern einer Koalition und nehmen sich | |
kleinere Parteien zur fehlenden Parlamentsmehrheit mit ins Boot. Jutta | |
Urpilainen, Vorsitzende der Sozialdemokraten, erklärte nach Feststehen des | |
Wahlergebnisses ihre Koalitionsbereitschaft und hielt es für | |
selbstverständlich, die "Wahren Finnen" an der Regierung zu beteiligen: | |
Alles andere hieße den Wählerwillen zu verfälschen. | |
Jyrki Katainen, Vorsitzender der "Sammlungspartei" und bisheriger | |
Finanzminister wird die Zentrums-Vorsitzende Mari Kiviniemi im | |
Ministerpräsidentenamt beerben. Frauen werden bislang in Finnland nicht | |
besonders alt als Regierungschefin: Anneli Jäätteenmäki, erste weibliche | |
Ministerpräsidentin musste 2003 bereits nach 2 Monaten gehen, Kiviniemi | |
waren jetzt nur 10 Monate vergönnt. Ihr Zentrum, 2007 noch stärkste Partei, | |
rutschte nun auf Platz 4 ab und machte mit minus 7,3 und nur noch 15,8 | |
Prozent eine rekordschlechte Wahl und verlor offenbar vor allen an die | |
"Wahren Finnen". Nach 8 Jahren an der Regierung werde man in die Opposition | |
gehen, kündigte Kiviniemi an. | |
## Die Grünen wechseln in die Opposition | |
Von der Regierung in die Opposition werden vermutlich auch die Grünen | |
wechseln. Vor vier Jahren viertstärkste Partei verloren sie 1,2 Prozent, | |
wurden nun von der Linkspartei (8,1 Prozent) überholt und liegen nur noch | |
auf Platz 6. Wie alle anderen Parteien außer den "Wahren Finnen" verlor | |
auch die liberale "Schwedische Volkspartei" (minus 0,3 auf 4,3 Prozent). | |
Dieser Partei der schwedischsprachigen Minderheit, wird seit 32 Jahren | |
traditionell ein Platz in der Regierung eingeräumt. Konservative und | |
Sozialdemokraten dürften ein Interesse daran haben, dass sich das auch | |
jetzt nicht ändert. Schon um noch ein Gegengewicht zu den "Wahren Finnen" | |
in der Regierung zu haben. | |
Knackpunkt für deren Regierungsbeteiligung wird Soinis Bereitschaft sein, | |
die EU-Kritik seiner Partei gegenüber dem Wahlkampf zumindest teilweise | |
zurückzufahren. Speziell müssten die "Wahren Finnen" aber vermutlich vorab | |
die Versicherung abgeben, die Beteiligung Finnlands an künftigen | |
Euro-Rettungsaktionen nicht zu blockieren. Für diese bedarf es Einigkeit | |
der Länder der Euro-Zone und in Finnland muss sie das Parlament absegnen. | |
Gibt es dort keine Mehrheit, können sie nicht wie geplant in Kraft treten. | |
Die "Wahren Finnen" konnten gerade aufgrund der – wegen der Euro-Krise | |
gestiegenen – EU-Skepsis der finnischen Bevölkerung punkten. In der Tat | |
gibt es ein weit verbreitetes Gefühl, von der Politik einfach überfahren | |
worden zu sein. Zur Einführung des Euro waren die Finnen anders als ihre | |
skandinavischen Nachbarn aus Schweden und Dänemark nie befragt worden. Laut | |
Umfragen lehnt die Hälfte der Bevölkerung finanzielle Hilfen für Portugal | |
ab. Und die "Wahren Finnen" rechneten vor wie die 1,4 Milliarden Euro, die | |
Finnland beitragen müsste, im unterfinanzierten finnischen Sozialsystem | |
viel dringender gebraucht würden. | |
## Soini gibt sich kompromissbereit | |
Auch die Sozialdemokraten sind kritisch, was den Euro-Rettungsfonds angeht. | |
Doch wird damit gerechnet, dass sowohl sie, wie Soini und Co, ihn nicht | |
wirklich scheitern lassen wollen. Timo Soini lockt die Regierung. Er möchte | |
gern Wirtschaftsminister werden und dürfte kompromissbereit sein. "Wir | |
haben das Ziel einer Regierungsbeteiligung, wir wollen etwas bewirken | |
können", verkündete er auch. | |
Viel folgenreicher als für die EU-Politik des Landes könnte der Wahlerfolg | |
der "Wahren Finnen" auf den ausländerpolitischen Diskurs im Lande sein. Sie | |
befürchte einen Rückfall in die ausländerfeindliche Stimmung, die sie | |
bereits in den neunziger Jahren in Finnland erlebt habe, sagt | |
beispielsweise Saido Mohamed, die 1992 als Flüchtling aus Somalia nach | |
Finnland kam und die für ihr Engagement in Flüchtlingsfragen anlässlich des | |
Internationalen Frauentags im März mit dem Titel "Flüchtlingsfrau des | |
Jahres 2011" geehrt worden war. | |
## Rollback in der Ausländerpolitik | |
Finnland sei seitdem offener geworden, doch nun zeichne sich ein Rollback | |
ab. Erst im Internet und nun durch Vertreter der "Wahren Finnen" gehörten | |
rassistische Ausfälle jetzt wieder zum Alltag. Die Polizeistatistik weist | |
eine steigende Tendenz bei Straftaten mit rassistischem Hintergrund, | |
Überfällen auf Flüchtlingsunterkünfte und Angriffe vor allem auf | |
afrikanische Asylbewerber aus. Dabei liegt der Ausländeranteil in der | |
finnischen Bevölkerung gerade mal bei EU-weit vergleichbar niedrigen 3 | |
Prozent. | |
Die konservative Sammlungspartei des neuen Ministerpräsidenten Katainen | |
will sich dieser Stimmung offenbar anpassen. Für Flüchtlinge solle es noch | |
schwerer werden in Finnland politisches Asyl zu bekommen. Die Vorschriften | |
für die Familienzusammenführung sollen verschärft werden, kündigten | |
Parteivertreter bereits an. Dänemark und die dort von der "Dänischen | |
Volkspartei" – mit denen die "Wahren Finnen" im EU-Parlament | |
zusammenarbeiten – vorgemachte Entwicklung lassen grüßen. | |
18 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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