Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Abhörprotokolle von Wehrmachtssoldaten: Ganz normale Männerkriegs…
> Sönke Neitzels und Harald Welzers Studie "Soldaten. Protokolle vom
> Kämpfen, Töten und Sterben" untersucht die Abhörprotokolle deutscher
> Soldaten in Gefangenschaft.
Bild: Vier Rekruten der deutschen Wehrmacht schwören während der NS-Zeit in D…
Die Frage, ob die Wehrmacht "anständig" oder auf ihrem Weg nach Osten an
Kriegsgräueln und Massenerschießungen von Juden beteiligt gewesen sei oder
zumindest davon gewusst habe, ist eigentlich schon lange beantwortet
worden.
Vor allem durch Christopher Brownings Studie "Ganz normale Männer" und
durch die Wehrmachtsausstellung, die noch einmal viel Staub aufgewirbelt
hat, weil die letzten Überlebenden sich nicht den Ruf der sauber
gebliebenen Wehrmacht zerstören lassen wollten und sich plötzlich mit Fotos
konfrontiert sahen, die das Gegenteil dokumentierten.
Jetzt ist ein weiteres Mosaiksteinchen in der sowieso schon fast
lückenlosen Beweisführung erschienen. In "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen,
Töten und Sterben" legen Sönke Neitzel und Harald Welzer allerdings etwas
vor, das tatsächlich in der ziemlich gut ausgeleuchteten Geschichte des
Zweiten Weltkriegs als wirklich spektakulärer Fund gewertet werden kann,
denn Neitzel entdeckte im britischen Nationalarchiv die Abhörprotokolle von
deutschen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, meistens
Marinesoldaten, aber auch Luftwaffen- und Heeressoldaten, die sich in der
Gefängniszelle vertrauensvoll ihre Geschichte und ihre Geschichten
erzählten, ohne zu wissen, dass ihre Gespräche mitgeschnitten wurden. Und
auch in den National Archives in Washington stieß Neitzel auf ähnliche
Abschriften.
Die Bedeutung dieser Quellen liegt auf der Hand, denn bislang musste sich
die Forschung auf Ermittlungsakten, Augenzeugenberichte und Memoiren
stützen, die entweder einen bestimmten Adressaten hatten oder retrospektiv
verfasst wurden. Hier, so Harald Welzer euphorisch, "sprachen Männer in
Echtzeit über den Krieg und was sie darüber dachten - eine Quelle, die
einen ganz einzigartigen und neuen Einblick in die Mentalitätsgeschichte
der Wehrmacht, ja vielleicht des Militärs überhaupt eröffnete".
Und in der Tat tut sich in dem Buch von Neitzel und Welzer auf über 500
Seiten ein Panorama der Gewalt auf: Erschießungen, Vergewaltigungen, Rauben
und Plündern gehören zum Alltag dieser Soldaten und sie berichten
gleichmütig, aufschneiderisch, protzend, stolz, nur selten aber voller Ekel
von ihren Erlebnissen.
## "Die Pferde taten mir leid"
"Straßen haben die gemacht, mordsschöne Mädels - da sind wir
vorbeigefahren, haben sie einfach in den Pkw hereingerissen, umgelegt und
dann wieder rausgeschmissen. Mensch, was haben die geflucht!" Diese
Vergewaltigungsgeschichte wird in einem Atemzug mit touristischen
Attraktionen in Russland und seinen "herrlichen Städten" erzählt und ruft
beim Gesprächspartner nicht die geringste Empörung hervor. Sie gehört zum
Alltag des Soldaten und wird als Teil eines "Männergesprächs" mit großer
Selbstverständlichkeit hingenommen.
Diese Brutalisierung durchläuft dabei eine sehr rasche und kaum
nachzuvollziehende Entwicklung, die ein tierliebhabender Wehrmachtsflieger
so beschreibt: "Am zweiten Tag des Polenkrieges musste ich auf einen
Bahnhof von Posen Bomben werfen. Acht von den 16 Bomben fielen in die
Stadt, mitten in die Häuser hinein. Da hatte ich keine Freude daran. Am
dritten Tag war es mir gleichgültig und am vierten Tage hatte ich meine
Lust daran. Es war unser Vorfrühstücksvergnügen, einzelne Soldaten mit
Maschinengewehren durch die Felder zu jagen und sie dort mit ein paar
Kugeln im Kreuz liegen zu lassen … Die Pferde taten mir leid, die Menschen
gar nicht. Aber die Pferde taten mir leid bis zum letzten Tag."
In unendlicher Mühe werden alle diese Aussagen analysiert, auf ihren
Wahrheitsgehalt untersucht, kommentiert und eingeordnet. Diese O-Töne
lassen jedoch trotz aller Brutalität keine spezifischen Schlüsse über die
Besonderheit der nationalsozialistischen Kriegführung zu, sondern ordnen
sich dem allgemeinen Prinzip unter, dass die entfesselte Gewalt des Krieges
nun einmal brutalisierte Soldaten hervorbringt, die Spaß dabei empfinden zu
töten. Das ist das Wesen jedes Krieges, und insofern unterscheiden sich die
Wehrmachtssoldaten nicht von den nicht minder brutal vorgehenden
Rotarmisten oder von den amerikanischen GIs, die in Vietnam
Kriegsverbrechen anrichteten, die wie das Massaker von My Lai in das
kollektive Gedächtnis eingingen.
Die Exzesshaftigkeit der Gewalt ist also kein Unterscheidungsmerkmal,
sondern allen modernen Kriegen eingeschrieben. Und insofern ist der Krieg
der Wehrmacht nicht "nationalsozialistischer" als andere Kriege auch, das
Besondere der Wehrmacht allerdings bestand mit der Ermordung der
sowjetischen Kriegsgefangenen und der Juden in der Aufhebung aller
zivilisatorischer Schranken.
## "Unwissenschaftlicher Moralismus"
Die "autotelische" Gewalt, wie Reemtsma das Töten um des Tötens willen
nennt, steht im radikalen Widerspruch zum Selbstverständnis einer
zivilisierten Gesellschaft, die in Friedenszeiten diese Art von Gewalt als
"das Böse" ausgrenzt, obwohl sie in Zeiten des Kriegs dieses Böse freisetzt
und sogar sanktioniert. Und auch wenn es heute Bestrebungen gibt, Soldaten
zur Rechenschaft zu ziehen, die Kriegsgräuel begehen, bietet der Krieg
einen Rahmen, in dem diese Art von Gewalt blüht und gedeiht.
Die Schwierigkeit, diese Gewalt zu erforschen, besteht laut Neitzel und
Welzer im "unwissenschaftlichen Moralismus". Die Moral aber ist in der
Regel der einzige Maßstab, der an solche Grausamkeiten angelegt wird,
verhindert jedoch zugleich ein wirkliches Verständnis von menschlicher
Gewalt, weil sich mit Moral nicht unterscheiden lässt zwischen Massaker und
Völkermord, und diese Ineinssetzung spielt in der Begründung von
Kriegseinsätzen eine entscheidende Rolle.
In der planmäßigen und industriellen Vernichtung der Juden durch Vergasung
in den KZs war das Exzessive eines Massakers eher kontraproduktiv, weshalb
man sich in den Befehlsetagen der Wehrmacht und der SS durchaus Sorgen
machte, denn die Zügellosigkeit des Gewaltgebrauchs war nicht im Sinne der
Effizienz, mit der ein Adolf Eichmann arbeitete.
Ständige Gewaltorgien untergruben nicht nur die Disziplin, auch die sich in
Tötungszahlen ausdrückende Wirkung ist begrenzt, weil ein
Erschießungskommando niemals schaffen kann, was in Auschwitz mit der
Massenfertigung von Toten erreicht wurde. Nun war das deutsche Personal in
den Vernichtungs-KZs nicht sehr groß, denn als Aufsichtspersonal hatte man
vor allem Ukrainer, Litauer, Letten, Esten und Polen (die übrigens von den
Deutschen deshalb verachtet werden, obwohl sie von ihnen für diese Arbeiten
zwangsrekrutiert wurden), aber in den Abhörprotokollen wird deutlich, dass
"viele Soldaten über den Prozess der Judenvernichtung en détail Bescheid
wussten".
Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, denn alle Indizien und Hinweise in
der Forschung weisen darauf hin, dass trotz geheimer Kommandosache das
Wissen um die Judenvernichtung allgemein war, was nur der ZDF-Historiker
Guido Knopp nicht wahrhaben will, der allenfalls 10 % der 18 Millionen
Wehrmachtssoldaten verstrickt sieht.
Abgesehen von solchen Relativierungen bleibt etwas sehr Erstaunliches, und
das drückte Hannah Arendt so aus: "Es gab im Dritten Reich nur wenige
Menschen, die die späteren Verbrechen des Regimes aus vollem Herzen
bejahten, dafür aber eine große Zahl, die absolut bereit waren, sie dennoch
auszuführen."
Und dieses Geheimnis haben auch Neitzel und Welzer nicht entschlüsselt,
auch wenn sie in einer "Referenzrahmenanalyse" versucht haben, "einen
unmoralischen, nämlich nicht-normativen Blick auf die Gewalt zu werfen, die
im Zweiten Weltkrieg ausgeübt wurde - um zu verstehen, was die
Voraussetzungen dafür sind, dass psychisch ganz normale Menschen unter
bestimmten Bedingungen Dinge tun, die sie unter anderen Bedingungen nie tun
würden".
Trotz des Versuchs, aus dem Kontext heraus zu verstehen, was da vor sich
ging, bleibt ein Rest, der sich nicht wirklich begreifen lässt, und dies
ist eine Art ideologische Zurichtung, die sich darin ausdrückt, dass
deutsche Soldaten von Anbeginn sich selbst ebenso selbstverständlich für
zivilisiert hielten wie Juden und Russen für nicht lebenswerte
Untermenschen.
## Sönke Neitzel/Harald Welzer: "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten
und Sterben". S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 528 Seiten, 22,95 Euro
20 Apr 2011
## AUTOREN
Klaus Bittermann
## TAGS
Bundeswehr
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Bundeswehr und die Deutschen: Eine Armee ohne Ziel
Olaf Scholz hat Klartext gesprochen. Doch Deutschland ist pazifistisch
geprägt – und eine politische Kultur ändert sich nicht so leicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.