# taz.de -- Debatte Aufstand in Syrien: Damaszener Stahl | |
> Auf die Proteste reagiert Präsident Baschar al-Assad widersprüchlich. | |
> Trotzdem droht ihm wenig Gefahr - weil es zu ihm keine Alternative gibt. | |
Die Revolution in Syrien wackelt. Auf den Bildern, die Aktivisten mit ihren | |
Handykameras aufnehmen und ins Internet stellen. Und in der Realität, in | |
der sich viele einzelne Demonstrationen nicht zum landesweiten | |
Volksaufstand ausweiten wollen. Zwar gehen inzwischen täglich Tausende auf | |
die Straße, aber die kritische Masse ist noch nicht erreicht. Vor allem die | |
intellektuelle Elite des Landes und die städtische Mittelschicht verfolgen | |
die Proteste mit Skepsis. | |
Der Bewegung fehlen deshalb eine intellektuelle Führung, die in ihrem Namen | |
sprechen könnte, und einflussreiche Bevölkerungsschichten wie die der | |
Händler, die effektiven Druck auf das Regime erzeugen könnten. Woher rührt | |
diese Zurückhaltung? | |
Haben Syriens Intellektuelle nicht seit Jahren die Aufhebung des | |
Ausnahmezustands, mehr Meinungsfreiheit und ein neues Parteiengesetz | |
gefordert? Und leiden die alten Händlerfamilien sowie das politisch | |
entmachtete Bürgertum in Damaskus und Aleppo nicht besonders unter | |
Korruption und Vetternwirtschaft des Regimes? Durchaus. Doch die | |
regimekritischen Vordenker kennen die Methoden der Geheimdienste aus | |
eigener Erfahrung und fürchten ein Blutvergießen, das zu keiner | |
nennenswerten Veränderung führt. Und die Gutverdiener in den Großstädten - | |
Selbstständige, Geschäftsleute und Angestellte der Privatwirtschaft - haben | |
von der wirtschaftlichen Öffnung der vergangenen Jahre profitiert und | |
einiges zu verlieren. Sie fürchten zudem ein gewaltsames und konfessionell | |
aufgeheiztes Chaos wie im Irak. | |
## Angst vor Chaos wie im Irak | |
Diese Angst sitzt bei den Syrern tief. Nicht nur haben sie den Irak in | |
Sichtweite, sondern in den vergangenen Jahren auch Hunderttausende | |
irakische Flüchtlinge im eigenen Land aufgenommen. Syriens Gesellschaft ist | |
außerdem ähnlich bunt wie die irakische: Eine sunnitische Mehrheit wird von | |
der schiitischen Minderheit der Alawiten beherrscht, es gibt verschiedene | |
christliche Konfessionen, Drusen und Kurden, die mehr kulturelle Rechte | |
fordern. Zwar ist der ehemals sozialistische Staat säkular geprägt und der | |
arabische Nationalismus überdeckt alle religiösen Unterschiede. Dennoch | |
besteht die Gefahr, dass im Falle eines Zusammenbruchs des Regimes | |
politische Konflikte entlang konfessioneller Linien aufbrechen und | |
ausgetragen werden. | |
Genau diese Angst schürt die Regierung mit ihrer Version der Ereignisse, | |
wonach ausländische Verschwörer und bewaffnete Gruppen Syrien | |
destabilisieren wollten. Wie aber können plötzlich überall im Land | |
Scharfschützen in Zivil auftauchen und mit Maschinengewehren auf | |
Demonstranten schießen, ohne dass die Geheimdienste davon Kenntnis haben? | |
Im besten Fall bedeutet das, dass der Überwachungsstaat Syrien nicht in der | |
Lage ist, seine eigenen Bürger zu schützen. | |
Die Verantwortung für das Blutvergießen liegt jedenfalls nicht bei den | |
Demonstranten. Sie gehen in friedlicher Absicht auf die Straße, stellen | |
legitime Forderungen und haben mit ausländischen, islamistischen oder | |
sonstigen Verschwörern nichts zu tun. Das zeigen auch ihre Parolen und | |
Plakate, mit denen sie die Einheit des syrischen Volkes über religiöse und | |
ethnische Grenzen hinweg beschwören. | |
## Mode statt Meinungsfreiheit | |
Ging es zunächst nur um mehr Freiheit, Reformen und ein Ende der | |
Korruption, wird inzwischen offen der Sturz des Regimes und des Präsidenten | |
gefordert. Vor wenigen Wochen war das noch undenkbar, war Baschar al-Assad | |
doch wegen seiner Standhaftigkeit gegenüber Israel und dem Westen durchaus | |
beliebt. Zudem verknüpften viele Syrer mit seiner Machtübernahme im Jahr | |
2000 die Hoffnung auf Wandel - und wurden zunächst auch nicht enttäuscht. | |
Assad öffnete das Land und liberalisierte die Wirtschaft. Mit der | |
Einführung von Internet, Mobilfunk und Satellitenfernsehen gewann er vor | |
allem Syriens Jugend für sich. Schicke Restaurants statt | |
Rechtsstaatlichkeit, private Banken statt unabhängiger Presse, Modelabels | |
statt Meinungsfreiheit, so das Kalkül. | |
Politisch blieb jedoch vieles beim Alten: die Alleinherrschaft der | |
Baathpartei, die Macht der Geheimdienste, juristische Willkür, die | |
Verfolgung Andersdenkender, die Kontrolle der Medien. Assad erwies sich als | |
Modernisierer, nicht als Reformer. Genau das erklärt jetzt seinen | |
widersprüchlichen Umgang mit der Krise. Statt den Unruhen von Anfang an den | |
Wind aus den Segeln zu nehmen und sich als arabischer Gorbatschow an die | |
Spitze der Demokratiebewegung zu stellen, lässt er die Waffen sprechen. | |
## Die Armee ist auf seiner Seite | |
Seine schrittweisen Zugeständnisse bis hin zur Aufhebung des | |
Ausnahmezustands nach 48 Jahren kommen zu spät und dürften an der Krise | |
nicht viel ändern. Wer demonstrieren will, braucht ab sofort eine | |
Genehmigung des Innenministeriums - und die wird er derzeit nicht bekommen. | |
Damit bleiben die Proteste illegal und die Sicherheitskräfte haben wie | |
bisher freie Hand, sie zu zerschlagen. Assads versöhnliche Gesten wie die | |
Freilassung von Gefangenen, die Treffen mit Delegationen verschiedener | |
Städte und das Kondolieren bei Angehörigen der Opfer wirken unglaubwürdig, | |
wenn gleichzeitig scharf geschossen und willkürlich verhaftet wird. | |
Im Unterschied zu Tunesien und Ägypten stehen Militär und Geheimdienste in | |
Syrien bisher geschlossen hinter der politischen Führung. Nicht nur, weil | |
sich in ihren Reihen überproportional viele Angehörige der herrschenden | |
Minderheit der Alawiten befinden, was zusätzliche Loyalität schafft. Auch | |
haben Baschars Bruder Maher und sein Schwager Asef Schaukat Schlüsselrollen | |
in der Führung der Streitkräfte und Geheimdienste. Machtkämpfe um den | |
richtigen Kurs des Regimes sind deshalb immer auch eine | |
Familienangelegenheit. | |
Solange es keine organisierte Opposition gibt, mit der das Regime | |
verhandeln könnte, ist eine politische Lösung der Krise schwer vorstellbar. | |
Präsident Assad erscheint mittelfristig ohne Alternative. Nicht nur in | |
Syrien, sondern auch in den Nachbarländern und im Westen halten viele an | |
ihm als Garant stabiler Verhältnisse fest. Zu viele Fäden laufen in | |
Damaskus zusammen, als dass sich der Nahe Osten ein Syrien leisten könnte, | |
das im Chaos versinkt. | |
20 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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