# taz.de -- Montagsinterview Clubchef Benjamin Biel: "Bier trinken auf der Stra… | |
> Im Nachtleben kennt man ihn nur unter seinem Punknamen "Ben de Biel". | |
> Bald wird Benjamin Biel, Betreiber der Maria am Ostbahnhof, wieder | |
> umziehen müssen - der Club weicht einem Investor. Ein Gespräch über | |
> Abschiede, Neuanfänge und goldene Nachwendezeiten. | |
Bild: "Ich bin längst nicht mehr meine Zielgruppe": Benjamin Biel in seinem Cl… | |
taz: Herr Biel, Sie betreiben seit 13 Jahren den Club Maria am Ostbahnhof, | |
der nun zum zweiten Mal umzieht: 2001 mussten Sie Ihren ersten Standort an | |
der Straße der Pariser Kommune räumen. Nun sollen Sie an der | |
Schillingbrücke Platz machen für einen Hamburger Investor. Fühlen Sie sich | |
verdrängt? | |
Benjamin Biel: Viele regen sich über den Verdrängungsprozess auf, der am | |
Spreeufer stattfindet. Ich nicht. Das Gebäude hier finde ich nicht | |
unbedingt erhaltenswert. Wenn sich die Gegend verändert, ist mir das | |
eigentlich auch egal. Eine Stadt muss sich verändern, sonst wirds | |
langweilig. Es gäbe genug leer stehende Gebäude, in denen man etwas Neues | |
aufziehen könnte. Aber es ist schwer geworden, sie zu nutzen. Die | |
Eigentümer wollen langjährige Pacht oder einen Kauf, verbunden mit hohen | |
Investitionen. Für eine Eigentumswohnung mag das passen: In der will man | |
lange wohnen. Für einen Club bietet sich eher das Modell der | |
Zwischennutzung an. Aber die ist kaum noch möglich. | |
Weil die Freiräume in der Innenstadt knapp werden? | |
Freiräume gibt es noch genug. Anders als früher muss man aber auf | |
politischer Ebene verhandeln, wenn man an ein leerstehendes Gebäude ran | |
will. Hier wird gemauert: Der Senat sagt, er sei nicht zuständig, sondern | |
der Bezirk. Das ist zwar formal richtig, aber wenig konstruktiv angesichts | |
der Tatsache, dass der Senat bei der Werbung nach außen so gar kein Problem | |
hat, sich als zuständig für die Clubs zu erklären. Sich die Taschen | |
vollstopfen und die Fische mitnehmen ist eines. Aber dann nix dafür zu tun, | |
ist was anderes. | |
Nun regen Sie sich doch auf … | |
Ein wenig. Ich habe es auf Bezirksebene versucht, jetzt versuche ich es auf | |
Senatsebene. Das dauert. Was hingegen schnell gehen muss, ist die Räumung: | |
Zum 18. Juni muss ich hier zumachen, dafür musste ich extra eine | |
Zwangsräumungsklagenunterwerfungsklausel unterzeichnen. Allein schon das | |
Wort … Und dann lese ich in der Zeitung, dass mir der Eigentümer nun doch | |
noch einen Aufschub geben will bis Jahresende. Das ist schlechter Stil. Und | |
könnte den Eindruck erwecken, ich sei zu blöd zum Verhandeln. Also werde | |
ich nach der letzten Party am 21. Mai mein Maria-Neonschild abschrauben. | |
Dann können noch Partys gefeiert werden. Aber nicht mehr unter dem Namen | |
Maria. | |
Das klingt beleidigt. Ziehen Sie sich jetzt nach 20 Jahren aus dem | |
Nachtleben zurück? | |
Nein, ich ziehe sehr gern noch mal um. Aber nur innerhalb der vier | |
Innenstadtbezirke. Ich bin aus dem Alter raus, wo ich nach Schöneweide | |
gehe, Entwicklungsarbeit mache, bis die Szene kommt. Und dann wieder gehe. | |
Wir haben nach der Wende in Prenzlauer Berg gefeiert, dann in Mitte und | |
jetzt in Friedrichshain. Irgendwann hört der Spaß auf. Wobei - ich bin | |
selbst ja Teil der kommerziellen Entwicklung. Wegen mir werden auch Hotels | |
und Hostels gebaut: Die Party-Community macht inzwischen knapp 40 Prozent | |
der Berlintouristen aus. Aber ich versuche, wenigstens korrekte Inhalte zu | |
prägen, damit die Leute keinen Pub Crawl machen müssen. Denn der Stil auf | |
den Straßen hat sich schon verändert. | |
Inwiefern? | |
Wenn du am Wochenende die Kastanienallee in Prenzlauer Berg raufgehst und | |
jeder Zweite hat eine Bierflasche in der Hand - das ist eine | |
Erscheinungsform, die es früher nicht gab. Da sind wir einen trinken | |
gegangen, aber nicht auf der Straße. Das ist peinlich und sieht ganz | |
schlecht aus! | |
Sie waren doch selbst Punk und Hausbesetzer. Ausgerechnet Sie prangern das | |
öffentliche Bierflaschentragen an? | |
Labernd und saufend die Straßen langzuziehen, war nicht unser Stil. Es ging | |
darum, jung, nicht Teil des Establishments zu sein, und ihm einen eigenen | |
Lebensentwurf entgegenzusetzen. | |
Sie waren in den 90ern an verschiedenen Fronten aktiv: Sie lebten in einem | |
besetzten Haus, fotografierten, betrieben die Diskothek "Ständige | |
Vertretung" im Tacheles und den "Im Eimer" in der Rosenthaler Straße. Waren | |
das bessere Zeiten? | |
Eher ein Unfall der Geschichte. Dass ich, als ich 1990 von Hamburg herzog, | |
solche Möglichkeiten hatte, war historisch einmalig: In jeder Stadt des | |
Universums war längst alles verteilt gewesen. In Berlin gab es plötzlich | |
diesen ganzen Stadtteil mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen und | |
historisch komplizierten Grundstücksgrenzen. Diese rechtliche Grauzone, die | |
noch bis ungefähr 1996 herrschte, ermöglichte es uns zu tun, was wir | |
wollten. Was wir auch taten. | |
Erzählen Sie doch mal … | |
Ich machte damals in Hamburg ein Praktikum bei einer Fotoagentur, arbeitete | |
in einer Pizzeria und lebte in einer Altbauwohnung. In Berlin hatte ich | |
Freunde, die ich regelmäßig besuchte. Als die nach dem Mauerfall ein Haus | |
in der Kleinen Hamburger Straße besetzten, dachte ich: Das kostet nix, | |
nicht mal Strom, das ist nicht zu toppen. Es war ein wenig dreckig da, aber | |
wir machten es uns schön. Im Tacheles war ich auch oft. Wenig später | |
entstand der "Eimer" in der Rosenthaler Straße. Beides waren ursprünglich | |
Ost-Besetzungen, aber im Tacheles übernahm schnell die westdeutsche | |
Fraktion. Darunter Ludwig Eben, der ab 1992 das Café Zapata machte. | |
Seit Kurzem nicht mehr: Eben hat, laut Gerüchten gegen Zahlung einer halben | |
Million Euro, mit seiner Gastronomie das Gelände verlassen. Dort harren nur | |
noch die Künstler aus … | |
Ludwig war damals schon der Tod eines jeden Kunsthauses. Bei jedem | |
vergleichbaren Projekt funktioniert das ja so: An der Bar wird das Geld | |
verdient. Die Bar gehört dem Haus und finanziert die Kunst, den Rest | |
versucht man woanders zu akquirieren. Im Tacheles lief das anders: Ludwig | |
bezahlte nicht oder nach Gutdünken und blieb auf seiner Geldquelle sitzen. | |
Das ist einer der Gründe, warum ich 1993 den Club Ständige Vertretung im | |
Tacheles-Keller verließ, den ich mit aufgebaut hatte: Ich hatte keine Lust, | |
mich ständig zu streiten. | |
Der Streit zwischen Künstlern und Gastronomie im Tacheles wurde später | |
legendär, man überhäufte sich mit Räumungsklagen. Ist die kreative | |
Anfangszeit des Tacheles nur eine Legende von Nachgeborenen? | |
Nein, wir haben wirklich in Handarbeit den Keller ausgebuddelt und diese | |
wilde Höhle als Club betrieben. Solange wir alle Besetzer ohne Vertrag | |
waren, ging das in Ordnung. Dann gab es den Mietvertrag und Stromzähler. Es | |
musste bezahlt werden. Wir hatten kein Geld - aber auch keine Lust, uns den | |
Club vom Zapata wegnehmen zu lassen. Also haben wir das Kabel nachts | |
heimlich im Hof verbuddelt und im Nachbarhaus angeschlossen. Am nächsten | |
Tag saßen alle beim Plenum und warteten darauf, dass wir am Arsch sind. | |
Aber wir hatten immer noch Strom. Als man uns beschuldigte, im eigenen Haus | |
Strom zu klauen, verwiesen wir auf die Stromzähler, die in Ordnung waren. | |
Geschädigt haben wir keinen, es gab ja freien Eintritt für die | |
Hausbewohner. | |
Sie hatten nach dem Tacheles schnell eine neue Wirkungsstätte, den "Eimer" | |
in der Rosenthaler Straße. Buddelten Sie da wieder die Erde auf? | |
Der "Eimer" war eine Ruine, wir haben ein Jahr Arbeit reingesteckt, bis wir | |
anfangen konnten. Wir betrieben den Club als Kollektiv: Einer schweißte, | |
einer werkelte, das dauerte seine Zeit. Ich habe neben dem Fotografieren | |
und der Arbeit für einen holländischen Künstler sonst nicht viel zu tun | |
gehabt und habe mich mit Lichtinstallationen beschäftigt. Die | |
Wohnungsgesellschaft WBM wollte die alte Ost-Neonwerbung auf den Dächern | |
loswerden, ich nahm sie mit und baute daraus Installationen für den | |
"Eimer". Noch heute ist der Keller in der Maria voll davon. Ich habe mir | |
vorgenommen, mit ihnen nicht noch mal umzuziehen. | |
Mit der Maria am Ostbahnhof professionalisierten Sie sich. Der Club war | |
kein Kollektiv mehr und ist heute ein erfolgreicher Betrieb. Sind Sie im | |
Establishment angekommen? | |
Der Weg dorthin war ein Lernprozess, ein Ziel gab es nie. In der ersten | |
Maria fingen wir zu fünft an, ich machte das Booking. Das ist ein | |
risikoreiches Geschäft, ich kann davon leben, bin aber nicht reich. Es gibt | |
ja auch andere Herangehensweisen an so einen Club. Neulich war ich im | |
Prêt-à-diner, einem Restaurant, das sich mit dem Abfeiern von Szenepromis | |
beschäftigt. Da steht eine silberne Harley vor dem DJ-Pult. Da ist sofort | |
klar: Hier gehts um die Idee von Status und Geld. | |
Also so ziemlich das Gegenteil von den Orten, die Sie geprägt haben … | |
Ja, aber das Lustige ist: Der Weg zum Eingang war mit Teelichtern | |
ausgelegt, so wie wir das früher gemacht haben, weil wir keinen Strom | |
hatten. Die aber machen das, weil sie Vorstellungen von den "alten" Zeiten | |
bedienen wollen, die sie verpasst haben. Mich berührt so etwas peinlich. | |
Wenn es Strom gibt, kann man den ruhig verwenden, ohne die äußeren Zwänge | |
von damals funktioniert auch die Ästhetik nicht. | |
Von den schrabbeligen Clubs der Nachwendezeit ist fast keiner mehr übrig. | |
Den "Eimer" gibt es nicht mehr, das Tacheles kämpft ums Überleben, Mitte | |
ist sauber geworden. Befällt Sie bei dem Anblick Wehmut? | |
Ich halte nicht viel von Nostalgie. Aber manchmal kriege ich schon so ein | |
Gefühl. Letzten Sommer zum Beispiel waren wir mit Freunden im Monbijoupark | |
grillen, auf der kleinen Erhebung, die wir "Feldherrenhügel" nennen. Fast | |
wie früher. Dann passierten zwei seltsame Dinge: Erst ging eine | |
automatische Bewässerungsanlage an wie in Südfrankreich! Als wir dann mit | |
unserem nassen Grill umzogen, kam ein Pub Crawl vorbei, Touristen auf | |
Sauftour, eine ziemlich unansehnliche Sache. Wenn der Kommerz völlig | |
obsiegt, ist das bedauerlich. Von einer Stadt wie Berlin würde ich schon | |
einen Mittelweg erwarten. | |
Fühlen Sie sich fremd in Mitte? | |
Nein, ich wohne selbst noch dort, das geht, auch mit Kind. Insofern ist | |
auch noch nicht alles am Arsch. Laut ist es zwar, aber das gehört zur | |
Großstadt - in südlich gelegeneren Städten ist es noch viel lauter. Ich | |
verstehe die Berliner nicht, die mittendrin wohnen, aber ihre Ruhe haben | |
wollen. Das liegt wohl daran, dass sie aus der Provinz zugezogen sind und | |
es nach Ausleben ihrer wilden Phase gesittet haben wollen - so wie sie es | |
von früher kennen. | |
Sie kommen doch auch aus dem Westerwald - wann fängt Ihre beschauliche | |
Phase an? | |
Bei mir war das schon immer etwas anders: Ich bin nach der abgebrochenen | |
Schule erst mal allein nach Belfast. Dann war ich in Moskau, hing in | |
Italien herum, bin viel gereist. Wenn du viel reist, gleichen sich manche | |
Sachen etwas aus. Du weißt dann: Nach Paris willst du nicht ziehen, das ist | |
noch viel dreckiger als Berlin, und alle haben noch weniger Geld. Das | |
Gemäkel an der eigenen Stadt relativiert sich durch diese Erfahrungen. Wer | |
aber nur den Schritt von der Provinz in die Stadt gemacht hat, ohne weitere | |
Umwege, der sieht die Dinge naturgemäß anders. | |
Sie waren erst Punk, entdeckten dann Techno. In der Maria gab es immer | |
beides zu hören, elektronische und Gitarrenmusik. Nehmen Sie auch noch | |
privat am Musikgeschehen teil? | |
Klar, aber deutlich weniger als früher. Nach dem 999. Konzert ist es auch | |
schwerer geworden, etwas zu finden, das mich begeistert. Aber es geht immer | |
noch. Obwohl ich längst nicht mehr meine Zielgruppe bin: Die jungen | |
Menschen entwickeln selbst das, was andere junge Menschen dann hören | |
wollen. Und das ist leider weniger politisch als früher. Wir hatten noch | |
mit den Nachwehen der 68er zu tun: Die hatten wenigstens mal nachgefragt, | |
ob ihre Eltern Faschisten waren. Mein Sohn muss mich das nicht mehr fragen. | |
Dieser Konflikt ist weg. Man misst sich freiwillig an kommerziellen | |
Maßstäben: Man will auf die beste Schule gehen, die meistverkaufte Platte | |
machen … Eigentlich traurig - es ist meine Generation, die in der Lage | |
wäre, das System zu ändern. Und den Kindern was anderes vorleben müsste. | |
Was machen Sie, um das System zu ändern? | |
Ich engagiere mich politisch, in der Piratenpartei. Bedingungsloses | |
Grundeinkommen, Liquid Democracy: Das bedeutet transparente Politik, | |
Bürgerbeteiligung, gläserner Staat. Das sollte unsere Generation erreichen. | |
Was haben Sie sonst noch vor? | |
Ich will die Bilder zeigen, mit denen ich den Wandel Berlins begleitet | |
habe. Einige werde ich am 3. Mai im Kiss Kiss Ballroom in der Rheinsberger | |
Straße ausstellen. Dann wird ordnungsgemäß die Maria aufgeräumt. Und ein | |
neuer Club eröffnet, bei dem ich gern etwas in den Hintergrund treten | |
würde. Mit 67 möchte ich nicht mehr hauptsächlich im Nachtleben unterwegs | |
sein. Irgendwann ist dann mal gut. | |
1 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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