# taz.de -- Volle Wohnheime: Studenten wollen mehr Budenzauber | |
> Jahrelang gab es in Berlin mehr günstige Wohnungen als Studierende. Das | |
> ist vorbei: Erstmals sind die Studentenwohnheime ausgebucht. Und der ganz | |
> große Andrang kommt noch. | |
Bild: Dieser junge Mann steht in München - wo's auch nicht besser aussieht. | |
Jeshurun Devendraraj fährt mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage des | |
Hochhauses. Von dem Fenster im Flur schaut er gerne auf die Stadt im | |
Panoramablick. In der Ferne erahnt man den Fernsehturm, das | |
Telefunken-Haus, in unmittelbarer Nähe das kurfürstliche Schloss | |
Charlottenburg. "Ich bin froh, dass ich hier bin", sagt der 19-Jährige | |
Informatikstudent. "Hier" ist das Studentenwohnheim Mollwitzstraße in | |
Charlottenburg, wo Devendraraj untergekommen ist. Er hat sich vor einigen | |
Semestern angemeldet und prompt ein Zimmer bekommen. Hätte Devendraraj das | |
in diesem Sommersemester probiert, wäre er wahrscheinlich abgelehnt worden. | |
Erstmals seit Menschengedenken sind die Berliner Studentenwohnheime | |
ausgebucht. | |
"Wir mussten im März 25 bis 30 Studierenden pro Tag absagen", sagt Jürgen | |
Morgenstern, Sprecher des Studentenwerks. Aktuell könne man zwar wieder | |
einige Anfragen beantworten. Besonders viele allerdings nicht: Auf der | |
Website des Studentenwerks werden gerade mal drei freie Zimmer angeboten. | |
Schuld am Platzmangel sind dem Studentenwerk zufolge der Wandel auf dem | |
Wohnungsmarkt und die ungebrochene Popularität Berlins. Die Mieten in | |
angesagten Bezirken wie Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain sind | |
gestiegen. "Deshalb entscheiden sich inzwischen viel mehr Studierende für | |
einen Platz im Wohnheim", sagt Morgenstern. | |
Und die Situation wird sich noch verschärfen: Mit der Abschaffung der | |
Wehrpflicht und den doppelten Abiturjahrgängen ab 2012 drängen bereits zum | |
nächsten Wintersemester Tausende zusätzliche Erstsemester an die | |
Universitäten. Gleichzeitig wurden die Wohnheimplätze nicht dementsprechend | |
ausgebaut, sondern viele über die Jahre eingespart. Früher gab es einmal um | |
die 12.000 Plätze in Berlin, heute sind es 9.500, 250 davon befinden sich | |
in der Mollwitzstraße. | |
Devendraraj läuft durch die Gänge des Wohnheims. Hinter den Türen wird mal | |
Türkisch, mal Englisch gesprochen. Es riecht nach scharfem Essen und frisch | |
gewaschener Wäsche. Hinter jeder Tür befindet sich ein exakt gleich | |
geschnittenes 17-Quadratmeter-Appartment mit Kochnische und Bad. Möbel wie | |
Schreibtisch, Bett, Schrank, und Stuhl sind inklusive. Wer möchte, kann | |
sogar Töpfe und Bettwäsche dazu buchen. | |
Zwischen 120 und 330 Euro | |
Ins Wohnheim kann theoretisch jeder ziehen, der an einer Berliner | |
Hochschule immatrikuliert ist. Die Studierenden können sich das ganze | |
Semester über bei den Wohnheimverwaltungen oder online bewerben. Insgesamt | |
betreibt das Studentenwerk 35 Wohnheime, ein Großteil davon liegt im | |
Westteil Berlins. Das ist noch der Teilung der Stadt geschuldet. Ein Zimmer | |
kostet zwischen 120 und 330 Euro - Strom und Wasser inklusive. Die | |
unterschiedlichen Mieten hängen von der Größe der Apartments, der Lage in | |
Berlin und der jeweiligen Ausstattung ab. Ein Zimmer in der Lichtenberger | |
Allee der Kosmonauten, wo Küche und Badezimmer gemeinsam genutzt werden, | |
kostet etwa 140 Euro. Ein Zimmer im Ikea-Schick direkt auf dem Campus der | |
Technischen Universität ist mit etwa 330 Euro teurer, dafür haben die | |
Mieter ein eigenes Bad und eine eigene Küche. In der Hauptstadt wohnen | |
knapp 7 Prozent der Studierenden im Wohnheim, der Bundesdurchschnitt liegt | |
bei knapp 10 Prozent. | |
Trotz des Platzmangels ist die Situation in Berlin bei Weitem nicht so | |
dramatisch wie in anderen Studentenstädten. Aber auch hier sind | |
Einzelapartments in beliebten Bezirken auf dem freien Wohnungsmarkt teurer | |
und knapper geworden. Ein Blick in die Studentenwohnungsbörsen im Internet | |
zeigt allerdings, dass es nach wie vor viele günstige Zimmer in | |
Wohngemeinschaften und Einzimmerwohnungen in Randlagen gibt. Nur: Welcher | |
Studierende möchte schon in Reinickendorf oder Rudow wohnen? | |
Für Devendraraj sollte es von Anfang an das Wohnheim sein. Inzwischen ist | |
er zu einem richtigen Fan geworden. Seit einem Semester betreut Devendraraj | |
als studentischer Tutor die Bewohner. Er ist der erste Ansprechpartner, | |
wenn die Studenten Probleme haben. Zum Semesterstart zeigt er den Neuen die | |
Gegend und bietet Orientierung. "Auch wenn man hier Einzelzimmer bewohnt, | |
lernt man schnell Leute kennen", sagt er. Das Haus hat eine Bar, einen | |
Fitness- und einen Tischtennisraum. Wer gerne kocht, kann den Backraum | |
nutzen. Es wirkt ein bisschen wie im Schullandheim. "Budenzauber" nennt das | |
Studentenwerk diese Mischung aus Sozialleben und Billigmiete. | |
Draußen gibt es noch ein Basketballfeld und einen Steinofen. Um ihn sitzt | |
eine große Gruppe Chinesen beim Essen. Ein Großteil der Wohnheimbewohner | |
sind Austauschstudenten. Der Platzmangel wird sie besonders hart treffen. | |
Für sie ist es vergleichsweise schwierig, günstigen Wohnraum in Berlin zu | |
finden. Sie kennen sich nicht so gut in der Stadt aus wie die deutschen | |
Studenten. Viele Vermieter wollen zudem Mieter, die länger als ein Jahr | |
bleiben, und verlangen Bürgschaften der Eltern sowie Meldebescheinigungen. | |
Ein Wohnheim war bislang eine unkomplizierte Alternative. | |
Quoten für arme Studis? | |
"In diesem Semester mussten wir auch 60 Anfragen von Austauschstudenten | |
ablehnen", sagt Morgenstern. Er geht davon aus, dass die Zahl der | |
ausländischen Studierenden in seinen Häusern in Zukunft sinken wird. Bisher | |
war es so, dass deutsche Studenten nach einer Orientierungsphase in Berlin | |
schnell in eine eigene Wohnung gezogen sind. Bleiben sie nun länger, | |
bekommen weniger internationale Studierende einen Platz. | |
"Ich finde, wenn sich der Platzmangel sehr verschärft, sollte man über | |
soziale Kriterien nachdenken, nach denen Wohnheimplätze vergeben werden", | |
sagt Olga Onokova. Die Publizistikstudentin wohnt in Lankwitz in einem | |
Wohnheim und war vor einem Semester Präsidentin des Internationalen Clubs | |
an der Freien Universität. Der Club dient als Treffpunkt und als Netzwerk | |
für internationale Studierende. Hier hat Onokova schon häufiger von den | |
Problemen bei der Wohnungssuche gehört. Sie weiß allerdings auch, dass | |
Kriterien für Wohnheimplätze nur schwer festzulegen sind und großen Aufwand | |
bedeuten. "Quoten und soziale Kriterien sind zurzeit kein Thema", sagt | |
Morgenstern. Eigentlich sei es von der Sache her ausgeschlossen, dass | |
einzelne Studierendengruppen bevorzugt werden. Zumindest bislang. | |
Denn eine Verbesserung ist nicht in Sicht: Mehr Wohnraum wird es trotz | |
Studentenansturm im nächsten Semester nicht geben. Pläne, weitere Wohnheime | |
zu bauen, gibt es nicht, die Stadt fördert derzeit keinen studentischen | |
sozialen Wohnungsbau und stellt dem Studentenwerk auch keine Grundstücke | |
zur Verfügung, auf denen es selbst bauen könnte. | |
Anders als beispielsweise in Bayern. In Augsburg und München ist der | |
Wohnungsmarkt seit langem angespannt. Die dortigen Studentenwerke wollen | |
bis zum nächsten Semester neue Wohnheime fertig bauen und zusätzliche | |
Plätze schaffen. Das Berliner Studentenwerk hat zwar auch mit Investoren um | |
Immobilien verhandelt, zu einem Deal kam es bisher aber nicht. "Die | |
Investoren haben zu hohe Mieterwartungen", sagt Morgenstern. Rund 450 Euro | |
pro Monat sollte etwa ein Wohnheimzimmer in Charlottenburg nach Plänen der | |
Investoren kosten. | |
Jeshurun Devendraraj nimmt den Fahrstuhl nach unten. Er kann sich nicht | |
vorstellen, woanders zu wohnen. Bis zum Ende seines Studiums bleibe er auf | |
jeden Fall in der Mollwitzstraße. "Anschließend kommt der Master", sagt er. | |
"Wahrscheinlich auch im Wohnheim." Die Tür zu seinem Zimmer fällt krachend | |
ins Schloss. | |
2 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Laurence Thio | |
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Studierende | |
Staatsexamen | |
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