# taz.de -- Parteitage in Baden-Württemberg: Auf und nieder, immer wieder | |
> Die Grünen wollen auf ihrem Landesparteitag nicht diskutieren, sie wollen | |
> sich und ihren Frontmann feiern. Ähnlich harmonisch geht es bei der SPD | |
> zu. | |
Bild: Will neue, dicke Bretter bohren: Winfried Kretschmann. | |
STUTTGART taz | Der Parteitag der Grünen Baden-Württemberg ist ein einziges | |
Auf und Ab: aufstehen, minutenlang applaudieren, hinsetzen. Wieder | |
aufstehen, wieder applaudieren, wieder hinsetzen. Diskussionsbedarf gibt es | |
an diesem Samstag nicht, umso größer ist das Bedürfnis, die Euphorie über | |
den Wahlsieg und die Regierungsübernahme rauszulassen. | |
Inmitten dieser Party scheint ausgerechnet der designierte | |
Ministerpräsident Winfried Kretschmann am ehesten am Boden haften zu | |
bleiben. Der Jubel um seine Person ist ihm sichtbar unangenehm. Und ein | |
weiterer Grund gebietet Zurückhaltung: Am Donnerstag muss der Landtag ihn | |
zum Ministerpräsidenten wählen, erst dann ist der Regierungswechsel | |
perfekt. | |
Doch der Basis scheint das egal. Der Applaus nach Kretschmanns Rede dauert | |
mehr als zwei Minuten. Auf der Bühne reckt der grauhaarige Mann kurz beide | |
Arme in die Höhe, dann zieht er sie schnell wieder runter und geht zum Rand | |
der Bühne vor. Dort bleibt er stramm stehen, holt einmal tief Luft, winkt | |
in die Menge und verschwindet nach nicht einmal einer Minute zu seinem | |
Sitzplatz. | |
## "Gemeinsamer Sound" für Grün-Rot | |
In seiner Rede hat er zuvor seinen Respekt vor den neuen Aufgaben bekundet: | |
"Wir haben dicke Bretter gebohrt. 30 Jahre lang. Jetzt sind wir durch", | |
sagt er, um sogleich anzufügen: "Jetzt kommen neue Bretter. Und die sind | |
auch sehr dick." | |
Im Hinblick auf das wohl dickste Brett, das Bahnprojekt Stuttgart 21, | |
verteidigt er den grün-roten Kompromiss. Der Koalitionsvertrag sei nur | |
deshalb zustande gekommen, weil die Grünen einer Volksabstimmung über | |
Stuttgart 21 akzeptiert hätten. "Die Alternative wäre gewesen, wir hätten | |
die Koalition nicht machen können. Dann wäre es zu Schwarz-Rot gekommen, | |
dann wäre Stuttgart 21 auf jeden Fall gekommen." | |
Kretschmann scheint klar, was auf die Partei in den nächsten Monaten | |
zukommt: Die Grünen sind nicht mehr einfach nur eine Oppositionspartei, die | |
ein verdammt gutes Ergebnis erzählt hat. Sie müssen jetzt die | |
Landesregierung führen - eine enorme Umstellung für die gesamte Partei, von | |
den künftigen Ministern bis zur Basis. | |
Kretschmann ruft denn auch seine Partei zur Geschlossenheit - intern, aber | |
auch im Hinblick auf das Bündnis mit der SPD. Immerhin hätten fast 60 Jahre | |
lang konservative Regierungen Baden-Württemberg geführt. "Wir können uns da | |
keine Konfliktkoalition erlauben." Grün-Rot müsse einen "gemeinsamen Sound | |
entwickeln". | |
Noch wichtiger ist es ihm am Ende seiner Rede zu betonen, dass sich | |
Grün-Rot zwar nicht von den großen Zielen abbringen lassen solle, der Weg | |
aber immer mit den Bürgern gegangen werden sollte. "Unser Blickpunkt muss | |
die Gesellschaft sein, die zivilgesellschaftlichen Gruppen. Die müssen der | |
Adressat sein." Dabei müsse die Partei auch mal bereit sein, sich selbst zu | |
korrigieren. An diesem Tag zumindest will ihm keiner widersprechen. | |
## Gekommen, um zu bleiben | |
Ähnlich harmonisch geht es auf dem Landesparteitag der SPD zu. Kritik am | |
Koalitionsvertrag gibt es kaum. Die rote wie die grüne Basis spricht sich | |
einstimmig für den Koalitionsvertrag aus. SPD-Landeschef Nils Schmid sieht | |
im Bündnis mit den Grünen ein langfristiges Projekt. "Wir sind gekommen, um | |
zu bleiben", sagte der designierte Vize-Regierungschef vor etwa 300 | |
Delegierten. Der Koalitionsvertrag sei "ein festes Fundament für ein | |
gemeinsames Regierungshandeln". Stuttgart 21 ist bei der SPD kein großes | |
Thema. Stattdessen wirbt Schmid für Solidarität mit den grünen | |
Koalitionspartner: "Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann verdient | |
unsere uneingeschränkte Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe." | |
Um diese übernehmen zu können, braucht Kretschmann am Donnerstag bei den | |
ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit, also mindestens 70 Stimmen. | |
Im baden-württembergischen Landtag haben Grüne und Sozialdemokraten | |
zusammen 71 Sitze. | |
Angesichts dieser knappen Mehrheitsverhältnisse wurde in den vergangenen | |
Tagen viel über mögliche Abweichler diskutiert. Manche Medien nannten gar | |
Namen einiger Grüner, die aus Frust über die Postenverteilung gegen | |
Kretschmann stimmen könnten. "Für diese Namen kann ich meine Hand ins Feuer | |
legen", sagte Grünen-Landeschef Chris Kühn der taz. Es gebe immer | |
Enttäuschungen. "Aber nicht so tiefe." | |
Die SPD hat bereits in ihrer Fraktion eine geheime Probewahl durchgeführt. | |
Bei ihr stimmten alle Sozialdemokraten für Kretschmann. | |
Dieser steht am Samstag zum Schluss mit allen künftigen grünen Ministern | |
auf der Bühne. Jeder wird mit einem Blumenstrauß geehrt. Arm in Arm bewegen | |
sie sich locker zum Rhythmus der Musik. Ihr Chef steht dabei in der | |
hinteren Reihe und wedelt nur verkrampft mit seinem Sträußchen. Vielleicht | |
ist er gedanklich wieder bei neuen dicken Brettern. | |
8 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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