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# taz.de -- Debatte Baden-Württemberg und S21: Stresstest für die Grünen
> Der Streit um Stuttgart 21 bescherte den Grünen einen gewaltigen
> Aufschwung. Doch am Umgang mit dem Thema wird sich auch zeigen, ob sie
> das Zeug zur Volkspartei hat.
Bild: Lackmustest für die Grünen: Die Debatte um Stuttgart 21.
Wenn die Auguren recht behalten, so werden die Grünen in Baden-Württemberg
noch im Laufe dieses Jahres das Projekt Stuttgart 21 auf die Schiene
bringen. Denn den politischen Abläufen der letzten Monate wohnt eine
gewisse Eigendynamik inne, die auf dieses Ergebnis hinsteuert. Ob diese
Entwicklung jedoch für die Grünen eine politische Niederlage bedeutet, wird
weitgehend von ihnen selbst abhängen.
Der Aufschwung, den der Konflikt um Stuttgart 21 den Grünen beschert hat,
ist nur zum Teil ihrem vehementen Protest gegen dieses Großprojekt
geschuldet. Eine nicht minder gewichtige Rolle spielte ihre Fähigkeit, ein
Verfahren mit zu initiieren, das die Vermittlung eines innerhalb der
Gesellschaft nicht entscheidbaren Konfliktes ermöglichte. Dieses Vorgehen
weckte bundesweit Aufmerksamkeit, weil es diesen Konflikt in die Bahnen
eines Legitimität stiftenden Verfahrens gelenkt hat.
Die Qualität der Vermittlungsrunde unter Heiner Geißler lag weniger im
Ergebnis, das auch anders hätte ausfallen können, als vielmehr in der
Selbstverpflichtung aller Seiten auf einen für sie offenen Prozess. Damit
haben sie sich selbst vorab verpflichtet, dessen Entscheidung, auch wenn
sie sie nicht richtig fanden, zur Prämisse ihres künftigen Handelns zu
nehmen. Eine nachträgliche Rebellion dagegen ist zwangsläufig
delegitimiert. Zugleich ist es ein Vorteil des Prozederes, dass gerade
diese Wehrlosigkeit es dem Unterlegenen erleichtert, die Entscheidung zu
akzeptieren, denn er kann sie als etwas Auferlegtes darstellen und muss sie
keinesfalls als richtig anerkennen. Es liegt in der Natur der Legitimation
durch Verfahren, dass es, da es die Entscheidbarkeit des aufgeworfenen
Problems garantieren muss, nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung
garantieren kann.
## Legitimität durch Verfahren
Diese zugleich bindende wie entlastende Funktion galt und gilt für alle
daran in Stuttgart Beteiligten. Ob der Bahnhof gebaut wird, war folglich
danach schon keine Frage mehr, die auf der Straße entschieden wird. Die
Grünen haben sich mehrheitlich entsprechend verhalten und die weitere
Opposition gegen Stuttgart 21 auf den Stresstest und eine ihm folgende
Volksabstimmung fokussiert.
Als SPD und Grüne diese im Sommer letzten Jahres forderten, war damit
zugleich präjudiziert, wie der dann tatsächlich aufgetretene
Koalitionskonflikt um Stuttgart 21 geregelt würde. Denn unter einen
Volksentscheid, soll sein Ergebnis bindende Legitimität entfalten, konnte
und kann nur das verstanden werden, was als Verfahren bereits allseits
verbindlich normiert ist - kaum jedoch, was eine beteiligte Seite im Lichte
des Ergebnisses hernach als wünschenswert erachtet. Und allen war bekannt,
dass die Verfassung ein hohes Quorum vorsieht und, solange der Konflikt
virulent ist, kaum mit einer Zweidrittelmehrheit für ihre Änderung zu
rechnen ist.
Man kann folglich von einem zweistufigen Verfahren sprechen, mit dem das
Ergebnis, wie immer es lautet, gesellschaftliche Legitimität erhalten und
damit Frieden stiften soll.
## Wer die Mehrkosten bezahlt
Die Koalitionspartner haben vereinbart, dass die Bürgerinnen und Bürger
über Stuttgart 21 nicht sofort, sondern im Lichte des Ergebnisses des
Stresstestes entscheiden sollen. Doch wird das Ergebnis des Stresstestes
gar nicht zur Abstimmung gestellt. Denn SPD und Grüne haben sich bereits in
der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, dass Mehrkosten, die dieser
offensichtlich werden lässt, von der Landesregierung in keinem Fall
getragen werden. Diese müssten folglich von Bundesregierung und Bahn
übernommen werden, soll Stuttgart 21 trotzdem gebaut werden.
Das Votum der Bürger soll in diesem Fall einen öffentlichen Druck
entfalten, der Bund und Bahn davon abhält, diesen Weg zu beschreiten. Es
soll sie, kurz gesagt, auf die Einhaltung der Geißler'schen Schlichtung
verpflichten.
Zugleich haben die Grünen bislang offengehalten, wie sie sich selbst
verhalten werden, wenn der Stresstest zu ihren Ungunsten ausfällt.
Augenscheinlich sehen sie sich in diesem Fall durch die Volksabstimmung vom
Schlichterspruch entbunden. Nicht wenige in der Partei stellen sogar die
verpflichtende Wirkung dieser Volksabstimmung infrage, sollte das Quorum
nicht erreicht werden.
## Volkspartei-Nimbus
Ein solch taktisches Verhältnis zu Formen der Konsensfindung erstaunt bei
einer Partei, die entlang gesellschaftlicher Konflikte groß geworden ist
und sich als parlamentarische Kraft in besonderer Weise zu deren
Vermittlung prädestiniert sieht - darauf beruht zu einem nicht
unwesentlichen Teil ihre Akzeptanz in der Bevölkerung.
Die Frage, ob die Grünen eine Volkspartei sind, ob sie ihre
Umfrageergebnisse stabilisieren können, lässt sich weniger, wie in der
klassischen Theorie, mit der Zahl der sozialen Gruppen, deren Interessen
sie vertreten, beantworten. Der Volkspartei-Nimbus speist sich vielmehr aus
dem fragilen Vertrauen der Gesellschaft, dass sie diese Interessen nach
transparenten und rationalen Kriterien vermitteln. Und zwar nicht mehr nur
die Interessen gesellschaftlicher Minderheiten gegenüber der Mehrheit,
sondern auch die zwischen den gesellschaftlichen Großgruppen. Stuttgart 21
ist der erste Lackmustest auf diese Fähigkeit, Partei des Volkes zu sein.
Sollten die Grünen bei einem für sie ungünstigen Ergebnis des Stresstestes
den Schlichterspruch verwerfen, würden sie sich zwar den Zuspruch des
Oppositionsbündnisses sichern, doch nicht dem deklarierten Anspruch gerecht
werden, eine "echte Bürgerregierung" zu sein, die für alle
gesellschaftlichen und politischen Gruppen im Lande offen sein will. Wer
sich keinem Schlichterspruch unterwerfen will, dürfte kaum selbst als
Moderator oder Schlichter akzeptiert werden.
Der "neue politische Stil", den der erste grüne Ministerpräsident
verspricht, ist insofern vor allem eine Selbstverpflichtung seiner Partei,
nicht in den eigenen alten zurückzufallen. Eine Regierungspartei, die sich
die Befriedung des Konfliktes von Verfahren erhofft, die sie selbst
initiiert hat, sollte nicht allzu sehr Partei in ihnen sein.
5 May 2011
## AUTOREN
Dieter Rulff
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